Ein lebensgefährlicher Job: "Wir Sherpas sind keine Packesel"
Nach dem Erbeben vor einem Jahr war der Weg zum Gipfel des Mount Everest lange gesperrt. Lhakpa Gelu Sherpa hat sich deshalb eine Arbeit in New York gesucht. Gespräch mit einem Bergführer, der viele Abenteurer zum Gipfel begleitet hat.
Wo befanden Sie sich während des Erdbebens?
Ich war gerade mit einem Klienten vom Camp 2 zum Basislager des Mount Everest auf 5270 Metern Höhe zurückgekehrt. Wir hatten oben zwei Tage übernachtet, damit er sich akklimatisiert. Ich stand am Zelt, wo es Abendessen gibt, hatte noch nicht einmal meinen Klettergurt ausgezogen, da spürten wir die Erschütterung. Wir beteten sofort „om Mani padmi shade ham“, ein buddhistischer Segen. Dann sah ich schon eine weiße Wand durch die Wolken auf uns zukommen.
Das Erdbeben mit der Stärke von 7,8 hatte eine Staublawine ausgelöst.
Ich hechtete hinter das Zelt, verschränkte die Arme vor dem Gesicht, damit ein Luftloch bleibt. Durch den Luftdruck japste ich, um mich herum schrien die Menschen. Innerhalb von zehn Sekunden war ich unter Schnee begraben, Eisbrocken rasten auf mich zu. Ich boxte mich frei. Ich habe immer solches Glück. Niemandem aus unserer Gruppe ist etwas passiert. Das gesamte Basislager war zerstört. Wir flickten unsere Zelte. Erst zwei Tage später erfuhr ich, dass auch mein Bruder im Camp 2 am Leben war und es meiner Familie unten gut ging.
18 Menschen starben an diesem Tag allein auf dem Everest, knapp 9000 in ganz Nepal. Trotzdem wollten einige Touristen danach den Aufstieg versuchen.
Ich verstehe das, sie haben bis zu 70.000 Dollar in die Tour investiert. Die Regierung hat den Berg aber sofort geschlossen. Die Lawine hatte den Weg durch den Khumbu-Eisfall, die gefährlichste Stelle der Route, ohnehin zerstört. Das SPCC, das Umweltkomitee, sichert diesen Teil der Strecke immer mit Seilen und Leitern, damit er überhaupt zu durchqueren ist. Nur die erfahrensten Sherpas arbeiten an diesem Gletscher: die Eisdoktoren. Ihre Arbeit wurde jetzt zu riskant.
Seit der Erstbesteigung 1953 durch Tenzing Norgay und Edmund Hillary sind etwa 1000 Menschen am Everest umgekommen, die überwiegende Mehrheit Sherpas. Zuletzt riss 2014 eine Lawine 16 Bergführer in den Tod. Warum machen Sie diesen Job?
Ich bin nicht auf Abenteuer aus. Es ist mein Beruf. Im Ausland hören die Leute meinen Namen und fragen: Wie viele Kilo kannst du tragen? Wir Sherpas sind keine Packesel. Wir sind eine ethnische Gruppe, gehören zu den niederen Kasten. Wir haben keine Aussicht auf gute Jobs in der Regierung oder in Unternehmen. Seit Generationen arbeiten wir deshalb in den Bergen. Unsere Kinder sollen diese Arbeit nicht mehr machen müssen. Die Regierung verdient jährlich drei Millionen Dollar an den Aufstiegslizenzen. Wir werden daran kaum beteiligt. Wenn ich den Gipfel erreiche, bekomme ich 6000 Dollar. Das ist zwar zehn Mal so viel wie das Durchschnittseinkommen meiner Landsleute.
Aber eine Expedition dauert bis zu 75 Tage, wir können den Job nicht lange machen, haben keine Rente. Ich kenne viele verarmte Familien, bei denen der Mann am Berg gestorben ist. Nach dem schweren Unglück 2014 haben etwa 200 Sherpas der Bergsteigerei abgeschworen, manchen hatten es auch die Frauen verboten. Es gab eine Art Emanzipationsbewegung unter uns mit Forderungen an die Regierung. Seitdem muss jedes Unternehmen alle Angestellten, Führer, Träger, Köche versichern. 15.000 Dollar erhalten unsere Hinterbliebenen, wenn wir am Berg verunglücken.
Sie haben vier Mal den Gipfel des Everest erreicht, 8848 Meter, und weitere 8000er erklommen. Was war die gefährlichste Situation, in die Sie sich je begeben haben?
Lange dachte man, der Everest sei technisch einfach. Doch er ist tückisch. Mit oder ohne Lawinen – es gibt 100 Arten, am Everest zu sterben. Im Eisfall ist einmal exakt vor mir ein Brocken Eis mit Riesengetöse abgebrochen, ein anderes Mal verbrachte ich 48 Stunden in der Kälte. Bei einem Anfängerfehler ist mir der Mittelfinger erfroren: Mir war warm, ich zog meine Handschuhe aus.
