Queere Flüchtlinge: Schutz - auch in Berlin schwer zu finden
Denise ist aus Serbien nach Deutschland geflohen. Als Transsexuelle ist sie in ihrer Heimat stark gefährdet. Doch weil Serbien als "sicheres Herkunftsland" gilt, muss sie darum kämpfen, in Berlin bleiben zu dürfen.
Denise – eine zierliche Person, transsexuell, aus Serbien nach Deutschland geflüchtet. In Berlin angekommen, wurde sie nach dem Königsteiner Schlüssel (regelt den Anteil der Asylbewerber, die jedes Bundesland aufnehmen muss) in eine Flüchtlingsunterkunft nach Sachsen-Anhalt „umverteilt“. Dort darf sie sich aufhalten. Würde sie das Bundesland verlassen, wäre das eine Ordnungswidrigkeit.
Viele in der Sammelunterkunft sind homophob
Sie wurde in einer Sammelunterkunft untergebracht. Dort gab es Gemeinschaftswaschräume. Sie versuchte, tagsüber zu schlafen, wenn ihre Mitbewohner nicht da waren. Die Nächte verbrachte sie damit, einen geeigneten Zeitpunkt zu finden, um die Duschräume aufzusuchen. Viele ihrer Mitbewohner waren homophob, andere versuchten, sie zu sexuellen Handlungen zu drängen. Immer wieder versuchte Denise, nach Berlin zu kommen, denn hier fühlt sie sich frei. Sie erhielt schließlich von der Ausländerbehörde eine Genehmigung, sich zeitweilig zur Arbeitssuche in Berlin aufzuhalten.
Dort führte ihr erster Weg zum Lageso, die Erstaufnahme-Registrierungsstelle des Landesamtes für Gesundheit und Soziales in Moabit. Sie hilft anderen Geflüchteten, organisiert Medikamente oder reicht einfach ein Glas Wasser. Bei den freiwilligen Helfern ist sie gut bekannt. Sie begleitet die Ärzte vor Ort und übersetzt – Denise spricht sieben Sprachen. Wir haben sie in Tempelhof getroffen, dort wohnt sie jetzt seit einigen Tagen in einer kleinen Wohnung, die ihr ein Frauenpaar kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Sie nennt die Wohnung „ihr Haus“ und ist einfach glücklich, einen Ort zu haben, wo sie ungestört schlafen, duschen – einfach leben kann.
Eine Hilfsorganisation würde Denise einstellen - doch so einfach ist es nicht
Die Frauen würden gern einen Mietvertrag mit Denise schließen, damit sie sich anmelden und ein Bankkonto eröffnen kann. Eine Hilfsorganisation würde Denise einstellen – doch das ist alles nicht so einfach. Denn dafür müsste es Denise erlaubt sein, nach Berlin umzuziehen. Das ist beantragt, auch das Asylverfahren läuft. Geduld ist gefragt.
Denise ist eine von vielen queeren Flüchtlingen, die von Jouanna Hassoun betreut werden. Hassoun ist selbst mit sechs Jahren aus dem Libanon geflüchtet und lebt seitdem in Berlin. Neben all den ehrenamtlichen Stunden, die sie für „Moabit-hilft“ am Lageso verbringt, leitet sie das Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) Berlin. Dort kümmert sie sich insbesondere um die schutzsuchenden queeren Flüchtlinge, die unter tausend anderen in letzter Zeit Berlin erreicht haben.
Trans-Menschen sind noch schutzbedürftiger
Im Gespräch erläutert Hassoun, warum gerade queere Flüchtlinge noch schutzbedürftiger als andere Geflüchtete sind: „Weil sie in den Unterkünften Gewalt, homo- und transphoben Attacken ausgeliefert sind. Besonders die Trans-Menschen oder offensichtlich schwul aussehende Männer leiden darunter. Trans-Menschen sind in den Unterkünften genauso schwache Opfer wie Frauen auf der Flucht – sie sind sexuellem Missbrauch ausgeliefert. So wie Frauen wehrlos missbraucht werden, so werden auch Trans-Menschen missbraucht oder verprügelt oder beides. Von Lesben weiß man noch wenig. Sie machen sich lieber unsichtbar, damit sie ihre Ruhe haben. Aber es gibt auch lesbische Frauen, die von Belästigungen und Repressalien bedroht sind. Wenn sie sichtbar werden, dann müssen sie sich auch homophobe Sprüche anhören.“
Damit sich die Situation für queere Flüchtlinge spürbar verbessern kann, müsste eine Ansprechperson an den Erstaufnahmeeinrichtungen für LGBT-Flüchtlinge vorhanden sein. Außerdem wird Wohnraum benötigt, wo insbesondere Trans-Personen einzeln oder schwule Männer zusammen untergebracht werden können. Es muss verhindert werden, dass sie weiterhin homophoben Übergriffen in Massenunterkünften ausgesetzt sind. All diese Forderungen hat Jouanna Hassoun bereits an die Politik adressiert. Ihr nüchternes Fazit: „Eigentlich wissen sie alles. Das Problem ist: Sie handeln nicht.“
Deshalb ist Hassoun weiterhin auf die Unterstützung der Community angewiesen. Sie sammelt Spendengelder, um zum Beispiel Sprachkurse für homosexuelle und transgeschlechtliche Flüchtlinge in einem geschützten Raum anzubieten. Aber vor allem wird Wohnraum benötigt. Privatpersonen wie das Frauenpaar, das Denise aufgenommen hat, können Unterkünfte zur Verfügung stellen. Dazu kooperiert das MILES mit der Initiative „Flüchtlinge Willkommen“.
Ein "sicheres" Herkunftsland ist nicht immer sicher
Denise lernt intensiv deutsch, hat eine Wohnung und einen Arbeitsplatz in Aussicht – doch wie geht es weiter? Sie kommt aus Serbien. Serbien ist seit 2014 als so genanntes sicheres Herkunftsland eingestuft. Wie fast alle Balkanstaaten hat auch Serbien die Diskriminierung von Homosexuellen gesetzlich verboten – eine Voraussetzung für die EU-Beitrittsverhandlungen. Doch „staatliche Sicherheit“ heißt noch lange nicht gesellschaftliche Sicherheit oder gar Akzeptanz.
Von ihrer Herkunft her betrachtet gibt es für Denise also keinen Asylgrund. Ihr droht Abschiebung. Doch der Kern des Asylverfahrens ist die Einzelfallprüfung. Sie muss nachweisen, dass sie „begründete Furcht vor Verfolgung“ hat: durch Zugehörigkeit zu einer Gruppe, „die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet“, wie es im Paragraf 3 b des Asylverfahrensgesetzes heißt. Sie wird dafür kämpfen müssen, unbedingt mit juristischem Beistand, damit sie bleiben kann.
Der Text ist zunächst im "L.MAG – Das Magazin für Lesben" in der Ausgabe November/Dezember 2015 erschienen. In der Januar-/Februar-Ausgabe finden Sie von der Autorin einen Text über eine Syrerin, die nach Berlin geflohen ist.
Mehr LGBTI-Themen erscheinen auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an: queer@tagesspiegel.de.
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Uta Zorn