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Blick zurück. Der 2008 verstorbene Modemacher Yves Saint Laurent auf dem Djemaa el Fna, dem zentralen Marktplatz Marrakeschs.
© Reginald Grey

Ein Museum für den Designer in Marrakesch: Yves Saint Laurents Garten Eden

Wann immer Yves Saint Laurent Inspiration und Anonymität suchte, reiste er in die Farbenwelt seiner zweiten Heimat Marrakesch. Ein Museum würdigt jetzt den Designer.

Februar 1966, es regnet, sieben lange Tage. Die Concierges im Hotel „Mamounia“ flattern nervös durch das Foyer, die Gäste sind unruhig. Da fliegen sie Tausende Kilometer aus Europa nach Marrakesch, und statt sich die staubroten Mauern unter blauem Wüstenhimmel anzusehen, müssen sie ihren Frust mit Whiskey an der Bar ertränken!

Doch plötzlich, über Nacht, verschwinden die Wolken. Morgens strahlt die Sonne, die Vögel singen, intensiver Jasmingeruch kriecht bis in die Zimmer hinauf. Und die marokkanische Stadt präsentiert ihr Farbenspektrum. Karmesinroter Backstein, meeresblauer Himmel, dazu der schneebedeckte Atlas am Horizont. „In Marrakesch habe ich Farben entdeckt“, sagte der Modeschöpfer Yves Saint Laurent später einmal. An jenem Tag im „Mamounia“ nahm seine Liebesbeziehung zur Stadt ihren Anfang.

Tausende besuchen den Garten von Saint Laurent und seinem Lebensgefährten

Eine Zuneigung, die Marrakesch heute erwidert. Überall an den Straßen hängen große Plakate mit dem Gesicht des Designers, Tausende Touristen besuchen den Jardin Majorelle, den Garten von Saint Laurent und seinem Lebensgefährten Pierre Bergé. Es gibt Postkarten, Bücher, Drucke vom und über den Designer, im Hotel „Four Seasons“ haben die Köche sich zu einem Saint-Laurent-Menü inspirieren lassen (Saharajacke: im Tontopf geschmortes Kamelfleisch, Parfüm „Black Opium“: ein Schokoladen-Mandarinen-Parfait), und dieses Wochenende öffnet das neu gebaute Museum für Yves Saint Laurent. Zur Party kamen Catherine Deneuve, Bianca Jagger, Betty Catroux, allesamt Weggefährten und enge Freundinnen.

Bis zu seinem Tod 2008 faszinierte den Designer die Wüstenstadt. Er verbrachte mehrere Monate jedes Jahr dort, lebte in drei verschiedenen Häusern, erst in der alten Medina, schließlich in dem verwunschenen Park vor der meterdicken Stadtmauer. In Marrakesch fand er Ruhe und Inspiration, er zeichnete stundenlang im Garten an seinen Entwürfen, trug dazu Kaftans oder Anzughosen, ließ sich die Haare mal schulterlang wachsen und dann wieder akkurat zurechtstutzen. In Marrakesch blieb er neugierig.

„Er hatte die unschuldigen Augen eines Kindes“, sagt Abderrazzak Benchaâbane, ein 53-Jähriger mit Onkel-Schnurrbart und Brille, der den Modeschöpfer 1998 kennenlernte. Der marokkanische Botaniker katalogisierte auf Wunsch von Bergé und Saint Laurent den Jardin Majorelle, legte ihn neu an, pflanzte mehr Kakteen rechts am Eingang, forstete die Bambusbüsche auf und legte ein Bewässerungssystem an.

In Marrakesch entwarf der Designer den Hosenanzug für Frauen

Bis dahin bekamen die Kakteen, Orangenbäume oder Lilien ihr Wasser, wann immer es den Hausherren oder ihren Bediensteten recht erschien. Selbst tagsüber, wenn die Sonne brannte. Eine horrend hohe Wasserrechnung war die Folge, völlige Verschwendung, auch wenn das Benchaâbane so nie sagen würde. Er setzte durch, dass der Garten nur noch nachts gegossen wurde.

