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Bratwurst aus Eigenproduktion
© Uli Reinhardt/Zeitenspiegel

Wurst selbst gemacht: Rein in die Pelle!

Wer wissen will, was wirklich in der Bratwurst ist, muss selber ran. In diesem Fall: Bestes Fleisch, Weißwein und Gewürze von Fenchel bis Zimt. Dann kneten, kneten, kneten. Ein Report.

Der Mann hält uns für blöde. Seine Augen sind voller Mitleid und sagen: Ihr seid zwei Stümper, das schafft ihr nie. Sein Mund spricht: „Dann kommt halt mal mit.“ Er geht voraus in die Wurstküche seiner Metzgerei, rutschfeste Bodenfliesen, Gerätschaften aus Edelstahl, Feuchtigkeit in der Luft, „hier darf nicht jeder rein“ – die Hygienevorschriften. Der Mann gehört einer aussterbenden Spezies an, ein echter Handwerksmeister, kleiner Laden, keine Filiale, ganze Tiere, er kennt seine Bauern.

Er dreht sich um und fragt noch einmal skeptisch: „Ist das euer Ernst?“ Wir nicken. Er hält es für eine Schnapsidee, Bratwürste selbst zu machen, jedenfalls wenn Laien das tun. Ein letztes Aufbäumen, sein allerletzter Versuch: „Ich hab genug frische Würste da, ihr könnt sie kaufen.“ Dann geht er, holt einen Plastikeimer, in dem leichenweiße Naturdärme in Salzlake schwimmen, verknäuelt zu einer hirnartigen Masse.

Wir erhalten einen Fünf-Minuten-Crashkurs in der Kunst des Wurstmachens. Der Metzger fingert nach dem Ende eines Darms, zieht ihn heraus, bläst leicht in die Öffnung, damit sich eine Blase bildet, gießt klares Wasser hinein und drückt es zwischen Daumen und Zeigefinger durch den langen Darm, der so entwirrt und innen vom Salz gereinigt wird. Geschickt setzt er ihn auf einen Füllstutzen, es sieht aus, als wolle er den Gebrauch eines Kondoms erklären, das meterlange Gekröse fädelt er im Tempo eines albanischen Hütchenspielers auf.

„Alles klar?“

„Wird schon werden!“

Jetzt erst recht

Der Profi warnt beim Abschied noch vor Blasenbildung im Wurstfüllzylinder, schenkt uns ein Knäuel Garn zum Abbinden. Wir schleppen 16 Kilogramm Fleisch aus dem Laden, voller Gewissheit, dass nur die Produktion einer großen Menge die nötige Routine verleihen wird. Die Därme, ruft der Metzger uns noch hinterher, seien „vom Kaliber 30/32“ und wir sollten zum Einpressen einen mittelgroßen Stutzen verwenden.

Warum wir überhaupt Bratwürste selbst herstellen wollen? Grund Nummer eins: Aus Trotz, weil die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ende vergangenen Jahres vor ihrem Verzehr gewarnt hat. Rotes Fleisch sei extrem schädlich, ging als Meldung durch die Presse, es wurde gleichgesetzt mit Asbest und Röntgenstrahlen. Die „Zeit“ fragte jammernd: „Rauchen kann tödlich sein, Wurst essen auch?“ Grund Nummer zwei: Mein Freund und Co-Wurstler (Foto rechts) hatte mir mal zum Geburtstag eine Wurstfüllmaschine geschenkt, sie ruhte seit Langem in der Originalverpackung.

Öl, Wein und Gewürze stehen bereit
Öl, Wein und Gewürze stehen bereit
© Uli Reinhardt/Zeitenspiegel

Credo der Versuchsanordnung: Von allem das Beste. Wir werden exzellentes Fleisch verwenden und die Zutaten möglichst von einem berühmten Gewürzhändler (ingo-holland.de), Naturdärme und sonst nichts. Wir werden die frischen Würste direkt auf den Gasgrill legen und so jede Diskussion über gefährliche Bakterien und Keime im Rauch ersticken.

Ein Eintopf zum Grillen

Was tun? Dieses Werk von Lenin modifizieren wir Wurstmacher zu: Was reintun? Als Inspiration liegt ein Stapel Bücher bereit. Interessanterweise gibt es zur jüngsten Flut an vegetarischen und veganen Titeln auch eine carnivore Gegenbewegung. Sülze, Terrinen, Wurst, Rillettes – Hauptsache fleischig und hausgemacht.

Die Lektüre verwirrt und lässt staunen. Grüne Darmhirschzipfel. Schwarznasenlammwurst. Wachtelwiener. Chorizo. Droëwors. Haggis. Burenziegenwurst. Chistorra. Chipolata. Boudin. Ryynimakkara. Die ganze Welt, so scheint’s, steckt in der Pelle.

