zum Hauptinhalt
Über den Wolken ist die Aussicht grandios.
© Wolfgang Stelljes

Bayern: Einfach leben

Auf der Almhütte gibt’s weder Fernsehen noch warmes Wasser oder Strom. Das sind die besten Voraussetzungen für eine nachhaltige Erholung.

Nichts. Kein Strom, kein warmes Wasser, kein Schalter, auf den man drücken kann. Und auch sonst wenig von dem, was unser Leben normalerweise angenehm macht. Wir sind auf der Baumoosalm südlich des Chiemsees, ziemlich genau 1250 Meter über dem Meeresspiegel und der Norddeutschen Tiefebene, unserer Heimat. Geeske, meine 14-jährige Tochter, ist freiwillig mitgekommen. Vier Tage ohne Handy, Fernseher und Musik – sie will es wagen. Ihr erster Eindruck in der Hütte: „Es riecht nach Weihnachten.“

Und nun? Eigentlich müssen wir nicht viel tun, nur irgendwie den Tag meistern. Also Holz hacken, Brot backen und die Zutaten für die nächste Mahlzeit besorgen. Dabei hilft uns Alois Sonnenhuber, unser Gastgeber. „Lasst uns Schwammerl sammeln“, schlägt er vor. Gut zwei Stunden grasen wir die umliegenden Hänge und Wälder ab. Die Ausbeute: zwei Steinpilze, ein Hexenröhrling und ganz viele braune Edel-Reizker (Verwandte des Täublings) – das erste Abendbrot ist einigermaßen gesichert und in der Hütte schnell zubereitet.

In der Stube bullert schon der Holzofen. Es wird langsam dunkel. Auha, wir erinnern uns: kein Strom. Also auch kein elektrisches Licht. Alois entzündet rund hundert Kerzen und Teelichter mit extra langen Sicherheitszündhölzern, fast eine halbe Stunde ist er dafür im Haus unterwegs. Später dann – Geeske liegt bereits im Bett und schaut durch das Dachfenster in den Sternenhimmel – holt er zwei Flaschen Bier aus seinem Felsenkeller, so viel Konzession an die Welt da draußen muss sein.

Alois ist jetzt 55. Fast 20 Jahre hat er in der IT-Branche gearbeitet, zuletzt in führender Position. Die Hütte kennt er bereits länger. Mehr als 250 Jahre ist sie alt. Bis vor drei Jahren war es noch eine klassische Almhütte mit kleiner Küche und großer Stallung. Fast alles hat Alois selbst gemacht, wie es sich für einen gelernten Schreiner gehört. Sogar eine Sauna hat er eingebaut. Alt und urig ist die Hütte. Sie bietet jedoch auch einen gewissen Komfort. Also kein Strohlager, sondern bequeme Betten und Matratzen, wie man es von zu Hause kennt.

In Wolken gehüllt ist die Welt ganz klein

Am nächsten Morgen. Wir blicken aus dem Dachfenster ins Tal, oder besser: in Richtung Tal. Ein paar Baumspitzen ragen aus einer dicken Wolkendecke hervor. Langsam arbeiten sich die Wolken den Berg hinauf, verschlingen die Alm, hüllen uns ein. So ist die Welt ganz klein geworden.

Besuch naht. Willkommener Besuch, der öfter mal vorbeischaut. Ursula Grießer, eine Biologin, hat ihre „Bibel“ dabei, ein Buch über essbare Wildpflanzen. Ein wahrer Schatz für unerfahrene Alm-Bewohner auf Zeit. Wir sind begierig darauf, dazuzulernen. „Die Vogelmiere zum Beispiel“, sagt Ursula, während sie im Buch blättert, „ein Wildgemüse, das komplett mit Stiel verzehrt werden kann.“ Alle Theorie ist grau, wir wollen losziehen und sehen, was die Natur für uns bereithält. Vor allem Brennnesseln, stellen wir fest und sammeln ordentlich was zusammen. „Die sind reich an Magnesium, Kalium, Eisen und diversen Vitaminen“, doziert Ursula.

Später bereitet sie gemeinsam mit Geeske einen Salat aus Brennnesseln, Öl, Zwiebeln und Salz. Wäre es noch Frühjahr, würde sie am nächsten Morgen noch eine Vogelstimmentour anbieten. So aber können wir ausschlafen. Geeske schreibt noch schnell ein paar Zeilen in ihr Urlaubstagebuch. WhatsApp war gestern. Das Smartphone taugt hier oben bestenfalls zum Fotografieren.

