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Rushhour zum Sonnenaufgang. Angkor Wat lockt – je nach Saison – zwischen 5000 und 10.000 Besucher täglich.
© imago/ZUMA Press

Kambodscha: Tanz auf der Lotosblüte

Die historische Tempelanlage ist ein Schatz der Menschheit. Millionen Touristen aus aller Welt fahren hin. Soll man sich da noch einreihen? Auf jeden Fall.

Bei Tagestemperaturen um 35 Grad ist es gut, früh aufzustehen. Aber so früh? Pünktlich um 5.30 Uhr wartet Sokha, die Fremdenführerin, in der Lobby des Hotels La Résidence d'Angkor in Siem Reap. „Haben Sie gefrühstückt?“ fragt sie freundlich. Kaffee, knackfrische Croissants und sogar Rührei werden in dem Luxushotel schon seit einer halben Stunde serviert.

Der Grund: Angkor Wat, das größte sakrale Bauwerk der Welt. Die Tempelanlage, erbaut zwischen 1113 und 1150, ist zu jeder Tageszeit beeindruckend. Märchenhaft aber, so behaupten viele, zeigt sie sich bei Sonnenaufgang. Und so beginnt die Rushhour in Kambodscha nirgendwo so früh wie in Siem Reap.

Nur sechs Kilometer sind es von der Stadt nach Angkor Wat. Auf der schmalen Ausfallstraße drängeln sich: Busse, kleine Autos und SUVs, Mopeds und ungezählt Tuk Tuks, die Motorradrikschas. Mitten im Gewühl strampeln junge Touristen auf Fahrrädern.

Im Umkreis von 400 Quadratkilometern stehen rund 1000 Tempel

An den Tickethäuschen sind die Tempel noch nicht zu sehen. Ein Besucherausweis wird benötigt. Also: Foto machen. Verschlafen in die Kamera geblinzelt, schon pappt das eigene Konterfei auf dem Besucherausweis. Der Eintritt für einen Tag kostet 20 US-Dollar, drei Tage sind für 40 und ein Sieben-Tage-Pass ist für 60 US-Dollar zu haben. Sinnvoll wäre wohl eine Jahreskarte. Denn im Umkreis von 400 Quadratkilometern stehen rund 1000 Tempel. Relikte des einstigen Reichs Kambuja, in dem die Könige der Khmer vom 9. bis 15. Jahrhundert herrschten.

Angkor Wat aber ist der wichtigste und bekannteste Tempel. Seit 1992 steht er auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes. Auch deshalb pilgern immer mehr Touristen hin. Zuvor hat man Bilder von Angkor Wat gesehen, in Büchern, auf Postkarten. Doch das ist nichts gegen die Wirklichkeit. Wie riesig die Anlage ist! In der Morgendämmerung erheben sich die drei charakteristischen Türme, die als Silhouette auch die kambodschanische Flagge schmücken.

Man möchte sich dem Heiligtum respektvoll nähern, Schritt für Schritt, ganz langsam. Klappt aber nicht. Andere Besucher geben das Tempo auf dem rund 350 Meter langen Dammweg vor. Überholen rechts und links oder bleiben unvermittelt stehen, mit erhobenen Smartphones, Tablets oder Kameras.

Die Sonne lässt sich Zeit. Manche Besucher wirken ungehalten. Und knipsen umso hastiger. Jetzt bloß nicht den Augenblick verpassen, sobald sich die Sonne über den mittleren Turm schiebt. Endlich. Doch der Himmel bleibt diesig, das Ergebnis fällt wenig spektakulär aus. „Pech gehabt“, sagt ein Deutscher und zupft seine Begleiterin am Ärmel. Jetzt schnell in den Tempel gehen.

"Touristen zerstören immer"

„Zwischen 5000 und 10 000 Besucher strömen täglich nach Angkor Wat“, sagt Sokha. Und lotst mich links herum, zur Rückseite der Anlage. Von dort sieht man auch gut, dass Angkor nicht nur drei, sondern mindestens fünf Türme hat. Nur vereinzelt stapfen Besucher hier durchs Gras. Aufatmen. Und sich doch ins Innere begeben, dorthin, wo alle übrigen nun stehen und gehen. Vorbei an den Flachreliefs, die Geschichten vom Leben und Tod, vom Alltag und von Festen erzählen. Ein gespanntes Seil soll die Betrachter davon abhalten, die Figuren zu berühren. Kaum ein Wächter ist zu sehen...

