Ausstellung über Clubkultur: Reden wir mal über das Fotoverbot
Der eine blickt durch die Kamera, die andere legt auf. Ein Gespräch mit Martin Eberle und Kerstin Egert über eine lichtscheue Szene.
Nach der Wende begann die Clubszene in Berlin zu boomen. Viele junge Menschen zog es ins Nachtleben, um sich kreativ auszuleben und exzessiv zu feiern. Bis heute hält der Erfolg der Clubkultur an.
Ihr widmet sich auch eine neue Ausstellung im C/O Berlin: „No Photos on the Dance Floor!“. Kerstin Egert, bekannt unter dem DJ-Namen Tama Sumo, und Fotograf Martin Eberle diskutieren anlässlich der Eröffnung über die besten Seiten des Ausgehens, Fotoverbote und die Gemeinschaft auf der Tanzfläche.
Kerstin Egert, Sie legen seit 1993 House auf und sind als Tama Sumo Resident-DJ im Berghain. Martin Eberle, Sie haben zwei Jahre in der Galerie Berlintokyo mitgearbeitet und als Fotograf das Nachtleben in den 90er Jahren begleitet. Finden Sie es bedauerlich, dass es aus dieser Zeit so wenige Bilder gibt?
KERSTIN EGERT: Ich finde es schade, weil ich noch mal gucken will, wie die Leute und Orte aussahen – ob das so war, wie in meiner Erinnerung abgespeichert. Auf der anderen Seite war es ganz schön, dass nicht permanent etwas aufgezeichnet wurde. Dieses „Hey, wir posen noch mal ganz hübsch“ fand nicht statt.
MARTIN EBERLE: Ich weiß nicht, ob Ihr Eindruck daher kommt, dass heute jederzeit eine Masse an Fotos verfügbar ist. Ich habe nicht das Gefühl, dass diese Zeitspanne schlecht bildnerisch erfasst ist.
Aus dem ersten Planet, dem Walfisch oder dem WMF am Potsdamer Platz beispielsweise gibt es nirgends Bilder.
EGERT: Stimmt, ich habe im Internet nichts gefunden. Meine Frau ist erst 2012 aus Johannesburg nach Berlin gezogen. Ich wollte ihr zeigen, wie es 20 Jahre vorher in Berlin war. Selbst von einem bekannten Club wie dem E-Werk habe ich kaum etwas aufgestöbert, nur vom Tresor, der damals noch in der Leipziger Straße war.
Die Fotografieausstellung in der Stiftung C/O Berlin heißt „No Photos on the Dance Floor!“. Das impliziert, dass man in Clubs keine Menschen mit Kameras dabeihaben wollte.
EBERLE: Ich finde den Titel irreführend. Es wurde immer fotografiert, wenn es eine Teilhabe am Geschehen gab. Ein Fotograf, der an einer Situation teilnimmt, und ein Publikum, das bereit ist, diesen Moment mit ihm zu teilen. Natürlich verändert jede Medienanwesenheit die Situation. Aber schauen Sie sich die „Frontpage“ an ...
... die Zeitschrift für Rave-Kultur existierte bis 1997 ...
EBERLE: ... sie hatte einige Leute, die teilweise bis morgens um fünf die Partys dokumentiert haben. Natürlich kann man nicht mit einem falschen Selbstverständnis in die Clubs gehen: Erst einmal reinsteppen und mit drei Blitzlichtern alles durchfotografieren.
EGERT: Das hat genervt, wenn jemand von außerhalb der Community kam. Da stand vorher schon das Zerrbild fest, das sie bestätigen wollten: Ah, die schmeißen sich Pillen ein und schießen sich zu stampfender Musik ab. Zum Glück gab es Fotografen, die aus der Szene kamen und sensibel nachgefragt haben, ob das okay ist, wenn man einen bestimmten Moment einfängt. Der Club war schließlich unser Zuhause, in dem man sich aufgehoben fühlte und ausprobieren konnte.