Bei schlechtem Wetter frage ich mich, warum die Touristen ihr Geld nicht lieber an Traumstrände tragen. Aber wenn die Sonne scheint und man auf dem höchsten Gipfel der Welt steht, fühlt sich das sehr erhaben an. Seit den 90er Jahren wollen nicht nur Profis auf den Berg. Manch ein Tourist lässt sich bis auf 6400 Meter fliegen. Betrug. Aber Geld kann nicht alles. Manche werden auf dieser Höhe wegen des Sauerstoffmangels so schwach, dass sie nicht weiterkönnen. Uns Sherpas macht die Höhe wenig aus. Das ist genetisch. Unsere Dörfer lagen schon immer auf 2500 Metern, da weideten wir unsere Yaks.
Es ist albern geworden: Einer meiner Kollegen ist fast gestorben, weil er die Ski eines Klienten hochtragen musste, nur damit der sich auf dem Gipfel damit fotografieren lassen konnte. Für uns ist der Everest ein heiliger Berg, in den sich die Göttin Chomolungma, die Mutter des Landes, zurückzog, um zu schlafen.
Was wünschen Sie sich für diesen Ort?
Er hätte mehr Ruhe verdient. Vor dem Gipfel gibt es Warteschlangen. Der Weg ist gesäumt mit Plastik, Gasflaschen, Seilen und – Leichen. Ihr Rücktransport ist zu teuer. Es sollte verpflichtend sein, eine Summe zu hinterlegen, damit im Fall des Falles die Leiche beseitigt werden kann.
Erstmals seit 1974 hat 2015 keiner den Gipfel erreicht. Was bedeutet es für Nepal, dieses Wahrzeichen zu schließen?
Wir sind stark vom Tourismus abhängig. Seit dem Erdbeben bleiben die Touristen sogar von den Kulturdenkmälern wie Kathmandus Tempeln fern. Hotels sind geschlossen, Geschäfte leer. Ausgerechnet jetzt, wo ich jung und stark bin. Durch das Erdbeben habe ich 2015 nur 2800 Dollar verdient, das muss lange reichen. Deshalb bin ich in die USA gezogen, in die Nähe von New York.
Hochhäuser statt Berge!
Ich liebe an den USA, dass die Heizungen in den Häusern funktionieren, dass es sauberes Wasser gibt, stabiles Internet. Nepal erscheint mir 200 Jahre zurück. Inzwischen arbeite ich als Koch in einem indischen Restaurant. Dort backe ich das Brot im Tonofen. Schauen Sie, meine Verbrennungen. Ich bin ein Mann der Extreme. Minus 45 auf dem Everest halte ich aus, und die 500 Grad am Ofen auch.
Wo ist Ihre Familie?
Meine Frau und meinen drei Jahre alten Sohn musste ich in Kathmandu zurücklassen. Ich vermisse sie sehr. Aber was soll ich machen? Wir skypen jeden Abend. Meine Eltern und Geschwister leben in einem kleinen Dorf in der Talebene des Everest, das aus neun Gebäuden besteht. Das Erdbeben hat ihr Haus eingerissen, sie übernachten immer noch in einer Hütte aus Bambus. Von den vielen Millionen Spenden aus aller Welt haben die Leute auf den Dörfern kaum etwas gesehen.
Wann können Sie zurück?
Ich rufe regelmäßig bei meiner Firma und meinen Freunden an, um herauszufinden, ob es Arbeit gibt. Es sieht eher so aus, als müsste ich noch ein ganzes Jahr hier bleiben. Ich sehe vor mir, wie sich meine Frau an meinem Bein festklammert, damit ich nicht auf den Everest steige. Es ist ja, als würden wir in den Krieg ziehen. Aber tief im Herzen will ich unbedingt wieder rauf. Es ist auch der Ruhm. Wenn du acht Mal oben warst, traut dir deine Gruppe – und sei es nur bei einer Wanderung – alles zu. Das ist eine Währung unter uns Sherpas. Wir sind respektierte Männer. Zwölf Jahre habe ich darauf verwendet, ein guter Bergführer zu werden. Ich bin darin viel besser als im Kochen!
Hier kann man auch einfach nur wandern
ANREISE
In 14 Stunden, mit Turkish Airlines über Istanbul nach Kathmandu (Mitte Mai ab etwa 880 Euro). Alternativ mit Qatar Airways (17 Stunden, etwa 700 Euro).
ANBIETER
Acht der 14 Achttausender liegen in Nepal, darunter Makalu, Dhaulagiri und Annapurna. Es muss aber nicht gleich Extremsport sein: Studiosus bietet Wanderreisen vor den schneebedeckten Gipfeln des Himalaya an, vobei an Klöstern und Yaks (15 Tage ab 3000 Euro, am besten im Oktober). Individualtrekkingtouren und ambitionierte Expeditionen lassen sich über das einheimische Unternehmen Royal Mountain Travel buchen.
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