„Touristen zerstören immer“, sagt Hans Leisen, bis vor Kurzem Professor für Steinrestaurierung an der Technischen Hochschule Köln. Vor gut zwanzig Jahren begann er, gemeinsam mit Studenten, ein Hilfsprojekt für Angkor Wat. „Damals gab es dort kaum Besucher.“ Das Auswärtige Amt finanziere die Arbeiten leider immer spärlicher, bedauert Hans Leisen. In diesem Jahr werden 150.000 Euro fließen – „so viel kostete früher schon ein einziger Mitarbeiter der GTZ, der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit“ vergleicht der Steinforscher.

Hans Leisens Team besteht aus 17 Personen, darunter einige angestellte Kambodschaner und deutsche Studenten. Das Anliegen: Die Rettung der Apsaras. Rund 1850 dieser Figuren bilden kunstvolle Reliefs im Tempel. Die Apsaras, Hofdamen im himmlischen Palast tanzen mal auf Lotosblüten, mal schweben sie engelsgleich über alles Irdische hinweg. Keine der Figuren hat die gleiche Frisur, jede spreizt die Finger ein wenig anders, die Nuancen des Lächelns sind vielfältig. Die Figuren zu erhalten gleicht einer Sisyphos-Aufgabe, von der Hans Leisen nicht lassen kann. Jetzt ist er im Ruhestand – und macht ehrenamtlich weiter.

Stunde für Stunde steigt die Temperatur, die Touristen werden weniger

Gestochen scharf. Die Reliefs von Angkor erzählen viele Geschichten.
Gestochen scharf. Die Reliefs von Angkor erzählen viele Geschichten.
© Hella Kaiser

Jahr für Jahr kommen mehr Touristen, 2015 waren es gut viereinhalb Millionen, vor allem aus China, Korea und Taiwan. Große Gruppen, deren Reiseleiter – wenn auch aus Versehen – leicht mal mit der Schirmspitze in die fragilen Reliefs pieken. Man brauche mehr Schulungen für Tourguides und Wachpersonal, sagt Hans Leisen. Auch würden die Aufpasser viel zu schlecht bezahlt.

Stunde für Stunde steigt die Temperatur, die Touristen werden weniger. Wer antizyklisch besichtigen will, kommt um die Mittagszeit. Vor der Tempelanlage werden Strohhüte verkauft. Gegen Hitze helfen sie nicht.

Bereits am Flughafen von Siem Reap, aber auch bei den Tempelanlagen selbst prangt – in leicht verständlichen Bildern – ein Verhaltenskodex. Frauen sollen den Tempel nur mit bedeckten Schultern und Knien besuchen. Die beiden Spanierinnen in knappsten Shorts haben das Schild vielleicht übersehen. Die Japanerin im Minirock und die Russin im Spaghettiträgertop wohl auch. „Die Tempel sind heilige Orte“, sagt Hans Leisen und befürchtet, dass die Leute dafür kein Empfinden mehr hätten.

Hier hat Angelina Jolie die Lara Croft in "Tomb Raider" gespielt

Im äußeren Tempelbereich steht ein Mönch in dunkelrotem Gewand an einer Mauer. Eine Touristin eilt auf ihn zu, schmiegt sich fast an ihn und lächelt in die Kamera ihres Begleiters. „Mönche darf man nicht berühren“, sagt Sokha. Der Verhaltenskodex erklärt es deutlich. „Dieser Mönch verhält sich komisch“, findet Sokha, er könne nicht echt sein.

Am Nachmittag fahren wir zum Tempel Ta Prohm, der sich ein bisschen im Wald versteckt. „Wir gehen um 16.30 Uhr hinein, um 18 Uhr wird geschlossen“, sagt Sokha und lächelt. „Deshalb wird es dort nicht so voll sein.“ Stimmt. Nur einige Dutzend Besucher sind gekommen. Meist ist das anders. Denn hier hat Angelina Jolie die Lara Croft in „Tomb Raider“ gespielt. Vor 15 Jahren war das. „Der Film hat uns viele Touristen gebracht“, erzählt Sokha. Jetzt wirken die Ruinen beinahe verwunschen, umschlungen von den Wurzeln riesiger Kapokbäume. Einige Figuren an den Gebäuden sind halb überwuchert von Würgefeigen. Welch ein magischer Ort, denke ich.