EBERLE: Als Gruppe bildeten wir eine Gemeinschaft. In der Galerie Berlintokyo haben wir immer gesagt: Wir machen einen Raum. Es bestand die Möglichkeit, darin seine Ideen auszuprobieren – mit Musik, Kunst, allem dazwischen. Dadurch hat sich ein Netzwerk von Gleichgesinnten geformt. Ich bin ausgegangen, um meine Freunde zu treffen. Die Musik spielte für mich eine untergeordnete Rolle.
Das war bei Ihnen anders, Frau Egert?
EGERT: Techno, House, das war für mich eine musikalische Revolution. Ich bin ausgegangen, um das zu hören. Rein in den Tresor, weil wir wussten, da spielen irgendwelche DJs aus Detroit.
Wie war das erste Mal?
EGERT: Bombastisch. Eine Reizüberflutung. Im Erdgeschoss gab es eine kleine Bar, dahinter ging man eine Treppe runter, stand plötzlich in diesem niedrigen Raum mit Stroboskopgewitter und lauter Musik.
EBERLE: Und der Schweiß der Tanzenden tropfte als Kondenswasser von der Decke.
EGERT: Ich erinnerte mich auch, wie ich zum ersten Mal in den Planet ging. Eine Freundin hatte nur gesagt: Köpenicker Straße, zweiter Hinterhof. Da war nichts ausgeleuchtet, da standen keine Menschenschlangen davor, ich bin durch die Höfe gestolpert und dachte, ich habe mich verirrt. Bis ich irgendwo ein dumpfes Pochen gehört habe. Auf einmal mache ich eine Tür auf, stehe in einem ausgeleuchteten Raum, voller Leute, tolle Musik – und das hatte gar nichts mehr mit der grauen Wirklichkeit ein paar Minuten vorher zu tun.
Herr Eberle, Sie haben für Ihr 2001 erschienenes Buch „Temporary Spaces“ Clubs ohne Menschen fotografiert, einmal von außen und einmal von innen.
EBERLE: In dieser architekturbezogenen Arbeit habe ich mich mit den Rahmenbedingungen für einen Club beschäftigt. Was braucht man, um eine simulierte Privatheit in einen letztlich öffentlichen Raum zu überführen – der sich dann unterscheidet von der Raucherkneipe nebenan. Wie präsentiert sich der Club nach außen, in die Stadt? Oft war nicht erkennbar, was sich hinter einer Tür verbirgt. Der Tresor hatte eine Neonschrift an der Fassade und war damit ziemlich die Ausnahme. Ich wollte festhalten, wie man den Club als erster Besucher erleben würde. Normalerweise kommt man nicht auf die Idee, sich die Decke anzugucken und zu überlegen, wie sind denn hier die Stromkabel verlegt?
Außer man ist vom Ordnungsamt.
EGERT: Die wussten oft gar nicht, wo die Partys stattfanden.
EBERLE: Eben, das war in der Tat eine besondere Zeit. Die Fotos bieten eine Möglichkeit, sich diese Orte, die es nicht mehr gibt, genauer anzugucken. Die Hardware des Clublebens zu zeigen.
Auch ein Grund für die fehlenden Partygäste auf den Bildern: weil man Exzess schlecht einfangen kann?
EBERLE: Ich habe zwei Bilder nach der letzten Nacht im Berlintokyo gemacht. Wir haben den Laden nach drei Jahren bewusst geschlossen, weil wir das Gefühl hatten, das Konzept würde sich von nun an in einer Endlosschleife totlaufen. Auf den Fotos sieht man die Überreste einer Nacht. Aber nicht, um den Exzess zu dokumentieren, sondern den Endpunkt einer Entwicklung. Exzess an sich ist langweilig, passiert doch überall, seit tausenden Jahren. Man entäußert sich, und jeder macht, was er will. Daran hat sich nichts verändert über die Jahre.
Haben Sie vom DJ-Pult aus denselben Eindruck, Frau Egert?
EGERT: Ja, wir haben höchstens mehr Leute in Berlin, die ausgehen. Die Stadt ist ein Touristenmagnet geworden.
Alle feiern wesentlich länger in einem Club als vor 20 Jahren.
EGERT: Die Partys im Berghain gingen vor 15 Jahren in den Sonntagnachmittag oder vielleicht in den frühen Abend hinein. Wir hatten den Gag: Um acht machen wir zu, damit es noch alle zum „Tatort“ schaffen.