Yves und Marrakesch. In der Stadt öffnete er sich und skizzierte seine grandiosen Einfälle, den Hosenanzug für Frauen, die Erfindung des Safarilooks. Sie gab ihm die Freiheit, seine früh errungene Prominenz in Paris abzulegen und zu werden, was er sich am meisten wünschte: Ein Namenloser in der Masse, ein Homosexueller unter anderen, ein in Algerien Geborener, der zeitlebens die Sonne und Farben Nordafrikas brauchte.

Saint Laurent verknüpfte Moderne und Tradition. Die Architekten des neuen Museums haben versucht, diese Philosophie mit ihrem Gebäude aufzugreifen. Traditionelle Terrakottaziegel aus Tétouan, der nordmarokkanischen Stadt, die für glasierten Backstein berühmt ist, formen einen modernen Flachbau, der an den Ecken abgerundet ist und keine Fenster in der Fassade hat – wie viele marokkanische Häuser.

Ein Museum, das Kulturzentrum sein will

Drei Etagen mit mehr als 4000 Quadratmetern Grundfläche, es gibt einen Veranstaltungsraum für Opern- und Theateraufführungen. „Wir wollen nicht nur ein Museum, sondern ein Kulturzentrum sein“, sagt Direktor Björn Dahlström. Im Innern lässt ein grün gekachelter Hof Sonnenlicht hinein wie in den Riads der Medina, zwei kleine Gärten flankieren das Gebäude. 19 Monate bauten die Arbeiter an dem Gebäude, etwa 15 Millionen Euro kostete die Fertigstellung.

Das neue Museum über Saint Laurent ist aus Terrakottaziegeln errichtet und besitzt, wie viele marokkanische Häuser, keine Fassadenfenster.
Das neue Museum über Saint Laurent ist aus Terrakottaziegeln errichtet und besitzt, wie viele marokkanische Häuser, keine Fassadenfenster.
© promo

Bis zum Februar zeigt eine Wechselausstellung Werke des Malers Jacques Majorelle. Er bebaute in den 1920er Jahren das Grundstück, auf dem Saint Laurent lebte, und ließ seine Häuser in dem Farbton bemalen, den er auch auf seinen Gemälden gern verwandte: in kräftigem Blau. Die Gebäude ziert noch heute der für Marrakesch untypische Anstrich.

Die ständige Ausstellung des Museums ist Saint Laurents Passionen gewidmet, die ihn inspirierten. Das ist der Unterschied zum Pariser Atelier, das fast zeitgleich als Museum eröffnet wurde und eine Retrospektive zeigt. Wie er gearbeitet hat, können Besucher an der Seine erfahren, was ihn gefesselt hat, sollen sie in Marokko erleben. Wie zu seinen Lebzeiten: Paris war Pflicht, Marrakesch Kür.

Paris war für YSL Pflicht, Marrakesch Kür

Gleich hinterm Eingang der Ausstellung hängt das berühmte Kleid mit dem grafischen Druck von Piet Mondrian, das am meisten kopierte Kleid der Modegeschichte, wie Direktor Dahlström sagt. Sein Lieblingsstück ist jedoch ein Entwurf aus den 70er Jahren, es geht nun weiter hinein, einen Parcours unter künstlichem Sternenhimmel entlang, vorbei an den Abendkleidern und einem großen Foto des Gewürdigten, von dem er neugierig auf den Designlaufsteg herunterzuschauen scheint.

Und dort hängt des Direktors schönstes Stück. Es sieht auf den ersten Blick bäuerlich aus: eine weiße Blume mit Stickmuster. Inspiriert hat Yves Saint Laurent dazu das Gemälde „Die rumänische Bluse“ von Henri Matisse, einem seiner Lieblingsmaler. Es zeigt eine Frau in ebensolcher Tracht. Nur ohne das dunkelblaue Samtkleid, das hat Saint Laurent ihr noch hinzugefügt – und dem Model einen marokkanischen Fes auf den Kopf gesetzt. Ein verspielter, nah an der Kunst geratener Entwurf von 1981. Der Direktor ist verzückt.