Hans Leisen sieht das kritischer. „Die Franzosen hatten den Ort einst so gelassen, wie er war“, erzählt er und bedauert, dass die Inder später einiges restauriert und rekonstruiert haben. Stolz präsentieren sie auf Stelltafeln, wie sie ein fast komplett verfallenes Gebäude wieder zusammengefügt haben. Denkmalgerecht ist das nicht. Viele internationale Experten arbeiten in Angkor, sagt Hans Leisen, „aber wir sind die Einzigen, die nur konservieren.“

15 Tempel in zwei Tagen hat der Mann besucht

Über den Ruinen von Ta Prohm ist lautes Krächzen zu vernehmen. „Das sind Papageien“, erklärt Sokha. Und schiebt hinterher: „Es sind die einzigen Vögel, die wir nicht essen.“ Warum? „Man kann sie doch lehren zu sprechen“, sagt sie lächelnd. Vielleicht wäre Vogelzwitschern auch zu viel für die Sinne an einem Ort, an dem einem die Augen übergehen.

Sokha drängelt. „Zum Sonnenuntergang wollen wir am Pre Rup“ sein. Das ist ein der Göttin Shiva gewidmeter Pyramidentempel, erbaut im 10. Jahrhundert. Immer mehr Besucher finden sich ein, um hinaufzuklettern. Tief am Himmel hängt die Sonne wie ein roter Ball. „Sorry“, wendet sich ein Ire an Sokha, „Sie sehen aus wie eine Fremdenführerin. Ist dies der beste Platz für den Sonnenuntergang?“ Sokha nickt.

Seit zwei Tagen sei er in der Gegend und habe schon 15 Tempel besichtigt, erzählt der Mann. Er wirkt völlig erschöpft. „15 Tempel in zwei Tagen“, raunt mir Sokha ungläubig zu. Was kann er da behalten?“ Touristen knipsen den roten Ball und schauen enttäuscht auf ihre Displays. Darauf ist die Sonne weiß. Zum Posten taugen diese Bilder nicht.

In der Pub-Street reiht sich eine Bar an die andere

Neon macht Laune. Die Pub Street in Siem Reap ist international.
Neon macht Laune. Die Pub Street in Siem Reap ist international.
© imago/imagebroker

Zurück in Siem Reap ist der Tempelzauber schnell vergessen. Die Moderne macht sich breit. In den vergangenen zehn Jahren ist die Stadt schnell gewachsen. 230.000 Einwohner hat sie jetzt. Gab es im Jahr 1995 gerade mal acht Hotels, existieren jetzt gut 500 Herbergen. Trotzdem geht’s noch beschaulich zu. Tuk Tuks, Mopeds und Autos fahren erheblich langsamer als in Phnom Penh, der gut 300 Kilometer entfernten Hauptstadt.

Je später der Abend, desto jünger wird das internationale Publikum. Das Ziel für die meisten Traveller: die Pub Street. „La Tigre De Papier“, „Angkor What?“, „Banana Leaf“ … eine Bar reiht sich an die andere, ein Restaurant ans nächste, viele Clubs sind entstanden. Neonreklamen leuchten grell in Pink und Grün. Aus Lautsprechern dröhnen internationale Hits. Die Ausgehmeile von Siem Reap könnte überall sein. Abseits der Pub Street aber gibt es lauschige Terrassen und wenig frequentierte Lokale. Gutes Essen wird dort aufgetischt – und teuer ist es nicht.

Das Tor ist breit genug für einen Elefanten - oder ein Auto

Zahlreich sind die in Asien üblichen Nachtmärkte, die meist bis Mitternacht geöffnet sind. Wie Kraken dehnen sie sich aus im Zentrum von Siem Reap. Aber alle haben das gleiche Angebot: kitschige Souvenirs, T-Shirts und Tücher aus den Nachbarländern. Doch es gibt auch Stände der NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen), die Waren aus einheimischen Hilfsprojekten anbieten. Hübsche kleine Täschchen, gefertigt aus ausrangierten Plastiktüten zum Beispiel oder roter Pfeffer in geflochtenen Bambusschächtelchen.

Am nächsten Morgen fahren wir zum Angkor Thom, Ende des 12. Jahrhunderts auf Geheiß von König Jayavarman VII. als neue Hauptstadt des Angkorreichs erbaut. Auch jene Brücke gehört dazu, auf deren Geländer steinerne Häupter thronen. Manche der Gesichter bröckeln, andere sehen aus wie frisch aus der Werkstatt.