Auch das Schmökern in der Zutatenliste offenbart grenzenlose Vielfalt. Frische Kräuter, Cognac, Piment, Worcestershiresauce, Rotweinessig, Muskatblüte, Zitronenschale, Kardamon, Ingwerpulver, Zwiebel, Fichtennadel, Blut.

Langsam wächst die Erkenntnis: Die Bratwurst ist ein Eintopf zum Grillen.

"Für Männer mit Geschmack"

...der Autor pustet in den Darm...
...der Autor pustet in den Darm...
© Uli Reinhardt/Zeitenspiegel

Wir entscheiden uns für zwei Klassiker, Salsiccia und Merguez. Das Rezept für die italienische Schweinswurst ist einer Metzgerin in der Toskana entlockt. Deren Salsiccia haben wir im Urlaub vor Ort schon in allen Varianten genossen, auch mit Zwiebel und Tomate zu einer deftigen Pastasoße verkocht. Bei der nordafrikanischen Lammwurst folgen wir einem der vielen Bücher. Ehe also beide Arme in der Wurstmasse stecken, ein kleiner Überblick:

„Crafted Meat“ kommt vom gestalten-Verlag und garantiert daher viel Augenschmaus. Trotz einiger Kochrezepte ist es ein Lesebuch, es präsentiert küchenrelevante Tierarten und deren verschiedene Rassen, zeigt, in welche Teile Metzger sie zerlegen, die europäische Charcuterie. Großen Umfang nehmen die Porträts von Qualitätsfanatikern ein, darunter auch der Berliner Laden „Vom Einfachen das Gute“.

Jésus de Lyon

Zu zwei Dritteln ist „Wurst“ ein nach Ländern und Kontinenten geordnetes Nachschlagewerk, zu einem Drittel Kochbuch. Wer von „Makanek“ über „Fen chang“ bis „Jésus de Lyon“ das Universum der Würste kennenlernen will, ist hier richtig (Dorling Kindersley).

Die Stiftung Warentest hat wenig Kompetenz beim Thema Genuss. Wenn sie Olivenöle testet und eine Drei-Euro-Flasche vom Discounter zur Nummer 1 erklärt, ist höchste Vorsicht geboten. Doch „Gutes Essen – selber machen“ versorgt einen übersichtlich mit viel Wissenswertem auf dem Weg in die Ernährungsautonomie. Brot, Quark, Tofu oder Weinessig mit eigener Hand herstellen, Fisch räuchern und Wurst pökeln – wer Einsiedler werden will, sollte das mitnehmen.

Kalbskopf und gerupfte Tauben

„Beef“ ist ein Magazin und im Untertitel „für Männer mit Geschmack“ (Gruner & Jahr). Die Ausgabe „Selber Wursten“ vereint Schritt-für-Schritt-Anleitungen mit der gewohnten Selbstironie und Ästhetik. Launige Überschriften („In Hülle und Fülle“), und als Centerfold, wo der „Playboy“ mit Sand panierte Nacktheit präsentiert, bietet man bei „Beef“ aufgeschnittene Blutwurst im XL-Format. Hoher Testosteronwert.

So handlich wie nützlich ist „Wurst & Terrinen selbst gemacht“ (Gräfe & Unzer), woraus unsere Merguez stammt. Rezepte, Rezepte, Rezepte.

...und stülpt ihn auf den Füllstutzen.
...und stülpt ihn auf den Füllstutzen.
© Uli Reinhardt/Zeitenspiegel

So kunstvoll wie hier werden Markknochen, Kalbskopf und gerupfte Tauben selten fotografiert. Schon der kleingeschriebene Titel „wurst werkstatt“ (AT-Verlag) weist den zeitgeistigen Weg, und wer beim Blättern keinen Appetit bekommt, ist sojasüchtig. Das Coffeetable-Book.

Einen literarischen Zugang zum Thema öffnet „Wurst“ (DuMont), das sich optisch auf zauberhafte Illustrationen verlässt. Drei Könner ihres Genres arbeiten da zusammen, der Koch und Metzger Vincent Klink, der Satiriker Wiglaf Droste und der Zeichner Nikolaus Heidelbach. Und nach guter Unterhaltung weiß man wegen vieler handwerklicher Tipps trotzdem einen Schwartenmagen zu machen.

