Techno in Berlin: Die Nachtschicht
Irrsinnige Schlangen, illegale Drogen, steile Karrieren: Das Berliner Nachtleben ist heute so legendär wie professionell. Ein großer Zirkus – und ein sagenhaftes Business.
"Alles klar bei dir?"
Cristobal schürzt seine Lippen, nickt, seine Hände bleiben in den Taschen seiner schwarzen Lederjacke. Er schaut hoch, dem Türsteher lange genug in die Augen, um blickfest zu wirken. Cristobal weiß, was er tut. Er macht das häufiger.
Er hat ein bisschen Ecstasy im Blut, getrunken und gekifft hat er auch. Seit 24 Stunden ist er schon unterwegs, es ist ein Uhr nachts, für ihn ist es Nacht Nummer zwei. Cristobal aber wirkt agil. Mit seinem breiten Kreuz, dem Zehn-Tage-Bart, kurzen Haaren und leicht tänzelnden Gang könnte er ein Boxer sein. Runde sieben. Etwas mitgenommen, aber bereit, über die volle Distanz zu gehen.
Neben dem Kopf des Türstehers hängt ein grelles Licht, so ein Aggro-Licht, das Cristobals Augenringe in all ihrer violetten Pracht erstrahlen lässt. Für ihn fühlen sich Berliner Partynächte "like Paradise" an, sagt er, aber hier scheint es, als müsse erst durch die Höllenpforte, wer in den Himmel will. Es verstreicht ein Moment und noch einer. Dann endlich geht der Türsteher beiseite. Cristobal tritt ein.
Das Berliner Nachtleben ist legendär. Aus der ganzen Welt kommen die Menschen, um diese Party mitzuerleben, um mitzufeiern, um einmal in diesen Mythos einzutauchen, der wie jeder Mythos aus der Ferne betrachtet noch größer wirkt. Es ist auch nötig, einen Schritt zurückzugehen, um zu sehen, dass dieses Nachtleben ein hartes Geschäft ist, in dem es um viel Geld geht, um harte Arbeit, Kontakte und Likes.
House und Techno, natürlich das Berghain, das Watergate, das Sisyphos, aber auch die unzähligen anderen Clubs von der Griessmühle in Neukölln und eben das About:blank hinter dem neuen Bahnhof Ostkreuz sind für Berlin, was das Kollosseum und das Forum Romanum für Rom, was Eiffelturm und Arc de Triomphe für Paris und was Ballermann und Schinkenstraße für Mallorca sind: Touristenmagnete, die lange Schlangen und großen Rummel produzieren und längst Teil des ganz speziellen Bildes der Stadt geworden sind, einerseits. Und ein knallhartes Business andererseits - und neben der oft besungenen Berliner Startup-Branche ein Weg, in relativ kurzer Zeit sehr, sehr wohlhabend, wenn nicht sogar richtig reich zu werden. In wenigen Branchen sind die Einkommensunterschiede zwischen prekären Clubbetreibern und weltweiten Superstars so massiv. Und die Wege zu kurz. Es ist ein offenes Geheimnis, dass man in Berlin als DJ mit viel Ehrgeiz und etwas Glück Millionär werden kann.
"Hinter der Liebe lagen auch einige Taler"
Und natürlich spricht gleichzeitig im Berliner Nachtleben niemand gerne konkret über Geld, Gagen, Budgets, Kalkulationen. Weil sich Berlin - wie der Kulturwissenschaftler Jan-Michael Kühn in seiner Dissertation "Die Wirtschaft der Techno-Szene" schreibt, allem Geld und allem Zuspruch zum Trotz als Hochburg des Undergrounds versteht. Kühn schreibt über seinen eigenen Weg in die Nacht und ins Geschäft: "Hinter der Liebe lagen auch einige Taler. Und irgendwie entwickelte er auch einen Marktwert. Damit konnte er mehr Gage bekommen, aber auch auf den cooleren Partys spielen und dabei eine Menge Spaß haben."
