Wenn Diskriminierte diskriminieren: Rassismus und Transfeindlichkeit in der queeren Szene - wir müssen reden!
Auch unter queeren Menschen gibt es Rassismus und Transfeindlichkeit. Wer das anspricht, muss mit aggressiven Reaktionen rechnen. Ein Plädoyer für mehr Empathie.
Immer wenn ehemals ungehörte Minderheiten anfangen lauter zu werden, zeigen sich einige privilegierte Menschen irritiert bis überfordert. Das sieht innerhalb der queeren Community nicht anders aus.
Ich muss beispielsweise als cis-Mann – also als jemand, der sich mit seinem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert – noch viel über geschlechtergerechte Sprache, Genderfluidity, aber vor allem über die Situation von trans Menschen lernen.
Ich habe neulich eine* non-binäre Freund*in von mir öffentlich auf Englisch misgendert, also das falsche Pronomen benutzt. Anstatt „they“ habe ich „she“ gesagt und damit beiläufig die Identität dieser Person unsichtbar gemacht. Ich stand danach vor zwei Optionen: Entweder wische ich meinen Fehler weg und tue so als wäre ich im Recht und alles sowieso halb so wild.
Fehler wegwischen oder entschuldigen?
Oder: Ich entschuldige mich und versuche, weiter an mir zu arbeiten. Ich habe mich für eine Entschuldigung entschieden. In der queeren Community müssen wir doch aufeinander aufpassen, uns gegenseitig bestärken, voneinander lernen und zumindest respektvoll zuhören.
Genau diesen Respekt vermisse ich aber sehr oft. Häufig entscheiden sich zum Beispiel LGB das T und I in LGBTIQ* einfach zu ignorieren. Oft auf eine peinliche Art und Weise, die das eigene jahrelange Engagement und den andauernden Kampf für queere Rechte in dieser heteronormativen Welt trüben.
[Wer mehr über queere Themen erfahren will, kann den Queerspiegel Newsletter abonnieren, der immer am dritten Donnerstag erscheint. Hier kostenlos anmelden: queer.tagesspiegel.de]
Der taz-Journalist Jan Feddersen hat neulich einen Text mit folgender Überschrift verfasst: „Diskriminierung im eigenen Lager: Ich, der Feind“. Darin beschwert sich der Autor über das politische Engagement für die Rechte von trans Menschen.
Hier ein kleiner Auszug aus Feddersens Text: „Ich darf ohnehin nicht mehr kompetent mitreden, ich bin als weißer Cis-Mann nicht mehr akzeptabel, glaubwürdig, zurechnungsfähig. Wer nicht gleich alle Avantgardevokabeln versteht: Cis ist ein Mensch, der sich dem gleichen Geschlecht zugehörig führt, wie jenes, das er an sich selbst wahrnimmt. Also ein Mann, der mit seinem Penis nicht nur kein Problem hat, sondern ihn okay findet.“
Dies kann doch nicht der Kern dieser Debatte sein. Hier geht es darum, dass trans Menschen in Gefahr sind. Mehrere Studien belegen, dass sie länderübergreifend überproportional von politisch motivierter Menschenfeindlichkeit, Armut, Obdachlosigkeit, sexualisierter Gewalt, HIV/Aids oder Suizid betroffen sind. Ich würde es gerne trans Menschen überlassen, für sich selbst und ihre Belange zu sprechen.
Was ich als Cis-Mann aber gut machen kann: Die Reaktion von Cis-Männern auf diese Realität beschreiben. Sich in diesem Kontext selbst als „der Feind“ zu bezeichnen, ist eine krasse Übertreibung der eigenen Rolle. Hier geht es um mehr. Es handelt sich um einen Überlebenskampf für trans Menschen, der nebenbei gesagt nichts Neues oder eine vorübergehende Mode darstellt.
"Die nehmen uns die Gelder weg!"
Dieser Widerstand wird von etablierten Gruppen in der Community aber und vor allem als Konkurrenz (Die nehmen uns die Gelder weg!) verstanden. Es gibt Geschichten von Diskriminierungen gegen trans Menschen in queeren Praxen, auf queeren Dating-Apps oder einfach so auf der Straße im Regenbogenkiez.
Wenn man diese Vorfälle in der Community anspricht, trifft man schnell auf eine schalldichte Wand. Mir stellt sich bei solchen Abwehrreaktionen daher stets die Frage: Erwartet ihr von verletzbaren Gruppen wirklich Applaus, wenn ihr sie systematisch ausschließt? So naiv kann doch niemand sein! Oder doch?
Was politisch und was privat ist, entscheiden die Privilegierten
Viele privilegierte Menschen (dazu zählen auch wir Cis-Männer) pochen darauf, das Politische vom Privaten zu trennen. Dabei entscheiden natürlich die Privilegierten selbst, was politisch und was privat sein soll. Trans Menschen können demnach trans sein, aber bitte bei sich zu Hause. Sie sollen Cis-Menschen nicht mit ihren Problemen behelligen.
