Studie zu Homosexuellen: Weniger Gehalt trotz besserer Bildung
Geringeres Gehalt, öfter depressiv - und höher gebildet: Wie die Lebenswelt von Lesben, Schwulen und Bisexuellen laut der Auswertung des DIW Berlin aussieht.
Von wegen konsumfreudig und hedonistisch – Lesben, Schwule und Bisexuelle verdienen in Deutschland deutlich weniger Geld als Heterosexuelle. Das hat ein Wissenschaftlerteam des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW in Berlin herausgefunden. Die Fachleute werteten erstmals Daten zur sexuellen Orientierung aus, die im Rahmen des Sozio-oekonomischen Panels (Soep) erhoben wurden. Das Soep, die älteste und größte deutsche Wiederholungsbefragung, untersucht seit 1984 jährlich die deutschen Haushalte, ihre wirtschaftliche und soziale Lage und die Persönlichkeiten derer, die in ihnen leben. Die erhobenen Daten sind repräsentativ für Deutschlands Bevölkerung.
Demnach liegt der mittlere Bruttostundenlohn heterosexueller Männer von 18 Euro, heißt es im Bericht des DIW, „auffällig“ nicht nur vor dem lesbischer (16,44 Euro) und den noch deutlich weniger verdienenden heterosexuellen Frauen (14,40 Euro). Die Heteros distanzieren auch deutlich schwule Männer: Sie bringen es im Schnitt auf lediglich 16,40 Euro. Die Unterschiede blieben auch, wenn die Unterschiede in Qualifikation, beruflicher Position, Erfahrung, Branchen und Arbeitszeitmodellen berücksichtigt würden. Der Abstand zwischen Homo- und Hetero-Männern steigt sogar auf mehr als zwei Euro, wenn die höhere Schulbildung von Schwulen und Bi eingerechnet wird. Nach dem vielfach dokumentierten „Gender Pay Gap“ des Lohnabstands zwischen Männern und Frauen gebe es folglich auch einen „Sexuality Pay Gap“ von „bedeutsamem Umfang“, der schwule und bisexuelle Männer treffe.
Homo- und Bisexuelle sind höher gebildet
Gleichzeitig sind LGB höher gebildet als der Durchschnitt der Hetero-Mehrheit: 47 Prozent von ihnen haben das Abitur oder ein Fachabitur; unter Heterosexuellen sind dies nur 36 Prozent. Sie arbeiten auch in anderen Berufen. 78 Prozent – gegenüber 61 Prozent der Heteros - sind Angestellte, als Arbeiterinnen, Arbeiter oder Beamte sind sie deutlich seltener beschäftigt.
Auch was ihre privaten und sozialen Lebensverhältnisse angeht, unterscheiden sich Straights und Schwule der Befragung zufolge deutlich: LGB sind öfter alleinstehend, mehr als die Hälfte von ihnen lebt in Großstädten über 100.000 Einwohner, und sie wohnen, wenn sie denn eine Partnerin oder einen Partner haben, seltener mit ihm oder ihr zusammen – 70 Prozent gegenüber 80 Prozent der Heteros. Zehn Prozent (Hetero-Männer und Frauen: 27 Prozent) leben mit mindestens einem Kind unter 14 Jahren zusammen, allerdings nicht notwendigerweise mit einem eigenen. Schwule oder lesbische Paare machen 0,9 Prozent aller zusammenlebenden Paare in Deutschland aus.
Keinen statistisch bedeutenden Unterschied zur sexuellen Mehrheit gibt es, was die soziale Einbindung angeht, Freunde, Netzwerke und Menschen, an die man sich wendet, wenn man Hilfe braucht. Allerdings vertrauen LGB dabei deutlich öfter – oder müssen es – auf gute Bekannte oder den Freundeskreis, während sich Heteros öfter auf die Unterstützung ihrer Familien verlassen. Die entsprechenden Fragen der SOEP-Forscher brachten jeweils einen Abstand von zehn Prozentpunkten zutage.