An dieser Stelle muss kurz der Bass aussetzen und Licht ins Dunkel der Clubs geworfen werden: Wer es in Berlin schafft, sich als DJ zu etablieren, sich einen Namen zu machen, einen Booker zu finden, vielleicht auch eine PR-Agentur, dem stehen jedes Wochenende über 30 verschiedene Clubs offen. Clubs, die oft von Freitag bis Montag geöffnet sind und dementsprechend auch viele DJs, nun ja, verbrauchen: Begeisterte Anfänger, die für eine Stunde Musik am Anfang des Abends grob 300 Euro bekommen. Die Fortgeschrittenen, die mit 800 Euro nach Hause gehen und auch schon mal in die Schweiz fliegen dürfen. Die Oberklasse, die eigene Fans in die mittelgroßen Clubs bringen und dafür 4000 Euro mit nach Hause nehmen. Und auch große Namen, wie den des Innervision-DJs Dixon mit seinem eleganten, melodiösen House (77.000 Follower auf Instagram) oder Marcel Dettmann, der Berghain-Resident mit seinem kompromisslosen, reduzierten Techno (112.000 Follower auf Instagram) oder Ellen Allien, die Anfang der 2000er eines der Aushängeschilder für Berliner Techno schlechthin war und bis heute zu dem Größen der Stadt gehört (174.000 Follower auf Instagram). Und die allesamt deutlich mehr verdienen.
Allein die Berghain Ostgut GmbH, unbestrittener Branchenprimus, hat im Geschäftsjahr 2016 eine Million Euro offiziellen Gewinn verbucht. Die Berliner Politik weiß das: Ende vergangenen Jahres erst hat der Senat hat den Clubs der Stadt eine Million Euro für die "Minderung von Feierlärm" aus Steuergeldern zur Verfügung gestellt - die Berliner CDU hatte sogar fünf Millionen gefordert. Detroit Techno und Chicago House sind längst nicht mehr nur Berliner Kultur. Es sind Boombranchen.
Und das liegt vor allen Dingen an Menschen wie Cristobal, der es in diesem Augenblick auf seine Weise geschafft hat: hinein ins Paralleluniversum, hinein in den Club, hinein ins About:blank.
Die wichtigste Person im Club
Sofort packt der Bass, wummert, dringt durch, als könnte mit diesem Bass im Ohr ein jeder durch Wände gehen. Cristobal ist noch nicht so weit, erst einmal ein Club Mate mit Wodka, abtrinken, Sprit rein, in die Flasche, in Cristobal, dann vor, erster Floor, zweiter Floor, wieder zurück, kurz chillen, ankommen, Leute suchen. Durchatmen.
Cristobal ist an diesem Abend, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, die wichtigste Person im Club. Er entscheidet, aus welchem Club am Ende des Abends große Stapel mit Bargeld getragen werden. Er entscheidet, wer wieviel Geld für seinen Auftritt bekommt.
Nicht er persönlich, natürlich nicht. Aber er und all die anderen Menschen, die hier herumirren, herumstehen, erst langsam und zögerlich, dann zunehmend selbstverloren tanzen: Alles hängt an ihnen, den vielen tausenden Cristobals, die jedes Wochenende zu den Partys strömen. Weil sie das Geld in die Clubs bringen, das andere später heraustragen.
Cristobal ist 27. Er hat es in Chile gut gehabt. Erst will er Natur, bekommt sie, als Weinbauingenieur. Er will dann Geld, das geht auch, er arbeitet bei einer Bank. Kohle, Freundin, alles, "aber ich wollte die Welt sehen". Also hinaus, so richtig ins Grüne, das ist sein Plan, doch sein Visum für Neuseeland kommt nicht rechtzeitig, er disponiert um, hat viel von Berlin gehört, kommt her, findet über Facebook Freunde, andere Chilenen, Spanier, schmeißt zum ersten Mal in seinem Leben eine Pille. "Ich habe früher nie elektronische Musik gehört", sagt er, der immer mehr der Gitarre-am-Lagerfeuer-Typ war. "In Chile ist das Ausgehen so formell. Menschen beurteilen einander ständig. Und dass ein Club tagelang geöffnet hat, das existiert da nicht."