Dabei ist klar, dass der Feminismus und auch die Schwulen- und Lesbenbewegung ihre Kämpfe darauf gebaut haben, das Private als das was es ist zu markieren: Politik. Die eigene queere Existenz, die ja von der Mehrheit teilweise mit Gewalt infrage gestellt wurde und weiterhin wird, transformierte sich somit zur permanenten Demo für die Gleichberechtigung.
Ein Kuss zwischen zwei Männern, lesbische Eltern mit Kind oder eine trans Frau als Landtagsabgeordnete sind heute weiterhin Anblicke, die Politik machen. Sie markieren den öffentlichen Raum, fallen auf und sind noch nicht überall selbstverständlich. Die Regenbogenflaggenflut während der Pride-Saison stellt eine – zwar nachvollziehbare, aber wegen ihrer Kommerzialisierung zu kritisierende – Politisierung des Privaten dar. Trans Menschen gleichzeitig diese Sichtbarkeit nehmen zu wollen, ist schlicht verlogen.
Mit dem Thema Rassismus kann man eine queere Party crashen
Nicht falsch verstehen: Jan Feddersen steht hier nur stellvertretend für ein größeres Problem, das über einen einzelnen Text hinausgeht. Meine Kritik zielt mehr auf eine unangenehme Reaktion, die regelmäßig auch in der LGBTIQ*Community aufploppt: Eine defensive Haltung, wenn es mal nicht um die eigenen Belange geht, sondern Solidarität angebracht wäre.
Oft habe ich diese Reaktion entlang eines anderen Themas beobachtet, das einige weiße Queers regelmäßig auf die Palme zu bringen scheint: Rassismus innerhalb der Community. Man kann mit antirassistischen Statements ganze queere Partys crashen – und queere Partys sind normalerweise äußerst resilient.
Viele denken: Wer diskriminiert ist, kann nicht diskriminieren
Viele Queers denken, dass sie selbst nicht diskriminierend reden oder agieren können, weil sie selbst diskriminiert werden. Dies fällt auf Mehrfachdiskriminierte in der Community zurück. Die Körper von Queers of Color werden fetischisiert, muslimische LGBTIQ* schief angeguckt, nichtweiße Menschen als Außenstehende markiert, die lediglich die Früchte des weiß-queeren Aktivismus genießen würden. Schwarze und People of Color werden in der Community häufig genug paternalisiert. Doch wenn man mit einigen weißen LGBTIQ*s über das Thema Rassismus reden möchte, schalten sie von defensiv in den Angriffsmodus.
Vor rund fünf Jahren berichtete ich für den Tagesspiegel von einer Podiumsdiskussion, bei der queere Geflüchtete und Queers of Color von den rassistischen Anfeindungen und der Andersmachung innerhalb der Berliner Community erzählten.
[Wenn Sie alle aktuelle Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Nach der Veröffentlichung meines Beitrags erreichten mich und die Redaktion beleidigte Zuschriften von weiß-queeren Individuen. Darunter auch Repräsentant*innen von Berliner Organisationen, die eigentlich für die Inklusion jedes queeren Lebens in Berlin zuständig sind und dafür mit öffentlichen Mitteln gefördert werden.
In einigen Kommentaren wurde sogar mein Rücktritt gefordert – als wäre ich die Queen oder der Generalsekretär der Vereinten Nationen. Ich hätte mit meinem Bericht „die Berliner Lesben- und Schwulenorganisationen in die Rassisten-Ecke“ gerückt, schrieb zum Beispiel jemand.
Nun ist das Rassismusproblem leider nicht auf eine Ecke begrenzt, sondern ein viel größeres, strukturelles Phänomen, das den ganzen politischen Raum durchzieht.
Die Queers of Color haben mehr Selbstbewusstsein erlangt
Ich saß vor Kurzem mit einigen Teilnehmenden an der Podiumsdiskussion von damals zusammen. Sie schilderten mir mit Schaudern die Anfeindungen und die aufgeladene Stimmung nach ihren Redebeiträgen, wie ihnen einige alteingesessene Queers Undankbarkeit vorwarfen, weil sie es wagten über ihre Erfahrungen, Diskriminierung und Gefühle zu sprechen.
Weil sie es wagten auszusprechen, dass auch in der queeren Community rassistische Strukturen herrschen.
Zuhören ist nicht schwer - und bringt keine Verbote mit sich
Fünf Jahre später hat sich in Berlin und darüber hinaus aber viel getan. Die schüchternen queeren Geflüchteten und die Queers of Color haben mehr Selbstbewusstsein erlangt, arbeiten teilweise an wichtigen Stellen in der queeren Community in Berlin und weisen (vor allem) weiße Schwule regelmäßig auf ihren Rassismus hin.
Die trans Sichtbarkeit nimmt auf Bühnen, in Diskussionsforen oder einfach im Alltag zu. Zuhören ist nicht schwer, bringt – anders als oft behauptet – keine Verbote mit sich und kostet am Ende nur ein wenig Geduld und Empathie.