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Galina Balaschowas finaler Entwurf für die Innengestaltung der Mir.
© Archiv Balaschowa

Ausstellung in Fankfurt am Main: Raumfahrt-Architektin Galina Balaschowa

30 Jahre lang gestaltete sie die Einrichtung von Raumfahrzeugen. Doch während der Sowjetzeit war ihre Arbeit geheim. Nun wird Galina Balaschowa mit einer großen Ausstellung geehrt

Es war offenbar eng im Weltall. Ein paar Schritte längs, ein paar quer, schon steht man wieder vor einer Wand oder vor einer weißen Linie auf dem Boden. Galina Balaschowa, die Hände auf ihren Gehstock gestützt, vermisst den Raum mit ihren Augen. Sie trägt einen Rock, einen weißen Pullover und Sandalen. „15 Quadratmeter werden das sein“, sagt sie. Etwa so groß war die Wohn- und Arbeitsfläche in der Raumstation Mir, deren Dimensionen hier im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main nachgebildet sind. Zwischen 1987 und 2001 kreisten immer zwei bis drei Kosmonauten in diesem Basismodul von der Größe eines WG-Zimmers um die Erde; viele blieben monatelang an Bord, die Rekordzeit lag bei 679 Tagen.
Dass es die Raumfahrer überhaupt da oben ausgehalten haben, ist auch Balaschowas Verdienst. Gemessen an ihrem Lebenswerk müsste die 84-Jährige eigentlich eine internationale Berühmtheit sein. Drei Jahrzehnte lang hat sich die Russin um die Gestaltung sowjetischer Raumfahrzeuge gekümmert: unter anderem um das Innere der Sojus-Kapseln, der Saljut-Raumstation und eben der Mir. Das meiste in Eigenregie, „es war die totale Freiheit“, erinnert sie sich. Balaschowa war die einzige Architektin unter lauter Ingenieuren und damit diejenige, die nicht nur die Technik, sondern auch Harmonie und Schönheit im Blick hatte.

Dem Aufenthalt im All verlieh sie ein Zuhause-Gefühl, sie wollte ihn „angenehmer und gemütlicher“ machen – mit diesen Worten beschreibt Balaschowa die Innengestaltung eines Sojus-Raumschiffs. Auf der Skizze erkennt man eines ihrer zentralen Gestaltungselemente: helle Farben. „Im All ist es ja total dunkel, und so ließ sich Strom sparen.“ Der Boden war meist grün, der Rest oft gelblich, die Decke manchmal grau bis blau gehalten. Orientierungshilfe und zugleich Andeutung von Wiese und Horizont in der Schwerelosigkeit. In manchen ihrer Entwürfe hängen sogar gerahmte Malereien an den Innenwänden der Raumkapseln. Tatsächlich ist Galina Balaschowa selbst in ihrer Heimat kaum bekannt, bis zu ihrer Pensionierung 1990 war ihre Arbeit streng geheim, und Balaschowa ist keine, die sich danach mit Enthüllungsgeschichten in den Vordergrund gedrängt hätte. Auf ihre alten Tage erfährt sie nun in Deutschland erstmals öffentliche Anerkennung – und wirkt sichtlich gerührt. „Da, da, da!“, bestätigt sie auf Russisch. „Ja, ja, ja!“ Der Berliner Verleger Philipp Meuser ist vor ein paar Jahren auf die Architektin aufmerksam geworden, er hat ein Buch über sie herausgebracht und jetzt die große Ausstellung im DAM kuratiert, die unter dem Titel „Design für die sowjetische Raumfahrt“ bis zum 15. November zu sehen ist.

Gezeigt werden Zeichnungen, Fotografien, Materialproben und sogar Souvenirs, auf denen sich das von Balaschowa entworfene Logo für die gemeinsame Apollo-Sojus-Mission der USA und der Sowjetunion findet. Zur Seite gestellt ist dieser persönlichen Geschichte ein Abriss zur Sowjetmoderne und zur Kosmonautik, die besonders in den 70er und 80er Jahren zahlreiche sowjetische Designer und Architekten beeinflusste.