Das Business ist männlich - noch
Kurz setzt Cristobal sich an den Rand und sinkt erschöpft zusammen. Aber der Bass richtet ihn auf, hebt ihn hoch, treibt ihn zum Floor, lässt Cristo tänzeln, seinen Kopf kreisen, lässt ihn verschwinden und wieder auftauchen. "Habe vorhin nochmal ein Viertel genommen", sagt er irgendwann, ein Viertel Ecstasy, jetzt steht Tanzschweiß auf seiner Stirn, es riecht nach Rauch und Mensch, warm und sauer. Natürlich nehmen viele Clubgänger in Berlin Drogen. Die Clubs, die Veranstalter, auch die Polizei dulden das in einem gewissen Rahmen. Natürlich kontrollieren die Türsteher und schmeißen alle raus, die Drogen bei sich tragen und schicken die nach Hause, die zu kaputt sind. Aber klar ist auch: Es sind alles Erwachsene. Die allermeisten wissen, wie man Drogen nimmt, wissen, dass es tödlich sein kann, einfach ein, zwei Pillen auf einmal einzuschmeißen, wissen überhaupt, was der Körper braucht und abkann - und was nicht.
Die Räume im About:blank sind verschachtelt und niedrig, reihen sich aneinander wie in einem Ego-Shooter. Hinter dem DJ-Pult steht eine junge, große Frau mit Afro, Sarah Farina. Schon dass da eine Frau steht, ist auch in Berlin eher die Ausnahme. Das Business ist immer noch sehr männlich.
Jetzt hebt Farina den Arm, lässt ihn melodisch im Takt schwingen. Cristo sieht das, macht ihr die Bewegung nach, die Musik wabert in vielen Farben hin und her. Kein monotones Diggi-däm, Diggi-däm, Diggi-däm. Sondern, das ist die zweite Ausnahme, eine Achterbahnfahrt voller neuer Abzweige, von Grime bis Jungle, schnell, elektronisch, tief. Frequenzen, die wie Pfeile in den Körper dringen. Cristo lässt sich treffen, legt sich in die Kurven, verliert sich in der Nacht.
Am nächsten Tag sitzt Sarah Farina in einem Café am Kottbusser Tor. Sie selbst legt wert drauf, als weibliche DJ nicht Djane genannt zu werden. Kein Problem. Und von sich selbst sagt sie: "Ich bin gar kein Partymensch."
Farina lebt straight edge: ohne Fleisch, ohne Alkohol und andere Drogen, auch ohne Koffein. "Es kommt vor, dass Partygäste um mich herum wie in einer anderen Welt sind, dass ich mich disconnected fühle. Aber meistens kann ich mich über die Musik, die ich auflege, mit den Menschen verbinden."
Sie trägt einen legeren Pulli und Jeans, sie trinkt Tee, spricht ruhig und melodisch. Sie erzählt ihre Geschichte, die eine sehr berlinige Geschichte ist. 2008 kam sie mit 18 Jahren her, ist heute 27. "Ich bin in einem kleinen Ort in Bayern aufgewachsen. Es ist schön da."
Sie kamen ins Gespräch - und ins Geschäft
Beim Sprechen schließt Farina manchmal die Augen, als würden Klangpartikel der Nacht noch durch sie strömen. "Mit der elektronischen Musik hat sich mir ein ganz neues Universum eröffnet." Sie hat erst Gitarre und Bass gespielt, eine Musikakademie abgebrochen, ist dann über Freunde zum Auflegen gekommen, hat ihre Chance bekommen. "Ich habe auch ganz schön Glück gehabt und Menschen um mich herum, die mich unterstützt haben", sagt sie. Vor allem das DJ-Duo Sick Girls, seit den 90er Jahren in der Szene verwurzelt, hat Farina gefördert. "Ich war immer die letzte auf ihren Partys. Irgendwann kamen wir ins Gespräch." Und, auch wenn sie das so unromantisch nie ausdrücken würde, auch ins Geschäft.
Draußen wuselt ein Menschengewirr, um, im und am Kotti, im Vergleich zum Club wirkt dieses Gewusel schief dirigiert, als würde ein ordnender Beat fehlen, der all die Energien zusammenführt, dem Strom eine Richtung gibt. Farina hat ihre Richtung spätestens seit zwei Jahren so weit gefunden, dass sie allein von ihrer Kunst leben kann. Zu ausgedehnten Club-Touren durch Asien hat sie es gebracht, zu DJ-Sets beim immer noch wichtigen YouTube-Format "Boiler Room", bei dem DJs vor laufender Kamera live auflegen und hinter ihnen die Tänzer stehen, trinken, rumwippen, zu Auftritten bei der Fusion, der größten und wichtigsten und traditionell Monate im Voraus ausverkauften Festival der Berliner Techno- und House-Branche.