Stigmatisierung führt zu einem chronischen Stress
Und noch einen deutlichen Unterschied gibt es: Während beide Gruppen sich körperlich als gleichermaßen gesund herausstellen, ist die seelische Gesundheit von LGB deutlich gefährdeter. Sie sind weniger zufrieden mit ihrem Leben und öfter depressiv. Bei doppelt so vielen von ihnen wurde schon einmal eine psychische Erkrankung festgestellt. Es sei anzunehmen, dass „LGBs aufgrund ihrer sexuellen Orientierung stigmatisiert und diskriminiert werden und dadurch chronischem Stress ausgesetzt sind“, heißt es in der Studie. Dies ist um so interessanter, als die SOEP-Daten keine Unterschiede in den Persönlichkeiten von LGB und heterosexuellen Menschen zutage förderte. Schwule Männer zum Beispiel sind nicht extrovertierter als Hetero-Männer. David Richter, Psychologe und Mitarbeiter an der Studie, verwies auf eine Zwickmühle, in der LGB steckten: Sie litten sowohl unter Ablehnung als auch an "mangelnder Outness", sich also nicht als die bekennen zu können, die sie sind. So werde das Comingout, das für die Seele wichtig sei, mit der Gefahr erkauft, mehr Diskriminierung einstecken zu müssen.
Die Autoren des Berichts empfehlen nun weitere und intensivere Studien: „Aus sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive wäre es wünschenswert, die Sozialberichterstattung in Deutschland um die Dimension der sexuellen Orientierung der Befragten zu erweitern, wie das zum Beispiel in den USA der Fall ist.“ Dadurch ließen sich Daten erheben, die politisch genutzt werden könnten, um Diskriminierung abzubauen.
Die Forschung war bisher dürftig zu dem Thema
"LGBTI-Daten liegen nirgendwo vor in Deutschland", sagt Martin Kroh, einer der Autoren. Sie würden in keiner Standarderhebung erfragt. Er und seine Kollegen wären schon froh, wenn sie sich aus 20 bis 30 Einzelerhebungen das Nötige zusammensuchen könnten. Dass ihre eigenen Daten mit Vorsicht zu gebrauchen sind, gestehen sie ein: Erstens fragte das SOEP erst 2016 zum ersten Mal offen nach der sexuellen Orientierung, für die Jahre zuvor - die Studie verwendete Daten von 2010 bis 2016 - lässt sich die sexuelle Orientierung der Befragten nur mittelbar rekonstruieren. Dabei verweigerten 13 Prozent die Aussage, zudem erscheinen Bisexuelle, die in einer Mann-Frau-Beziehung leben, fälschlich als Heterosexuelle und verkleinern damit die untersuchte Gruppe. Außerdem wurden Menschen, die sich womöglich als LGB fühlen, aber anders leben, nicht erfasst: "Wir haben offen lebende LGB betrachtet, nicht sexuell so orientierte", sagt DIW-Forscher Simon Kühne. Auf die Daten von Transgender und Intersexuellen verzichtete man außerdem, weil man eine noch kleinere Zahl erwartete, einen Datensatz also, der belastbare Aussagen auch über sie unmöglich gemacht hätte.
So stützte sich die Auswertung auf die Angaben von 39.100 Heterosexuellen, aber nur von 459 Homo- und Bisexuellen, die sich im SOEP als solche bekannt haben oder erkennbar waren, weil sie in der Haushaltsbefragung den oder die jeweils andere Person als Partner verwiesen hatten. Nach Auswertung der SOEP-Daten schätzt das DIW-Team nun, dass 1,9 Prozent der Erwachsenen in Deutschland sich selbst als lesbisch, schwul oder bi bezeichnen. "Wir waren selbst erstaunt über die niedrige Zahl", sagt Kroh - britische und australische Studien zum Beispiel kommen auf etwa 2,6 Prozent der erwachsenen Bevölkerung.
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