„Zeit ist reif, das Transsexuellengesetz abzuwickeln“: Sachverständige unterstützen Gesetzesvorschläge für mehr Selbstbestimmung
Veraltet und diskriminierend: FDP, Linke und Grüne fordern, das Transsexuellengesetz zu ersetzen. Ihre Vorschläge waren jetzt Thema im Innenausschuss.
Trans Menschen in Deutschland müssen viele Hürden überwinden. Wer Namen und Personenstand offiziell ändern möchten, braucht dafür zwei Gutachten von Sachverständigen. So steht es im Transsexuellengesetz (TSG) von 1980. Mehrere Monate dauert dieser Prozess, die Kosten müssen die Betroffenen selbst zahlen – im Schnitt 2000 Euro, wie Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* bei einer Anhörung im Ausschuss für Inneres am Montag sagte.
„Transgeschlechtliche Menschen stehen unter Druck, den Gutachtern etwas nachzuweisen, das nicht nachzuweisen ist“, sagte Hümpfner. Das TSG sei bestimmt von einer Logik der „Fremdbestimmung und Pathologisierung“. In einer ohnehin schwierigen Zeit würden trans Personen damit zusätzlich belastet.
Hümpfner war einer der sechs Sachverständigen, die im Ausschuss zu den Gesetzesentwürfen von FDP und Grünen sprachen. Die Parteien wollen das von ihnen als veraltet betrachtete TSG mit einem Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Wichtiger Punkt dabei ist die Abschaffung der Gutachtenpflicht für die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität.
Außerdem zur Diskussion stand ein Antrag der Linken, in dem die Partei Entschädigungen für trans- und intergeschlechtliche Personen fordert. Bis 2008 sah das TSG einen Scheidungszwang für trans Personen nach einer Geschlechtsanpassung vor, bis 2011 einen Sterilisationszwang.
Ulrike Lembke nennt TSG „Schande für den Rechtsstaat“.
Die geladenen Expert*innen standen den Gesetzesentwürfen von FDP und Grünen überwiegend positiv gegenüber. Ulrike Lembke, Professorin für öffentliches Recht an der HU Berlin, nannte das TSG eine „Regelungsruine“ und eine „Schande für den Rechtsstaat“. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zur dritten Geschlechtsoption 2017 ergebe sich ein klarer Auftrag, wie die rechtliche Anerkennung von Geschlecht zu erfolgen habe, so Lembke.
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Ihr pflichteten die Juristinnen Laura Adamietz und Anna Katharina Mangold bei. „Die Entwürfe nehmen die Autonomie der Einzelnen ernst und ersparen ihnen einen mühsamen Weg durch die Instanzen“, so Mangold. „Die Einzelnen wissen selbst am besten, welchem Geschlecht sie sich zuordnen.“
Skeptisch äußerte sich der Rechtswissenschaftler Florian Becker. Es gebe ein „berechtigtes Interesse an einer gewissen Stabilität“, sagte er. Solange das Gesetz besondere Pflichten und Ansprüche an die verschiedenen Geschlechter stellt, sei es erforderlich sicherzustellen, dass der Personenstand nicht einfach beliebig gewechselt werden könne. Eine „Plausibilitätsprüfung“ sollte deshalb verpflichtend sein.
Wie viele Menschen bereuen die Geschlechtsanpassung?
Eindeutig gegen die Vorschläge von FDP und Grünen stellte sich Alexander Korte. Der Kinder- und Jugendpsychiater am Klinikum der Uni München hatte sich immer wieder öffentlich skeptisch gegenüber Transitionen von Kindern Jugendlichen geäußert und von einem „Trans-Hype“ gesprochen. Trans-Verbände hatten seine Einladung als Sachverständigen durch die CDU/CSU im Vorfeld der Anhörung kritisiert.
Im Innenausschuss stellte Korte in Frage, ob Kinder und Jugendliche die Bedeutung einer Entscheidung zur Geschlechtsangleichung einschätzen können. Die „Selbstdiagnose trans“ stellte sich häufig als „subjektive Fehlentscheidung“ heraus, so Korte. Eine genaue Zahl dieser sogenannten „Regretter“ oder „Detransitioner“, die eine Transition bereuen und diese rückgängig machen wollen, konnte er aber nicht nennen.
„Die Zahl ist nicht besonders hoch“, räumte Korte auf Nachfrage der anwesenden Bundestagsabgeordneten ein. Das könnte aber auch daran liegen, dass die Hürden bisher durch das TSG relativ hoch waren. „Eine Begutachtung kann auch eine therapeutische Intervention sein“, so Korte weiter. Es sei eine ärztliche Aufgabe zu beurteilen, ob eine Person wirklich trans ist, und keine rechtliche.
Linke, FDP und Grüne sehen die Anhörung als Druckmittel
Ihm widersprachen mehrere Sachverständige. 99 Prozent der Gutachten entsprächen ausschließlich der Selbstauskunft der betroffenen Personen, sagte Hümpfner. Teure Gutachten seien also nicht nötig. Weniger als ein Prozent der Betroffenen würden rechtliche Änderungen am Personenstand wieder rückgängig machen. „Detransition ist vor allem ein Medienphänomen“, sagte Hümpfner.
Es sei eine Fehleinschätzung, dass Medizin und Psychiatrie besonderes Bestimmungsrecht hätten, sagte Anna Katharina Mangold. Recht sei in dieser Frage wichtiger.
Linke, Grüne und FDP sehen die überwiegend wohlwollende Reaktion der Sachverständigen auf ihre Vorschläge als Druckmittel auf die Bundesregierung. Ein im Mai 2019 vom Bundesinnenministerium und dem Bundesjustizministerium vorgelegter Gesetzesentwurf zur Reform des TSG stieß nicht nur bei trans Gruppen und der Opposition, sondern auch innerhalb der SPD auf harte Kritik. Er wurde als nicht konsequent genug gesehen. Seitdem liegt die Reform auf Eis.
Eine Reform noch in dieser Legislaturperiode?
„Die Zeit ist reif, das zur Ruine geschrumpfte TSG abzuwickeln und stattdessen geschlechtliche Selbstbestimmung zu gewähren und zu schützen“, sagte Doris Achelwilm (Linke) dem Tagesspiegel. Das sollte nach der Anhörung auch im Bundestag angekommen sein. Sven Lehmann von den Grünen wünscht sich, dass Union und SPD das TSG noch in dieser Legislaturperiode beseitigen. Insbesondere der Begutachtungszwang gehöre endlich abgeschafft.
Auch Jens Brandenburg von der FDP pocht auf eine Reform noch in dieser Legislaturperiode. Die Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) könne sich gern beim Gesetzesentwurf der FDP bedienen, so Brandenburg.
Dass es in nächster Zeit zu einer Abschaffung des TSG kommt, scheint aber unwahrscheinlich. Der „Meinungsbildungsprozess“ zwischen beiden Ministerien sei noch nicht abgeschlossen, sagte eine Sprecherin des Justizministeriums dem Tagesspiegel. Wann mit einer Reform des Gesetzes zu rechnen ist, sei derzeit nicht absehbar.
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