Wie viele Künstler fühlt Farina sich unwohl mit der Definition ihres eigenen Schaffens, aber sie hat sich durchgerungen und ihrem Stil einen Namen gegeben: "Rainbow Bass." So gleichmäßig sie spricht, so oft wechselt sie in ihren DJ-Sets das Tempo, bringt Musikstile zusammen und die Erwartung der Clubgänger durcheinander. Das machen in Berlin nicht so viele und deswegen ist es gut. Es ist eine Marktlücke. Aber wie arbeitet man sich in so einen Markt vor?
"Früher hat es gut funktioniert, seine Clubnächte in sozialen Netzwerken zu promoten. Heute gibt es ein totales Überangebot", sagt Farina und es ist, wie es schon klingt: So richtig gefällt ihr das nicht. "Likes und Follower sind die neue Währung", sagt sie. Und: "Es muss sich ehrlich anfühlen." Was Farina nicht davon abhält, mitzumachen: Wie mittlerweile alle DJs, Partys und Labels in Berlin vermarktet sie sich auf Instagram, postet unter sarahfarinabln kleine, niedliche Ankündigungsvideos für ihre Auftritte und Fotos, die sie mit Kopfhörern beim Auflegen oder mit anderen DJs beim Rumhängen vor und nach den Gigs zeigen, idealerweise irgendwo im Ausland. Fast 3000 Menschen wollen das sehen - das ist im Berliner Vergleich nichts. Auch wenn Farina zunehmend in Amsterdam, Bochum und Lyon auflegt und nicht mehr nur in Neukölln und Friedrichshain, auch wenn sie vergangenes Jahr in Tokio und Seoul gespielt hat: Angesichts dessen, was in Berlin möglich ist, ist sie noch ganz am Anfang.
Inzwischen posieren DJs in der "Vogue"
Wenn Sarah Farina am Kottbusser Tor das Mittelfeld des Spektrums der Budgets und der Professionalisierung der Berliner Clubkultur markiert, sind Melissa Taylor und Alexa Gansera mit ihrem Büro im fünften Stock vermutlich das andere Ende.
Hier, gleich neben dem legendär-berüchtigten Ficken3000, dem Schwulenclub, der als Keimzelle der Berliner Mischung aus Techno und Darkroom gilt, sitzt die Agentur Tailored Communication, eine der wenige PR-Agenturen in Berlin, die sich auf DJs, Produzenten, elektronische Musiker und von Festivals bis Events überhaupt alles spezialisiert hat, was mit Techno und House zu tun hat.
Zu den Kunden von Tailored gehören unter anderem die amerikanische DJ-Legende Carl Craig, die aus dem sibirischen Irkutsk stammenden Musikerin und DJ Nina Kraviz, die französische Techno-Pionierin Chloé und mit der Niederländerin Steffi außerdem ein Berghain-Resident-DJ.
Gerade hat Tailored Nina Kraviz ein Feature in der deutschen "Vogue" verschafft, inklusive Modestrecke - was angesichts des maximal rhythmischen und wenig eingängigen Sounds, den Kraviz in ihren Liedern und DJ-Sets pflegt, einem kleinen Wunder gleichkommt.
Dass Tailored so erfolgreich ist, hat vor allem damit zu tun, dass Melissa Taylor ihr Handwerk in den 00er Jahren in London in einer großen Pop-PR-Agentur lernte, dann für den legendären Londoner Club Fabric und dessen Label die Kommunikation übernahm, sich selbständig machte und zum perfekten Zeitpunkt nach Berlin kam. Nämlich kurz vor der großen Welle, die der Journalist Tobias Rapp einst in seinem gleichnamigen Buch über die Berliner Jeunesse dorée das "Easy-Jet-Set" nannte. Zu einem Zeitpunkt, als in Berlin Promotion noch von halbnüchternen Partytieren noch schnell kurz vor dem ersten Bier erledigt wurde, hatte Taylor nicht nur eine ausgewählte Datenbank voller Kontakte nach Großbritannien und in die USA, sondern auch ein Maß an Professionalität, das in Berlin, etwas überspitzt formuliert, nicht nur unbekannt war, sondern dessen Notwendigkeit niemand sah. Ganz einfach, weil die Berliner einfach nur feiern wollten, während die Briten schon mitten im Geschäft waren. In den mittlerweile 14 Jahren, in denen es Tailored gibt, hat sich die Medienlandschaft massiv verändert: Dutzende Magazine über elektronische Musik, über Musik insgesamt sind eingestellt worden, erst übernahmen Blogs, dann große Onlinemagazine, dann Social-Media-Seiten, Mp3s lösten CDs ab und wurden selbst von Spotify verdrängt.