Alois Sonnenhuber hat gut lachen, nicht nur weil er Holz vor der Hütt’n hat.
Alois Sonnenhuber hat gut lachen, nicht nur weil er Holz vor der Hütt’n hat.
© Wolfgang Stelljes

Der dritte Tag. Die Wolken haben sich verzogen, die Kühe, fast alle braun-weiß, dösen in der Sonne. Geeske beobachtet durch ein Fernglas eine Gruppe von Gemsen, die sich langsam in den schattigen Wald zurückzieht. Auch die Antennenspitze auf dem 1838 Meter hohen Wendelstein ist zu sehen. Davor zieht ein Steinadler seine Kreise. Ich versuche, faul zu sein. Gar nicht so einfach. Ein verstohlener Blick aufs Handy. Es zeigt tatsächlich einen schwachen Empfang an, aber nicht mehr lange, dann ist der Akku leer. Und Aufladen funktioniert hier ja nicht. Also besser gar nicht erst anfangen mit diesem Selbstbetrug.

Alois ist ein "Lebensspiegel-Anwender"

Wenn Alois von seiner Alm erzählt, fällt über kurz oder lang das Wort von der „guten Energie“. Die will er weitergeben. Manchmal kommen gestandene Manager zu ihm. Die wollen den Kopf frei bekommen, machen sich auch in der Küche nützlich, bereiten Gänseblümchensalat. Irgendwann ergibt sich dann auch die Zeit für ein Gespräch. Selbst ohne realen Rucksack bringt jeder sein „Packerl“ mit herauf, weiß Alois, große und kleine Sorgen.

Wer mag, kann sich mit ihm auf einen ganz besonderen Weg begeben. Dafür hat er sich weitergebildet und unter anderem eine Ausbildung zum „Lebensspiegel-Anwender“ gemacht. Sein Ziel: innere Anklagen bewusst machen und auflösen. Wie gesagt: Das kann man machen, aber man muss es nicht.

Geeske verzichtete aufs Handy und sammelte dafür reichlich Pilze..
Geeske verzichtete aufs Handy und sammelte dafür reichlich Pilze..
© Wolfgang Stelljes

Der vierte Tag. Mit einer Kuhglocke weckt uns Alois morgens gegen vier zur „Sonnenaufgangstour“, einem Klassiker in seinem Angebot. Um das Ereignis in voller Pracht zu erleben, müssen wir binnen drei Stunden oben auf dem Gipfel des Brünnsteins sein, einem der bekanntesten Berge in der Region. Also: Katzenwäsche, kurzes Frühstück und los. Ein fast meditatives Wandern im Schein unserer (auf Empfehlung mitgebrachten) Stirnlampen, wenn wir nicht gerade ein paar Pferde aufschrecken. Wild stieben sie auseinander.

Kurz vor sieben erreichen wir den Gipfel. Das Inntal können wir unter der geschlossenen Wolkendecke nur erahnen. Macht nichts. Geeske hockt vor einer kleinen Kapelle in 1619 Meter Höhe und beißt in einen Apfel, rundum zufrieden mit sich und der Welt.

Tipps für die Alm: Aufstieg ab dem Feurigen Tatzelwurm

Wie gemalt: Stillleben in der Badestube.
Wie gemalt: Stillleben in der Badestube.
© Wolfgang Stelljes

Anreise

Mit dem Zug bis Oberaudorf, von dort fährt ein Linienbus zum nahe gelegenen Gasthof Feuriger Tatzelwurm. Von hier 400 Meter bis zum Waldparkplatz. Aufstieg zur Alm, bequem in etwa zwei, von der Rosengasse aus (etwas schwieriger/steiler) in rund einer Stunde.

Übernachten

Einfach ist nicht in jedem Fall preisgünstig und keineswegs billig. So auch hier. Vier Nächte alles inklusive ab 790 Euro pro Person. Die Hütte bietet Platz für bis zu 20 Personen. Die stillen Örtchen haben Wasserspülung, sind angenehm zu nutzen. Internet: baumoosalm.de

Essen und trinken

In der Küche kochen die Gäste oft gemeinsam, in der Stube an einer großen Tafel im Kerzenschein wird gemeinsam gegessen. Einen guten Tropfen, frisches Bergquellwasser oder ein kühles Bier gibt’s dazu.

Auskunft

Chiemsee-Alpenland: 08051 96 55 50, im Netz: chiemsee-alpenland.de

Wolfgang Stelljes

Zur Startseite