Wein macht den Wurstteig weich

Die Maschine entlässt eine Anakonda...
Die Maschine entlässt eine Anakonda...
© Uli Reinhardt/Zeitenspiegel

Nun also liegt das gekühlte Schweinefleisch in der Schüssel, es ist durch den Wolf gedreht, die Scheibe mit großem Lochdurchmesser 7 (Dank an den freundlichen Metzger), sie sorgt für die grobe Körnung der Salsiccia. Die exakt gewogenen und frisch gemörserten Gewürze dazugegeben und etwas Weißwein, damit der Wurstteig (= Brät) etwas weicher wird. Dann kneten, kneten, mit den Händen, denn nur ausdauerndes Kneten sorgt für die nötige Bindung. Zehn Minuten dürfen es schon sein, dann schmerzen sowieso alle Muskeln und Sehnen. Der Test geht so: Brät in Frikadellengröße auf die flache Hand drücken, Hand umdrehen, Klops bleibt kleben – Bindung okay. Und bei den Gewürzmengen unbedingt rezepttreu arbeiten, da größere Fleischmengen schwer zu aromatisieren sind. Wer je Hackbraten gemacht hat, kennt das Problem.

Längst sind zwei Wurstfüllmaschinen waagerecht am Tisch arretiert, eine aus Edelstahl und eine aus Plastik. Mein schlichtes Plastikteil (von Westfalia, ca. 50 Euro) erweist sich später als effektiver, denn es ist durchsichtig und offenbart Luftblasen, die ein böser Feind des Wurstmachers sind. Brät sehr fest in den Zylinder stopfen. Kräftig mit der Kurbel andrücken, Luft entweicht. Darm vornedrauf und los geht’s.

Der eine presst, der andere zieht

Wir arbeiten als Duo, und es gilt, wie beim Rudern, den richtigen Rhythmus zu finden. Einer presst die Masse raus, vorn ist der Darm verknotet, die Hände des anderen ziehen und drücken die Wurst in die gewünschte Form, langsam ringelt sich eine beeindruckend lange Anakonda auf dem Tisch zusammen. Auch das Darmende bekommt jetzt seinen Knoten. Daumen und Zeigefinger pressen dann die Länge der einzelnen Würste zurecht, wonach diese kurz durch die Luft gewirbelt werden wie beim Seilhüpfen. Mit Garn abbinden (es ginge auch ohne, doch sicher ist sicher, und optisch macht die Schnur echt was her, sie steht für solide Handarbeit).

Jetzt ruhen die Wurstschlangen für zwei, drei Stunden im Kühlschrank, damit das Brät homogen wird und beim Zertrennen der einzelnen Würste nicht herausquillt. Die Bilanz eines langen und arbeitsreichen Vormittags: 140 Merguez, 130 Salsiccia (Kosten pro Stück ca. ein Euro). Gegen 16 Uhr kommen gut 50 Gäste, verteilen sich im winterlichen Garten um den wuchtigen Weber-Grill, der dem Finale professionelle Aura verleiht. Dazu Brot, Senf, Ketchup – sonst nichts.

Wir futtern voller Zufriedenheit und mit dem beruhigenden Wissen, jede einzelne Zutat zu kennen. Die Salsiccia: deftig, grobkörnig, saftig. Die Merguez: sämig, exotisch, scharf ohne zu brennen. Runtergespült wird mit Rosé aus dem eigenen Weinberg des Co-Wurstlers. Die Hälfte unserer Produktion landet in der Tiefkühltruhe.

Eine kleine Warnung allerdings muss schon sein: Nachts kommt das lustige Knoblauchmonster und bläst seinen heißen Atem durchs Schlafzimmer.

Wurst-Rezepte

Die fertige Wurst
Die fertige Wurst
© Uli Reinhardt/Zeitenspiegel

Für vier Personen wird, egal in welchem Buch, mit einem Kilo Fleisch gerechnet. Grundsätzlich gilt, für diese Menge nie mehr als 18 Gramm Salz! Wir haben für beide Wurstarten mit Schweinedarm 30/32 gearbeitet. Bei der Merguez wird meist Lammdarm 18/20 und ein kleinerer Befüllstutzen empfohlen, damit die Wurst dünner und länger wird, doch das ist etwas für erfahrene Feinmotoriker. Auch die Rezepte wurden leicht verändert: Unser Metzger (leider in Süddeutschland) hat für die Salsiccia den Speck weggelassen und nur Bauchfleisch verwendet, fettes und mageres. In der Merguez war Lammschulter und Rinderhack; das Fleisch wurde zwei Mal durch den Wolf gedreht (feine Löcher!), um es geschmeidig zu machen.

Salsiccia

400 g Schweinebauch, 400 g Schweineschulter, 200 g Rückenfett. 15 g Salz. 3 g Fenchelsamen gemahlen. ½ TL Peperoncino (oder 2 TL weißer Pfeffer). 2 zerdrückte Knoblauchzehen. Ein Glas Weißwein.

Merguez

2 kg Lammfleisch (Hals oder Schulter, auch Rinderhack möglich). 35 g Meersalz. 3 fein gehackte Knoblauchzehen. 4 g gemahlener schwarzer Pfeffer. 4 g gemahlener Kreuzkümmel. 2 g Zimtpulver. 6 g Harissa (Chilipaste). 5 g Paprikapulver edelsüß. 100 ml Olivenöl.

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