Alle, wirklich alle schauen zuerst ins Netz
Aber auch Berlin hat sich verändert: Heute locken nicht nur die Musik und der Lifestyle die Anfang-20-Jährigen hinter die Mischpulte, sondern auch die Aussicht auf Glamour und Geld.
Die Ochsentour des Nachtlebens hat, fürchterlich vereinfacht beschrieben, vier Stufen: Erst spielt man für wenig Geld im Gefolge von bekannteren DJs, oft die ersten, meist leeren Stunden einer Party. Dann veranstaltet man eigene Partys, verbündet sich, versucht sich als Kollektiv einen Namen zu machen. Dann braucht man einen Booker, der die Gagen mit den Clubs und Partys verhandelt und die Reisen organisiert, quasi: einen Agenten, der sich genau überlegt, für wen er arbeitet und für wen nicht. Weil die Booker prozentual bezahlt werden.
Und erst wenn man als Künstler so weit etabliert ist, dass man eigene Alben veröffentlicht und in die weitere Öffentlichkeit treten will, braucht man eine erfolgreiche PR-Agentur wie Tailored, die die Medienlandschaft kennt und bei Bedarf auch eine Strategie entwickeln kann, wie man sich auf Social Media präsentiert.
Denn alle, wirklich alle in diesem Geschäft schauen zuerst einmal ins Netz, wenn sie wissen wollen, wofür ein DJ steht, für welchen Sound, welche Nische. Aber auch wenn sie wissen wollen, ob ein DJ seine Gage wert ist. "Die Promoter der Clubs und Partys schauen mittlerweile sehr genau, wie viele Follower ein DJ bei Instagram, auf Facebook oder Soundcloud hat", sagt Gansera. "Die Frage ist, was dein Name wert ist" sagt Taylor. "Wie viele Leute kommen zu dieser Party, um genau dich spielen zu sehen?"
"Strictly no GHB. And leave your camera here"
Also: bitte einmal durchzählen. Es ist Ostermontag, kurz nach 14 Uhr und zwischen der Bar und dem großen Dancefloor der Griessmühle am Neuköllner Schifffahrtskanal, gleich neben dem Estrel, steht eine Wand aus Schweiß, Gras und verbrauchter Luft. Draußen tänzeln eintrudelnde Clubgänger erstmal zur Bar, in den zweiten, helleren Raum, wo es neben Getränken auch Lasagne (4 Euro), Hot Dogs (2,50 Euro) und Bananen (1 Euro) gibt, setzen sich erst einmal raus zwischen Holzpaletten aus zwei ausrangierte Trabis und kommen an. Auf der anderen Seite des Kanals liegen Containerschiffe und das sogenannte Chicken Center, ein Restaurantgroßmarkt. Über dem Garten hängt ein Sprachgemisch aus Niederländisch, Englisch, Hebräisch und Berlinerisch. "So viele Leute um die Zeit ist doch unnormal, Alter!" schreit eine Anfang-20-Jährige mit bauchfreiem Top und weißen Fila-Plateauturnschuhen ihren Freunden zu.
Grob geschätzt 300, 400 Menschen tanzen im großen Raum der Griessmühle, nochmal genauso viele hängen an der Bar rum oder sitzen am Kanal. "We are not alone" heißt die Partyreihe, die Ellen Alliens Label BPitch hier veranstaltet. Der Eintritt beträgt 15 Euro, was das finanziell bedeutet, kann man schnell ausrechnen. Nachts hat zudem Apparat aufgelegt, Teil der Elektro-Supergroup Moderat und auch solo einer der großen Popstars der elektronischen Musik in Berlin, da waren die Schlangen noch lang, sehr lang. Jetzt aber am Nachmittag, füllt sich der Club erst langsam wieder, die Türsteher sind etwas großzügiger, sogar der dänische Tourist, der unbedingt das Berliner Nachtleben live sehen will, darf rein. Zwei Hinweise des Türstehers: "Read our rules: Strictly no GHB. And leave your camera here." Der Däne willigt erleichtert ein. Kein Liquid Ecstasy ist kein Problem. Er darf rein. Sein Geld auch.