Der legendäre Raketenkonstrukteur Sergej Koroljow berief sie auf ihren Posten

Galina Balaschowas finaler Entwurf für die Innengestaltung der Mir.
Galina Balaschowas finaler Entwurf für die Innengestaltung der Mir.
© Archiv Balaschowa

Galina Balaschowa ist für die Ausstellungseröffnung ein paar Tage nach Frankfurt gekommen. Mitgebracht hat sie ihre Enkelin; die junge Frau übersetzt ins Englische, was „Babuschka“, wie Balaschowa sich immer wieder selbst nennt, auf Russisch erzählt. Die Enkelin ist zwar nicht Weltraum-, aber immerhin Landschaftsarchitektin geworden, Balaschowas Tochter arbeitet im Mission Control Center. Die ganze Familie wohnt bis heute in jener Stadt, in der die Forschungsinstitute und Fabriken der sowjetischen Raumfahrtindustrie zu Hause waren und die jetzt als Zentrum der russischen Raumfahrt gilt. Nördlich von Moskau gelegen, hieß sie früher Kaliningrad (nicht zu verwechseln mit dem ehemaligen Königsberg), 1996 wurde sie in Koroljow umbenannt – zu Ehren des genialen Raketenkonstrukteurs gleichen Namens, ohne den die sowjetischen Erfolge im All nicht denkbar gewesen wären. Sergej Koroljow war es auch, der Balaschowa 1963 auf den Posten berief, den sie bis zur Rente behalten sollte. Zwei Jahre zuvor war Juri Gagarin als erster Mensch ins All geflogen, nun plante die Sowjetunion längere Aufenthalte im Kosmos, mit der Innengestaltung der Raumschiffe aber schienen die Ingenieure überfordert. Balaschowa, die bis dahin ganz irdisch Wohnungen für die Mitarbeiter von Koroljows Experimental-Konstruktionsbüro OKB-1 geplant hatte, wurde zu Hilfe gerufen und überzeugte gleich mit ihrem ersten Entwurf, für den sie gerade mal ein Wochenende brauchte. Als „sehr streng“ hat sie den legendären Chefkonstrukteur in Erinnerung, ihr direkter Vorgesetzter zitterte in Koroljows Gegenwart schon mal kräftig. „Ich habe ihm einen Bleistift in die Hand gedrückt, da ging es wieder“, sagt die Architektin und lacht vergnügt.

In Galina Balaschowas frühen Entwürfen wirken die Sojus-Kapseln fast wie winzige, elegante Apartments, die mit Sofas und sogar Bücherregalen ausgestattet sind. Die längste Zeit ihrer Karriere war die Architektin damit beschäftigt, Lösungen für ganz praktische Probleme zu finden: Wie lassen sich die Bordtoiletten bequemer gestalten? Wo stören die Trainingsgeräte, die die Kosmonauten gegen den Muskelschwund nutzen, am wenigsten? Oder: Wie ordnet man all die technischen Apparaturen eines Raumschiffs an (wie lässt man sie am besten verschwinden), so dass dieses möglichst wohnlich wirkt? Balaschowa stand immer in engem Kontakt mit den Kosmonauten. Und sie sorgte sich um deren Wohlbefinden. So setze sie sich in der Mir für möglichst viele Gucklöcher ein, durch die die Männer und Frauen aus der Enge der Station hinaus ins All schauen können sollten. Das Hauptproblem der Kosmonauten war das Fehlen der Schwerkraft: Dokumente schwirrten ebenso umher wie Essen und Kleidung. „Schauen Sie mal hier“, sagt Balaschowa und holt eine Plastiktüte aus ihrer Handtasche. Darin finden sich Beispiele der Klettverschlüsse, mit denen alles überzogen wurde, von den Wänden über die Konservendosen bis zu Werkzeug und Kabeln. Der wollige Kunststoff war „leicht mit dem Staubsauger zu reinigen, nicht brennbar, nicht giftig und so weich, dass es nicht weh tat, wenn man dagegen stieß“.

Viele von Balaschowas Grundprinzipien finden bis heute Anwendung, nicht nur in der russischen Raumfahrt, sondern zum Beispiel auch in der internationalen Raumstation ISS. Galina Balaschowa lebt seit 48 Jahren in derselben Plattenbauwohnung. „Insgesamt sind es 43 Quadratmeter, die Küche hat bloß fünf. Wie eine kleine Raumstation.“ Unzufrieden wirkt die Architektin nicht. Ihre Leidenschaft sind seit vielen Jahren Aquarelle, zart hingetupfte Landschaftsmalereien und Porträts ihrer Lieben – in Kostümen der alten russischen Aristokratie. Die Ausstellungsmacher in Frankfurt haben ihr dafür ein kleines Eck eingerichtet. Dort deutet Balaschowa stolz auf das Bild, das ihre Enkelin auf einem Pferd zeigt. „Ins All“, sagt sie, „wollte ich nie.“

Björn Rosen

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