Dritte Geschlechtsoption: Halt auf halber Stecke
Der Bundestag hat ein Gesetz zur dritten Geschlechtsoption beschlossen. Leider erfüllt es nur die Minimalforderungen des Urteils aus Karlsruhe. Ein Kommentar.
Historisch, sensationell, eine Riesenchance: Die Begeisterung war groß als das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr beschloss, dass der Gesetzgeber neben „männlich“ und „weiblich“ einen dritten Personenstand zulassen muss. Das Grundgesetz erzwinge keine binäre Geschlechterordnung, so die Richterinnen und Richter.
Damit eröffneten sie den Weg zu einem modernen Personenstandsrecht, zu einem Gesetz, das nicht nur die Diskriminierung intersexueller Menschen beendet, sondern darüber hinaus der vielfältigen gesellschaftlichen Realität Rechnung trägt. Denn es gibt eben nicht nur Menschen, die sich als Mann oder Frau definieren, sondern auch Menschen, die sich jenseits oder zwischen diesen Kategorien sehen – und oft Anfeindungen ausgesetzt sind.
Bedauerlicherweise ist der Bundestag auf dem vom Gericht vorgezeichneten Weg zur Verbesserung ihrer Situation auf halber Strecke stehen geblieben. Denn das jetzt beschlossene Gesetz zur dritten Geschlechtsoption setzt lediglich die Minimalanforderung des Urteils um. So wird es neben „männlich“ und „weiblich“ im Geburtenregister zwar zukünftig auch die Kategorie „divers“ geben. Doch diese steht ausschließlich Intersexuellen offen, also Menschen, deren Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig zuzuordnen sind. Sie können bei der Geburt als divers registriert werden oder den Eintrag ändern, wenn ein falsches Geschlecht eingetragen wurde. Allerdings wird hierfür ein ärztliches Attest verlangt – in Ausnahmefällen reicht eine eidesstattliche Versicherung.
Modern wäre ein Gender-Selbstbestimmungsrecht
Durch diese Verengung auf medizinische Kriterien werden alle anderen Personengruppen, die sich nicht im binären Geschlechtersystem wiederfinden, von der Divers-Kategorie ausgeschossen. Und darin liegt die vertane Chance der Gesetzesänderung, die von einem überkommenen rein biologischen Geschlechterverständnis beseelt ist. Geschlecht wird als etwas gesehen, das von außen zugeschrieben werden kann und nicht als etwas, worüber das jede Person selber am besten Bescheid weiß.
Darunter leiden vor allem transidente Menschen, die sich beispielsweise von zwei unabhängigen Psychiatern begutachten lassen müssen, bevor sie mit einer Hormonbehandlung beginnen dürfen. Das schreibt das Transsexuellen-Gesetz vor. Diese entwürdigende Praxis wäre obsolet geworden, hätte man die Gesetzesänderung zum Personenstandsrecht gleich mit einem Gender-Selbstbestimmungsrecht verknüpft.
Das neue Gesetz wird das Bewusstsein in Genderfragen erweitern
Doch bei aller Enttäuschung sollte eins nicht vergessen werden: Es ist nun staatlich anerkannt, dass mehr als zwei Geschlechter existieren. Dahinter gibt es kein Zurück mehr – und es wird das Bewusstsein in Genderfragen erweitern. Weil niemand wegen seines Geschlechtes diskriminiert werden darf, wird das neue Gesetz sichtbare Folgen haben.
So müssen sich Stellenausschreibungen zukünftig auch an an diverse Menschen richten – etwa indem hinter der Berufsbezeichnung „m/w/d“ vermerkt wird. Auch die Einrichtung von All-Gender-Toiletten könnte durch das neue Gesetz wieder Auftrieb bekommen. Wovon wiederum nicht nur intersexuelle Menschen profitieren, sondern alle, denen es ein Gräuel ist, sich auf dem stillen Örtchen in ein für sie nicht passendes System einzusortieren.
Und so wird der Minischritt dieser Woche vielleicht doch irgendwann als historisch angesehen werden: Als der erste auf dem Weg zu einer Welt der Gender-Selbstbestimmung.
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