Drinnen, in dieser Sauna nach einem Aufguss mit Bier und Schweiß, tanzt Ellen Allien hinter dem Mischpult. Allien tänzelt nicht einfach, sie tanzt, tanzt, tanzt, streckt die Arme hoch, schlägt im Takt drei Mal gen Himmel, wiegt sich, zählt vor, streckt die Hände wieder zur Decke und zieht den Bass runter. Der älteste Trick der Nacht, aber es funktioniert wie fast immer grandios: Alle hier warten, bewegen sich etwas nervös, augenblicklich taktlos, auf sich selbst zurückgeworfen. Allien verschränkt die Arme hinter dem Kopf, jetzt spielt sie Filmmusik, Streicher, sogenannte Flächen, sie dirigiert den Raum, das sphärische Dröhnen. Reckt die Faust. Dann setzt der Bass endlich wieder ein. "Geil, Mann!" schreit ein Typ in einem T-Shirt, auf dem "I would bottom you so hard" steht.
Ellen Allien kennt den Erfolg und seinen Schatten wie vermutlich wenige in dieser Stadt - schon deshalb, weil kaum jemand hier so lange dabei ist, ohne in der Bedeutungslosigkeit verschwunden zu sein. Anfang der 2000er war Allien wie sie es selbst sagt, "ein Berliner Exportschlager", damals, als, wie sie formuliert, "die Welt kapiert hat, dass die Berliner auflegen und feiern können." Und Allien war ganz vorne dabei, "Stadtkind" und "Berlinette" hießen die beiden Alben mit denen sie damals den Sound der Stadt prägte: trocken, aber tänzelnd, treibend, aber melodiös, Techno, der verstanden hatte, wie Pop funktioniert.
Ihr Sound schützt sie vor Vereinnahmung
Aber je länger Allien erzählt, wie wenig Geld man 2018 mit der Musik selbst und vor allem mit Streaming verdient - und wie viel Geld mit Auftritten, wenn man wie Allien innerhalb weniger Tage nach München, Paris, Maastricht und Helsinki fliegt, wie es ist, drei Stunden lang mit dem Mietwagen in die Pyrenäen zu heizen, zwei Stunden zu schlafen und drei Stunden aufzulegen, nur um sofort wieder ins Auto zu steigen, desto mehr verdichtet sich ein Bild einer Branche, in der aus der Liebe zur Musik und zum Loslassen ein Geschäft, aus Freundschaften berufliche Kontakte und aus einem verlockenden Dandy-Lifestyle mitunter ein Knochenjob geworden ist, bei dem nicht Exzess und Spaß nur im Vordergrund stehen. Und Fleiß und Disziplin im Hintergrund.
Und es gibt eine Geschichte, die Ellen Allien nicht erzählt. Nämlich wie Paul Kalkbrenner, der seine Musik früher auf ihrem Label BPitch veröffentlichte, damals vom Regisseur Hannes Stöhr gefragt wurde, ob er nicht in seinem Film "Berlin Calling" einen DJ spielen und den Soundtrack schreiben wolle, wie in Berliner Technokreisen erst leicht belustigt "der Paule macht 'nen Film!" geraunt wurde und Kalkbrenner 2008 schließlich die Columbiahalle zweimal ausverkaufte und insgesamt 7 000 komplett überdrehte Paul-Kalkbrenner-Lookalikes und andere seltsam aufgekratzte Fans ihre Idee von Berlin, dieses DJ-Lifestyle-Ding und den freundlichen, melodiösen Sound von BPitch, von Ellen Allien und Paul Kalkbrenner abfeierten, als stünde da ein Teeniestar auf der Bühne. Alliens Alben sind seitdem immer düsterer geworden, härter. Wenn sie, wie vergangenes Jahr, von Depeche Mode gefragt wird, ob sie einen Remix für die Band anfertigen kann, bekommen auch die Superstars eine düsteren, fast jeder Melodie und jedes Gesangs beraubte Version ihres Liedes. Der Sound ist auch ein Schutz: gegen die Vereinnahmung, gegen den Mainstream, gegen das Geld.
