Ein queerer Turkmene in Berlin: "Talente von queeren Geflüchteten fördern"
Der Tänzer Emrah Atayev lebt seit zwei Jahren als queerer Geflüchteter in Berlin. Ein Gespräch über Hoffnungen, Wow-Momente, das Asylverfahren - und Homophobie am Hermannplatz.
Herr Atayev, wie war Ihr Start in Berlin?
Ich war in einem Heim in Kladow, eine Turnhalle mit 300 Männern. Dort wurden mir Geld und Telefon gestohlen. Außerdem drückten mir homophobe Leute Zigaretten ins Gesicht. Die meisten kamen aus ländlichen Gegenden Pakistans und Afghanistans und hatten keine Erfahrung mit queeren Menschen. Das war im Winter 2015. Über die Sozialarbeiter habe ich dann Kontakt zum Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) aufgenommen. Ich kam erst zu einem schwulen Paar. Später war ich in einem Hostel, und als das Heim für LGBTI-Refugees in Treptow öffnete, zog ich dorthin.
Wie lief es dort?
Wir waren zu fünft auf einem Zimmer. Einmal hatte ich Streit mit einem Zimmergenossen. Dabei brach er mir die Nase. Ich rief die Polizei, kam ins Krankenhaus und wurde operiert. Anschließend bat man mich, für das Wochenende woanders hinzuziehen – nicht ihn! Mir haben dann wieder die Leute vom LSVD geholfen, und ich bin letztlich dort ausgezogen. Inzwischen habe ich über meine Patin eine Wohnung gefunden.
Haben Sie Asyl aufgrund Ihrer Verfolgung als queere Person beantragt?
Ja. Bei meinem Interview mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erklärte ich alles, was mir in Turkmenistan passiert war: die Verhaftung aufgrund abgehörter Telefonate, die Messerangriffe durch meine Familie, meine Flucht.
Wie lief das Interview ab?
Sie waren freundlich, nicht aggressiv oder homophob. Aber bei einigen Fragen fand ich, dass sie zu weit gehen. So wollten sie zum Beispiel wissen, wie ich mich nach dem ersten Sex mit einem Mann gefühlt habe, und ob ich danach den Wunsch hatte, wieder mit einem Mann zu schlafen. Außerdem wollten sie wissen, ob ich mein Geschlecht von Mann zu Frau ändern möchte und, ob ich meine Genitalien operieren lassen möchte.
Das erscheint mir ziemlich unangemessen. Wie haben Sie reagiert?
Ich war scheu, aber ich habe letztlich alles beantwortet. Sie wollten wohl sichergehen, dass ich wirklich schwul bin.
Wie hat das Amt entschieden?
Ich musste mehr als sieben Monate auf eine Antwort warten. Das war eine sehr stressige Zeit für mich. Dann bekam ich den Bescheid, dass mein Antrag genehmigt wurde und ich eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre bekomme.
Fühlen Sie sich als queere Person frei und sicher in Berlin?
Frei schon. Aber sicher nicht überall. Es gibt einige Nazis. Und über den Hermannplatz würde ich nicht allein gehen, schon gar nicht gestylt. Dort gibt es viele homophobe arabische Leute.
Wie war Ihr erster Eindruck von der queeren Szene in Berlin?
Hier habe ich zum ersten Mal nackte Leute in einem Club gesehen. Bei uns ist so etwas verboten, es wäre lebensgefährlich. Deshalb war das ein Wow-Moment für mich im KitKatClub. Auch der Christopher Street Day im vergangenen Jahr war beeindruckend. So groß! Es hat mir gefallen, wie sich die Leute auf der Straße bewegt haben: ohne Scheu, voller Freude. Niemand hat blöd geschaut. Ich war sehr glücklich.
Sind Geflüchtete gut in die queere Szene eingebunden?
Das wird langsam besser. Der Südblock macht viel für Geflüchtete. Zudem gibt es im Schwuz die „Tasty“-Party mit orientalischer Pop-Musik. Es macht die Gäste glücklich, arabische und türkische Songs zu hören. Beim Start der Reihe bin ich übrigens mit einer Oriental Dance Performance aufgetreten.
Was könnte die queere Community besser machen im Umgang mit Geflüchteten?
Es wäre schön, wenn es mehr Aufmerksamkeit für die Talente der Geflüchteten gäbe. Ich kenne viele Sänger, Tänzer und Make-Up-Künstler, die das Gefühl haben, hier nicht gebraucht und geschätzt zu werden. Viele sitzen nur zu Hause. Es wäre gut, für sie etwas zu organisieren, ein Festival zum Beispiel, bei dem sie auftreten können. Das würde sie freuen. Ich versuche, im Winter eine eigene monatliche Party auf die Beine zu stellen, bei der professionelle Tänzer mit weniger erfahrenen zusammen kommen. Geflüchtete sollen an der Bar und Garderobe arbeiten.
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