„Una mujer fantástica“ im Berlinale-Wettbewerb: Transfrau in Trauer
Sebastián Lelio schickt in seinem Berlinale-Wettbewerbsfilm „Una mujer fantástica“ eine Transfrau auf eine Tour de Force. Doch sie lässt sich nicht unterkriegen.
„Okay, okay, okay“, sagt Marina (Daniela Vega) leise zu sich selbst. Sie geht einige Schritte rückwärts, weg von der Tür der Notaufnahme, hinter der ihr Geliebter Orlando (Francisco Reyes) liegt. Es ist ihr letzter Moment der Hoffnung. Doch wenig später hält sie eine Plastiktüte mit Orlandos persönlichen Sachen in der Hand und weiß: Er ist tot, ein Aneurysma. Sie wird allein in seine Wohnung zurückkehren, in die sie gerade eingezogen ist.
Noch in dieser Horrornacht beginnt für Marina eine kaum weniger gruselige Serie der Demütigungen und Beleidigungen. Sie ist eine Transfrau, Jahrzehnte jünger als Orlando, der seine Ehefrau für sie verließ. Nach seinem Tod lässt seine Familie ihrer Wut auf die Geliebte freien Lauf. Mit Ausnahme eines Bruders behandeln sie alle respektlos oder werden sogar gewalttätig.
Der chilenische Regisseur Sebastián Lelio schickt Marina in seinem fünften Spielfilm „Una mujer fantástica“ auf eine wahre Tour de Force. Ständig duzen Leute sie, sagen „er“ oder taxieren völlig distanzlos ihren Körper. Die Blicke fragen: Hat sie Brüste? Einen Penis? Manchmal bleibt es nicht beim Gaffen. Übergriffiges, transfeindliches Verhalten, der Film zeigt es eindringlich.
Die Kamera ist verliebt in Marinas Gesicht
Neben der Familie muss sich die junge Frau, die als Kellnerin und Sängerin arbeitet, auch noch den aggressiven Nachforschungen einer Kommissarin aus der Abteilung für Sexualstraftaten erwehren. Sie glaubt nicht, dass die beiden ein Paar waren. „Ich arbeite seit 23 Jahren auf der Straße, habe alles gesehen. Ich weiß, was mit Frauen wie dir passiert“, sagt sie und zwingt Marina wenig später, einer erniedrigenden medizinischen Untersuchung zuzustimmen. Sie steht dabei auf einer Treppe und redet von weit oben herab auf sie ein – eine von Lelios etwas überplakativen Inszenierungen, zu denen auch zahlreiche Spiegelbildnisse der Protagonistin zählen sowie eine imaginierte Straßenszene, bei der sie sich gegen stürmischen Wind stemmt.
Der Hass, der Marina entgegenschlägt, wird durch ebenso deutliche Liebesbekundungen kontrastiert: Mit zahlreichen Großaufnahmen feiert der 42-jährige Regisseur und Drehbuchautor ihr Gesicht, bleibt mit der Kamera ganz nah bei ihr und baut große Sympathie für diese „fantastische Frau“ auf. Ihre würdevolle Widerständigkeit erinnert an Pedro Almodóvars Frauenfiguren – und an die Titelheldin von „Gloria“, Lelios ebenfalls zusammen mit Gonzalo Maza geschriebenem letztem Spielfilm, der auch in Santiago spielt und 2013 im Berlinale-Wettbewerb lief.
Mit einer Händel-Arie drückt sie ihre Trauer aus
Gloria sang und tanzte gern, genau wie Marina. Musik spielt in beiden Filmen eine zentrale Rolle. So enden auch beide mit einem Lied, das die Selbstermächtigung und Befreiung der Frauen zum Ausdruck bringt. Für „Una mujer fantástica“ gilt das in weit stärkerem Maße, weil Marina selbst singt. Es ist Händels berühmte Arie „Ombra mai fù“, ein Klagegesang, den sie erstmals ganz in Schwarz gekleidet vorträgt. Endlich kann sie trauern.
Ein kraftvoller Abschluss der fulminanten Performance von Daniela Vega, die tatsächlich Sängerin ist. Die Transfrau trägt dieses Werk, wie schon „La Visita“ (2014), den ersten chilenischen Spielfilm mit einer Trans-Heldin. Auch ihr schlug Ablehnung entgegen. Vielleicht schreibt jemand für Vega mal eine Komödie oder eine Liebesgeschichte. Trans ohne Tragik. Es wäre nicht nur für den queeren Film eine Bereicherung.
13.2., 12.30 Uhr (Zoo Palast 1), 15 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 21.30 Uhr (Odeon), 22.30 Uhr (International) und 19.2., 19 Uhr (Berlinale Palast)
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