Vier Stunden wird Ellen Allien an diesem Ostermontag in der Griessmühle auflegen, vier Stunden lang wird sie jede Sekunde tanzen, da sein, das Publikum durch den von spärlichem roten und blauen Licht beleuchten Nachmittag tragen. Und nach ihrem Set noch selbst ein bisschen durch die Clubs ziehen, ins Berghain natürlich, in den Tresor, mal reinschnuppern, sich sehen lassen, hören, was die Kollegen spielen, da und dort Hallo sagen.
Dass dieses Geschäft funktioniert, liegt vor allem an drei Faktoren: An Partyexpats wie Cristobal und den Touristen, die jedes Wochenende zu Zehntausenden nach Berlin kommen, weil hier die Auswahl an Partys so groß ist wie nirgends sonst auf der Welt. Daran, dass auch alle anderen ein Stück vom Berliner Mythos abhaben wollen und darum Heerscharen Berliner DJs jedes Wochenende aufs Neue in die Welt fliegen - der Mittelbau nach Zürich und Belgrad, die Topverdiener nach Sao Paolo und Peking. Und es liegt an den spottbilligen Eintrittspreisen, vor allem im Vergleich zu London (wo man schnell über 30 Euro Eintritt zahlt) und Ibiza (wo viele Clubs ab 70 Euro Eintritt nehmen). In Berlin sind es selten mehr als 15 Euro. Weil Berlin immer noch den Underground-Spirit hat, sagt Ellen Allien. Weil Berlin nicht nur das Nashville für Techno und House ist, sagen Spötter. Sondern auch der Ballermann.
Das Gefühl verdeckt das Geschäft
Früher, direkt nach der Wende, hatten viele Clubs nicht einmal eine Steuernummer. Heute wirkt es, als ob man ohne Businessplan gar nicht erst anfangen könnte. Früher gab es Clubs ein, zwei Jahre lang, dann kam was Neues. Heute sind viele Clubs Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit bis zu sechsstelligen Gewinnmargen. Früher legten ein paar Kumpels Platten auf. Heute sind die Bookings hochprofessionelle Verhandlungsmarathons, an deren Ende die Top-DJs schon im April wissen, wo sie Silvester sein werden. Berlin, das ist vielleicht die Pointe, ist dabei noch immer nicht der Ort, an dem das große Geld verdient wird. Aber der Ort, an dem man sich durchsetzen muss, um anderswo, in Sao Paolo, Boston und Barcelona, vor allem aber bei den großen Technofestivals im Sommer in aller Welt fünfstellige Summen für einen Abend zu bekommen.
Ein bisschen ist es in diesem Business wie im Profifußball: Eigentlich wissen alle, um wieviel Geld es geht und dass das Geschäft die Leidenschaft langsam, aber stetig auffrisst. Aber so lange die Show gut und die Leidenschaft so gut wie echt ist, ist das noch kein Problem. Die Marke Berlin funktioniert. Das Gefühl verdeckt das Geschäft. Sarah Farina wird demnächst im Berghain spielen.
Zurück zu Cristobal. Nach zwei Tagen und zwei Nächten ist die Party vorbei, Cristo und seine Freunde sind zu einem Kumpel nach Hause gegangen, brunchen, ausnüchtern. Kein harter Schnitt in die Realität, eher ein sanfter Übergang in ein anderes Tempo. Als er wieder klarer scheint, sagt Cristobal: "Morgen muss ich arbeiten." Er schiebt seinen Kiefer hin und her. Um seine Dauerparty zu finanzieren, geht Cristobal putzen, in Büros und Apartments. Er hält kurz inne und sagt: "Ich wische Böden. Ich meine - fuck, ich habe studiert." Aber irgendwo muss das Geld ja herkommen.
Alle Bilder in diesem Artikel stammen aus der Serie "Funpark" der Berliner Fotografin Lisa Wassmann. Wassmann, die ihre Karriere als Partyfotografin begann, begleitet und beobachtet seit über zehn Jahren das Berliner Nachtleben. Sie arbeitet unter anderem für „Spiegel“, „Zeit Magazin“ und Stella McCartney. „Funpark” wird beim Gallery Weekend zum ersten Mal ausgestellt (Bar 131, Chausseestraße 131, Mitte).
Mitarbeit: Felix Denk
Daniel Erk, Nik Afanasjew