Heute arbeiten Sie im Schichtsystem.
EGERT: Ein DJ-Set kann zu jeder Zeit am Wochenende stattfinden. Inzwischen haben wir eine Stoßzeit, die von Samstagnacht bis Montag früh geht. Das hat sich über die letzten Jahre häppchenweise weiter nach hinten entwickelt. Niemand hat das so entschieden, die Besucher bleiben einfach länger oder kommen häufig auch im Schichtsystem.
Sie runzeln gerade die Stirn.
EGERT: Wir sprechen im Moment sehr positiv über die 90er Jahre. Eine tolle Zeit, doch im Rückblick fällt mir auf, dass das Publikum weniger gemischt war als heute.
Wie war es beispielsweise im Berlintokyo?
EBERLE: Wir haben immer gesagt: Studentendisko. Die Szene war kleiner, sie hing eng zusammen. Jeder Club hatte damals einmal die Woche auf. So ist man halt dienstags hierhin, mittwochs dorthin. Immer wieder hat man dieselben Menschen getroffen.
EGERT: Über die vergangenen 15 Jahre hat sich das verändert, es kommen Leute mit unterschiedlichen sozialen, kulturellen Backgrounds zusammen. Das finde ich toll. Ich glaube, man hat früher kaum ältere Leute auf dem Dancefloor gesehen. Vor 20 Jahren gab es eine Frau, die war mit 50 noch im 90 Grad. Das hatte für uns einen Wow-Effekt. Heute bin ich selbst in der Altersgruppe und fühle mich nicht als Alien im Club.
„Fotoverbot macht die Leute neugierig, regt ihre Fantasie an“
Hat sich die Welt der DJs ebenso diversifiziert?
EGERT: Zum Glück werden mehr Frauen gebucht als früher. Schade nur, dass davon hauptsächlich weiße Frauen profitieren. Es muss dahin gehen, mehr Künstler aus der LGTBIQ-Community oder Menschen mit anderer Hautfarbe zu buchen. Es ist wahnsinnig weiß hinter der Kanzel. Gerade wenn man bedenkt, dass die Musik aus der schwarzen Kultur kommt. Die Tanzfläche ist diverser als das DJ-Programm.
Davon wird die Nachwelt wenig erfahren. Nach wie vor gilt im Berghain: Keine Fotos! Warum diese Angst?
EGERT: Der Club gründet sich auf die Idee, Freiheit auszuleben, auch sexuell. Man möchte den Besuchern diesen geschützten Raum geben in einer Zeit, in der alles schnell festgehalten und ins Internet hochgeladen wird. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde Fotos auch toll. Ich hätte gern mal ein Foto aus dem Berghain-Garten.
Im Sommer öffnet neben dem ehemaligen Kraftwerk ein Open-Air-Dancefloor mit eingebauter Sprinkleranlage. Neulich dort beobachtet: Wie sich zwei Mädchen auf den Sockel eines Betonphallus setzen und eine Tupperdose mit Obstsalat rausholen.
EGERT: Genau, Schnittchen, um fit zu bleiben. Solche Situationen würde ich gern festhalten, solche Charaktere. Was ich nicht bräuchte, sind Bilder von DJs, die auflegen, oder von der tanzenden Masse. Wenn alle mit der Kamera rumlaufen, von 600 Besuchern zwei Drittel erst mal ein Foto machen, zerstört das einen Moment.
Herr Eberle, wie sehen Sie das Verbot aus der Sicht des Künstlers mit der Kamera?
EBERLE: Ich bin kein Fotograf, der eindringen will. Ich versuche mich, in eine Situation langfristig zu integrieren. Dadurch entstehen andere Beziehungen – und andere Möglichkeiten.
Welche Beziehungen haben Sie zum Berghain?
EBERLE: Ich habe auf Einladung des „Groove“-Magazins ein Foto vor dem Eröffnungsabend 2004 gemacht. Vom Hauptfloor in der ersten Etage. Bevor es losgeht. Ein Bild, das den Ort aufblitzen lässt. Danach existiert im Grunde kein Bild mehr – und damit bleibt ein Geheimnis bestehen. Alle möchten nun wissen, wie es hinter den Mauern aussieht. Dieses Verbot macht die Leute neugierig, regt ihre Fantasie an.
