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Zerren an der Regenbogenfahne - wem gehört die Deutungshoheit über die queere Community?
© Sergei Ilnitsky/EPA/dpa

Preis für lesbische Sichtbarkeit: Schwulenberatung kritisiert Auszeichnung für Lesben

Die Schwulenberatung ist gegen den Preis für lesbische Sichtbarkeit des Senats. Schon seit längerem streitet sie sich mit Lesben um ein Grundstück.

Zum ersten Mal wird an diesem Montag der vom Senat ausgelobte Preis für lesbische Sichtbarkeit vergeben. Die Auszeichnung soll lesbisches Leben in der Stadt sichtbarer machen, wird doch auch die queere Community oft von Männern dominiert. Doch im Vorfeld geht nun ausgerechnet die Berliner Schwulenberatung gegen die Auslobung des Preises vor. "Mit dem Preis wird ein 'Zielgruppenranking' betrieben, welches doch sehr zu kritisieren ist", schreibt Marcel de Groot, der Geschäftsführer der Schwulenberatung, in einem Brief an Justizsenator Dirk Behrendt, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Behrendt ist als Senator auch für Antidiskriminierung und damit für die Ausschreibung des Preises zuständig. In de Groots Brief heißt es weiter, es sei zwar "sehr lobenswert", wenn das Land Berlin die Sichtbarkeit von Minderheiten in den Vordergrund rücken wolle. Der Preis werfe aber "bei uns einige Fragen und Bedenken auf".

"Trans* und Inter* hätten mehr Aufmerksamkeit verdient"

Die Schwulenberatung sei neben der Zielgruppe schwule Männer auch für die Zielgruppe Trans* und Inter* zuständig, schreibt de Groot. Letztere hätten noch einen erheblichen Nachholbedarf hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung: "Sie sind, wenn man so will, viel weniger sichtbar als schwule Männer oder lesbische Frauen." Wenn man über Sichtbarkeit spreche, hätten "Trans* und Inter* auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit verdient".

Jetzt aus der Gruppe der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Intersexuellen "eine Teilgruppe durch einen Preis besonders hervorzuheben ist kontraproduktiv", fährt de Groot fort. Es lasse vermuten, dass es bestimmte Kriterien dafür gebe, wer bei der Diskriminierung am schlechtesten abschneide. Damit würden in der Community weitere Vorurteile und Abgrenzungen gefördert. Er bitte Behrend daher "sehr herzlich, im Sinne der Solidarität innerhalb der Community, die Zielgruppe dieses Preises zu erweitern oder andere Formen der Anerkennung für alle LSBTI*-Menschen zu suchen".

Streit um ein Grundstück für ein Wohnprojekt

Was in dem Brief nicht erwähnt wird: Die Schwulenberatung streitet seit Monaten mit der lesbischen Initiative Rad und Tat um ein Grundstück für ein Wohnprojekt für ältere Lesben beziehungsweise Schwule. Beide Träger hatten sich auf dasselbe Grundstück in Schöneberg beworben, RuT zunächst den Zuschlag erhalten. Die Schwulenberatung klagte daraufhin gegen das Vergabeverfahren, das jetzt neu aufgerollt wird.

Die Einrichtung betont zwar, man befinde sich nicht in einem Streit mit RuT, sondern mit dem Land Berlin, dessen Vergabeverfahren für soziale Träger völlig ungeeignet sei. Das Vorgehen hat dennoch viel Kritik hervorgerufen, nicht zuletzt, weil es für Lesben noch gar kein Haus dieser Art gibt, während es für schwule Männer bereits das dritte wäre. Die Schwulenberatung würde sich unsolidarisch verhalten, sagte etwa die Publizistin Manuela Kay, die auch Kuratorin bei Rad und Tat ist. Auch unter Mitgliedern der Schwulenberatung soll die Klage umstritten sein.

Der Brief ruft jetzt ebenfalls Widerspruch hervor. Der Autor Johannes Kram etwa spricht auf seinem "Nollendorflog" von einer "unsolidarischen, ganz offensichtlich nur auf den eigenen Vorteil bedachte Intervention" und fragt: "Was ist das für ein  Verständnis von Sichtbarkeit, das so tut, als ob die Sichtbarkeit der einen die der anderen etwas wegnimmt?" Zumal offensichtlich sei, dass Lesben prozentual zwar wahrscheinlich knapp eine Hälfte der LGBTI*-Community stellen, aber ganz offensichtlich bedeutend weniger Repräsentanz in Öffentlichkeit und Gesellschaft hätten - und dadurch bedeutend weniger Macht und weniger Mittel für zielgruppengerichtete Projekte.

Kritik an der Schwulenberatung kommt auch von Schwulen

Kram wirft de Groot vor, "populistische Narrative zu füttern", weil er versuche, Minderheiten gegeneinander auszuspielen. Schwule sollten der Schwulenberatung widersprechen, fordert Kram: Nicht nur aus Gründen der Solidarität mit den Lesben, sondern weil sich die Initiative der Schwulenberatung letztlich auch gegen sie selber richte.

Dirk Behrendt, der zuständige Senator, kann die Kritik der Schwulenberatung ebenfalls nicht nachvollziehen. Der Preis für lesbische Sichtbarkeit sei ein wichtiges LSBTI-Projekt des rot-rot-grünen Senats: Lesbische Menschen hätten Berlin positiv und nachhaltig verändert und unverzichtbare Spuren hinterlassen, die jedoch bisher nicht ausreichend gewürdigt werden.

Ihm sei bewusst, dass sich LSBTI in vielfältigen Problemlagen befinden und nach wie vor Mehrfachdiskriminierungen, Gewalt, Ausgrenzung und Stigmatisierung erleben. Dennoch liege kein Widerspruch darin, verschiedenen Zielgruppen mit vielfältigen Maßnahmen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen und dabei die eine oder andere verstärkt in den Fokus zu rücken. "Als schwuler Mann fühle ich mich jedenfalls von der durch Herrn de Groot geäußerten Kritik am Preis für lesbische Sichtbarkeit nicht repräsentiert“, erklärte Behrendt auf Anfrage.

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