Zur Tempelanlage selbst gelangt man durch ein großes schmales Tor. Mehr als 800 Jahre alt. Nun zwängen sich immer mehr Autos durch. Ein Polizist regelt den Verkehr. „Gut, dass die Erbauer einst Elefanten hatten“, sagt Saravann Mouth. Er ist Manager im gediegenen Raffles Hotel und Hobbyhistoriker. „Ein Elefant ist so breit wie ein Auto – so passen die Wagen heute auch durchs Tor.“ Für SUVs wird’ s allerdings sehr eng.

ln Preah Khan kann man noch allein sein

Elefanten gibt es immer noch. Nun wegen der Touristen. „Ungefähr 15 der Tiere arbeiten in Angkor Thom“ schätzt sagt Sokha. „Unsere Agentur empfiehlt diese Elefantenritte nicht“, setzt sie hinzu. Andere machen sich weniger Gedanken. Ein paar Touristen haben auf dem Rücken eines Elefanten Platz genommen. Wie es dem Tier geht, sieht man ihm nicht an. Ihre Besitzer jedenfalls dürften gut verdienen. Ein Viertelstundenritt kostet 20 US-Dollar.

Jeder Tempel hat seine eigene Ausstrahlung. Und bei jedem findet sich ein Platz, um dem Touristengewimmel zu entkommen. Zumal in den abgelegenen Anlagen. „Fahren Sie nach Preah Khan“, empfiehlt Hans Leisen, „dort sind Sie fast allein.“

Angkors geheimnisvolle Schönheit lebt fort. Man muss sich nur Zeit nehmen dafür. Viel Zeit. Drei Tage reichen nicht.

Tipps für Siem Reap und Angkor Wat

Belmond La Résidence d'Angkor
Belmond La Résidence d'Angkor
© Hella Kaiser

ANREISE
Entweder mit Etihad Airways von Berlin-Tegel über Abu Dhabi und Bangkok nach Phnom Penh oder mit Thai Airways über Frankfurt/Main und Bangkok nach Phnom Penh. Von dort aus mit Auto oder Bus nach Siem Reap (rund fünfeinhalb Stunden). Es gibt mehrmals täglich auch eine Flugverbindung (45 Minuten), rund 190 Euro.

KLIMA
Die beste Reisezeit ist von Oktober bis März. Im April/Mai steigen die Temperaturen auf gut 40 Grad.

VISUM
Das Touristenvisum wird bei der Einreise direkt am internationalen Flughafen von Phnom Penh ausgestellt und kostet 30 US-Dollar.

VERANSTALTER
Diverse Veranstalter haben Kambodscha im Portfolio. Interessante Angebote, auch variabel im Bausteinprinzip, hat der Berliner Veranstalter Geoplan im Programm. Drei Tage in Siem Reap mit Unterkunft und geführten Besichtigungen kosten ab 390 Euro pro Person im DZ. Aber auch längere Touren in der Tempelregion werden auf Wunsch zusammengestellt. Eine 19-tägige Privatreise (ab zwei Personen) nach Kambodscha, die viele Sehenswürdigkeiten des Landes berührt, kostet ab 3890 Euro pro Person im DZ inklusive Flüge. (Berlin, Telefonnummer: 030/ 34 64 98 10)

ÜBERNACHTUNG
Die Auswahl an Luxushotels oder einfachen Gästehäusern ist groß in Siem Reap. Stilvoll wohnt man zum Beispiel im Hotel Belmond La Résidence d’Angkor (die 13 Jahre alte Anlage wurde sehr ansprechend im Khmer-Stil gebaut, schöner Pool). DZ ab 230 Euro. Im französischen Kolonialstil präsentiert sich das 1932 gebaute Raffles Grand Hotel d’Angkor an einer Parkanlage. (riesiger Pool, gediegenes Ambiente). DZ ab 197 Euro)

RESTAURANTS
Wer dem Trubel rund um die Pub Street entgehen will, findet etwa an der Riverroad ausgezeichnete, nicht ganz billige Lokale. In der Nähe speist man sehr gut und günstig outdoor im Viroth’s Restaurant (99 Wat Bo Street).

BESICHTIGUNGEN
Der Eintritt zu den Tempelanlagen kostet für einen Tag 20 US-Dollar, für zwei bis drei Tage 40 US-Dollar. Detaillierte Informationen über das „German Apsara Conservation Project“.

REISEFÜHRER
M.Meyers, A. & M. Markand: Kambodscha. Informativ und detailliert, leider sehr großzügig lektoriert. (Stefan Loose Verlag, 2014, 500 Seiten, 23,99 Euro)

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