EGERT: Jemand hat mal das Berghain gezeichnet, ein anderer es als Miniatur nachgebaut. Das wäre bei einem Club, der Fotos erlaubt, gar nicht nötig. Ich erinnere mich, dass ich in der Anfangszeit einmal ein Foto in der Panoramabar gemacht habe. Nachdem ich das letzte Set gespielt habe, alle Besucher weg und nur noch zwei Freundinnen übrig waren. Sofort kam ein Türsteher und sagte: Nee, nee, das wird gelöscht. Habe ich auch getan.
Clubs öffneten früher für ein paar Monate, heute existieren einige länger als zehn Jahre. Was hat sich dadurch verändert?
EGERT: Die Clubs setzen bei Bookings mehr auf Sicherheit. Ich habe den Eindruck, früher wurde mehr experimentiert. Als Dimitri Hegemann im Tresor die ganzen Jungs aus Detroit eingeladen hat, gab es keine Erfahrungswerte. Man konnte nicht wissen, wie die Musik ankommen würde.
EBERLE: Wer sich heute entschließt, einen Club zu machen, braucht einen Architekten, der schaut, ob die Decke wirklich trägt. Ich erinnere mich gern an das große Loch im Fußboden, das es im ersten 103 gab – einem DDR-Pavillon an der Friedrichstraße. Da hat man halt die Bar vor das Loch gestellt, damit keiner reinfällt.
Überrascht es Sie, dass wir in Berlin weltweit bekannte Clubs mit erstaunlicher Kontinuität haben?
EBERLE: Ich stand 2004 mit einem der Gründer im Berghain und habe ihm gesagt, dass ich es erstaunlich finde, zu diesem Zeitpunkt und in dieser Dimension auf Techno zu setzen. Ich hätte nicht erwartet, dass man das nochmal in eine permanentere Form gießt.
EGERT: Komischerweise habe ich das genauso empfunden. Ich fand die Architektur beeindruckend, dachte aber: Ganz schön groß, den Raum muss man erstmal regelmäßig füllen. Ziemlich mutig in einer Zeit, in der es bereits unzählige Partys in Berlin und noch viel weniger Touristen gab als heute.
EBERLE: Mit solchen Langzeitclubs ist die spontane Raumnutzung zu Ende gegangen. Das ist auch ganz richtig so. Diese Art von Ausgehen gehörte zu einem Umbruch, der nun abgeschlossen ist. Dafür sind neue Clubs entstanden, die es nach wie vor gibt – etwa das Watergate. Aber eben kein Ort, in dem man für drei Monate schaut, was man Interessantes schaffen kann.
Also ist das gelegentlich heraufbeschworene Clubsterben ein Märchen?
EGERT: Ich krieg das schon mit. Vielleicht liegt es auch mit daran, dass es immer mehr Festivals gibt. Die Saison geht mittlerweile von Mai bis Oktober. Und jetzt starten sogar Winterfestivals. Die Kids sparen, weil ein Festivalticket nicht gerade billig ist, hinzu kommt der Flug. Und in dieser Zeit sind die Clubs leerer. Das Phänomen Sommerloch kenne ich noch aus den 90er Jahren. Da hat man gern mal für zehn Leute aufgelegt, weil alle im Urlaub waren.
Für die 90er Jahren haben Sie die Begriffe Familie und Gemeinschaft verwendet. Sind diese für heute auch gültig?
EGERT: Ich glaube, der Community-Gedanke ist ins Hintertreffen geraten. Ist halt alles größer und professioneller. Dabei ist mir das wichtig. Ich freue mich, wenn ich im Berghain auflege und die Stammgäste sehe, die immer kommen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass in letzter Zeit das Bedürfnis nach einer Gemeinschaft wieder wächst. Was gerade politisch passiert, gibt kaum Halt und deprimiert. Die Menschen sehnen sich nach einem Ort, wo sie ein paar Stunden loslassen können von dem, was drumherum passiert.
Ulf Lippitz
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