In Paris war Saint Laurent mit seiner markanten Brille bereits in den 1960er Jahren zum Star geworden, nicht so in Marokko. „Marrakesch war unter jungen Europäern als schöne, unberührte Stadt beliebt, frei von Touristenhotels und Souvenirläden, wo die Einheimischen tolerant gegenüber den Lastern ihrer eleganten ausländischen Gäste waren“, schreibt Alice Rawsthorn in ihrer Biografie über Yves Saint Laurent.

Auch Mick Jagger, Marianne Faithfull und Michel Foucault waren dort

Mick Jagger und seine Freundin Marianne Faithfull reisten dorthin, der französische Philosoph Michel Foucault, John Paul Getty Jr. und seine Gattin Talitha. Besonders die Gettys hatten es Yves Saint Laurent angetan. Talitha wurde zu seiner Stilikone, Muse und Vertrauten. Zusammen experimentierten sie mit Haschisch, Opiaten, LSD. Niemand belästigte oder erkannte sie dabei, in Marokko gab es weder Glamourmagazine noch Paparazzi. Nicht jeder konnte mit dieser Freiheit umgehen. Saint Laurent musste öfter in die Entzugsklinik, Talitha Getty starb 1971 an einer Überdosis Heroin.

Auch die Welt, wie sie Rawsthorn beschrieben hat, ist verschwunden. Natürlich kann man noch an Bündeln frischer Minze riechen, wenn man durch den Souk geht. Für ihre erste Wohnung haben Bergé und Saint Laurent dort Tische, Stühle und Kissen gekauft. Doch vermutlich mussten sie sich nicht durch Reisegruppen drängen, die zwar nach Schnäppchen schielen, aber vor Feilschern Angst haben. Auf dem Marktplatz, dem Djemaa el Fna, buhlen Gaukler nun um die Aufmerksamkeit der Touristen. Männer mit verwitterten Gesichtern küssen Schlangen und betteln um Dirham.

Wer heute ins „Mamounia“ möchte, fünf Minuten vom Marktplatz entfernt, geht durch einen Metalldetektor hindurch. Sicherheitsbeamte weisen Männer in kurzen Hosen ab, und drinnen kostet ein Glas Champagner 38 Euro. Yves Saint Laurent kam bis in die 90er Jahre fast jeden Nachmittag im Hotel vorbei, wenn er in der Stadt weilte. Er setzte sich mit Moujif, seiner Französischen Bulldogge, an einen Tisch und bestellte Tee.

Der wichtigste Rückzugsort: der Garten

Der wichtigste Rückzugsort blieb der Garten. Sein Freund und er entdeckten den rund 48 000 Quadratmeter großen Park bei ihren ersten Besuchen, damals war er verwildert. 1980 drohte der botanische Garten des Künstlers Majorelle einem modernen Wohnkomplex zu weichen. Das Paar kaufte das Grundstück und rettete damit die grüne Oase. Villa Oasis nannte Saint Laurent das zweigeschossige Wohnhaus in Tiefblau, das im orientalischen Stil gebaut worden war. Etwa die Hälfte des Gartens ließ er wie sein Erbauer für Besucher offen.

Eine Viertelstunde vom Museum entfernt liegt der Garten von Botaniker Benchaâbane, der einst für den Modemacher arbeitete.
Eine Viertelstunde vom Museum entfernt liegt der Garten von Botaniker Benchaâbane, der einst für den Modemacher arbeitete.
© Ulf Lippitz/Tsp

„Es war ein Herzensprojekt“, sagt Abderrazzak Benchaâbane. Der Botaniker, der inzwischen auch als Parfümeur arbeitet, empfängt in seinem riesigen Garten in La Palmeraie, dem Palmenhain, dem reichsten Stadtteil mit den dicksten Mauern und größten Parks. Die Altstadt ist weit weg, eine Viertelstunde braucht man mit dem Auto vom Jardin Majorelle zu Benchaâbane, fast fünf Minuten der Hausherr vom Wohnhaus bis zur Pforte.

Auch er hat seinen Garten zweigeteilt. In einem öffentlich zugänglichen Bereich hat er ein Museum mit Bildern aus seiner Sammlung, einen Kunstraum für Kinder und einen Kakteengarten errichtet. Im privaten Abschnitt hat er ein Parfümstudio, wo er wohlhabende Klienten einlädt, Düfte für sich zu finden. Es sind Mitglieder des saudi-arabischen Königshauses, Geschäftsleute aus Marokko. Sie alle sitzen dann an dem langen Wasserbecken unter Olivenbäumen, und die vier Hunde wuseln zu ihren Füßen, während Benchaâbane seinen Stetson abnimmt und süßen Tee serviert.

Der Geheimtipp Majorelle wird zum Pflichtprogrammpunkt

Er zeigt auf das Tablett, auf dem selbstgebackene Sesamkekse liegen. „Darauf habe ich Yves Saint Laurent und Pierre Bergé die ersten Muster für einen Duft präsentiert.“ Er holt sein Smartphone heraus, wischt sich durch die Fotos und zeigt ein Bild, auf dem die Besitzer des Jardin Majorelle mit kleinen Fläschchen hantieren, vor sich das Tablett. Yves Saint Laurent, lilafarbenes Hemd, grüne Krawatte, lächelt, Bergé, weißes Hemd, schwarzes Sakko, guckt skeptisch.

Am Ende ist aus dem Geruchstest ein Duft geworden, den Besucher des Garten Majorelle im Souvenirshop kaufen können – und die zweite Karriere entstanden, die Benchaâbane zum erfolgreichen Parfümhersteller avancieren ließ. Er selbst sagt, Saint Laurent habe ihn dazu ermutigt. „Gegenseitiger Respekt“ sei das Fundament ihrer Beziehung gewesen. Sechs Monate vor dem Tod des Designers habe er seine Arbeit im Jardin Majorelle beendet, seit 2008 war er nicht mehr dort.

Das ist ungefähr der Zeitpunkt, an dem aus dem Geheimtipp Majorelle ein Pflichtprogrammpunkt jeder Stadttour wurde. Heute muss man sich auf Schlangen an der Kasse und Gedränge auf den Wegen einstellen. Die Touristen wollen am Nimbus der Luxusmarke teilhaben, das Genie noch in der kleinsten Arabeskenkachel erkennen und sind regelmäßig enttäuscht, dass sie den Silberschmuck im Berbermuseum, das Saint Laurent auf dem Gelände einrichtete, nicht fotografieren dürfen.

Eine römische Säule erinnert an Yves Saint Laurent

Als Yves Saint Laurent noch in Marrakesch wohnte, so hat es Benchaâbane erzählt, wurde der öffentliche Garten jeden Tag um zwölf Uhr für zwei Stunden geschlossen, alle Angestellten hatten das Gelände zu räumen, und nur der Hausherr durfte mit seinem Hund durch den Bambushain spazieren. Er liebte diesen Ort so sehr, dass seine Asche im Rosengarten vor der Villa verstreut wurde. Pierre Bergé ist seit Kurzem bei ihm. Der Mäzen starb vor einem Monat, seine Asche wurde ebenfalls dort beigesetzt.

Eine römische Säule erinnert heute an Yves Saint Laurent. Sie steht im Jardin Majorelle. „Mehr als 600 000 Menschen besuchen jährlich den Garten“, schrieb Bergé in seinen Memoiren. „Es beglückt mich, dass sie an Yves denken, dass sie sich an ihn und seine Arbeit erinnern. Künstler haben so ihre Art, nicht richtig zu sterben.“

DAS ERBE VON YSL IN MARAKKESCH: Das Yves Saint Laurent Museum liegt gleich neben dem Jardin Majorelle:museeyslmarrakech.com. Der Garten des Botanikers: musee-palmeraie.com.

HINKOMMEN: Mit Royal Air Maroc von Berlin (über Casablanca), ab 370 Euro.

UNTERKOMMEN: Das „Four Seasons“ bietet als einziges Hotel eine „Yves Saint Laurent Experience“ für seine Gäste an. Darin enthalten sind ein geführter Besuch des Museums, des Gartens und der für die Öffentlichkeit ansonsten nicht zugänglichen Villa sowie ein vom Designer inspiriertes Menü. Für Gruppen bis zu acht Personen. Preise auf Anfrage im Hotel. Eine Übernachtung im Doppelzimmer kostet ab 380 Euro.

WEITERE INFOS: Fakten und Tipps vom Fremdenverkehrsamt: visitmorocco.com

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