Les Ballets Trockadero de Monte Carlo: Männer sind Schwäne
Les Ballets Trockadero de Monte Carlo tanzen klassisches Ballett – nur mit Männern. Ihre Performance liegt irgendwo zwischen Klamauk, Parodie und Drag-Show. Jetzt tanzen sie an der Komischen Oper in Berlin.
Er wirft die Tütü-Barbie aus dem Raum. „Guck mal, wie weit sie springen kann“, ruft er. „Und sie ist sogar auf ihren Füßen gelandet!“ Matthew Poppes Grinsen wird immer breiter, während er seine künstlichen Wimpern zurechtzupft, sein Spiegelbild betrachtend. „Sie heißt Jenny, sie bringt mir Glück.“ Neben ihm rückt Chase Johnsey seine Perücke zurecht, überprüft, ob der üppige Lidstrich symmetrisch gezogen ist, die Strasssteine darauf richtig festkleben. Er schielt rüber zu Matthew, den hier alle liebevoll Poppy nennen. „Hör auf so einen Quatsch zu reden“, sagt er dann. „Siehst du, sie schreibt das auf ... Und hinterher sagen wieder alle, wir seien die Obertunten.“ Dann muss auch er grinsen.
Willkommen bei der Tanzkompanie „Les Ballets Trockadero de Monte Carlo“, oder einfach kurz les „Trocks“, weil man sich sonst ja die Zunge verknotet. In der schmalen Garderobe des Maison de la danse in Lyon bereiten sich Poppe und Johnsey auf ihren Auftritt vor, und schon vor der Show ist das genau die Mischung zwischen Klamauk, Travestie und ernsthafter Kunst, die diese Truppe weltweit berühmt gemacht hat: In mehr als 600 Städten haben sie Erfolge gefeiert, bekommen Anfragen von Tänzern aus der ganzen Welt. Ab Dienstag gastiert die Kompanie, die ausschließlich aus Männern besteht, in der Komischen Oper.
Klar sind sie auch die Obertunten, sagt Johnsey, soll so sein, ist aber trotzdem alles auch ernst gemeint. Entstanden sind die Trocks aus der Stonewall-Bewegung Ende der 60er Jahre in New York – wie auch der Christopher Street Day. Ein paar Tänzer begannen am Off-off-Broadway, in irgendeinem privaten Loft, sich als Frauen zu verkleiden und zu bewegen. „Es war eine Parodie“, sagt Tory Dobrin, Künstlerischer Leiter der Trocks, der kurz vor der Show noch entspannt im Türrahmen der Garderobe lehnt. „Sie waren es leid, dass alle dachten, Homosexuelle wollten das andere Geschlecht sein. Sie wollten ein überzeichnetes Statement abgeben.“ Zu Beginn sei es eine reine Slapstick-Show gewesen, sagt Dobrin. Dass die Show inzwischen viel mehr ist als nur das, zeigt sich schnell, als die ersten Männer wenig später auf die Bühne trippeln, ganz oben auf ihren Zehenspitzen stehen die Männer, wie es im Ballett eigentlich den Frauen vorbehalten ist, trippeln einmal nach links, einmal nach rechts, damit gleich auch wirklich jeder in der hintersten Reihe verstanden hat: Ja, wir sind Männer, aber wir können das auch!
Charaktere sind überzeichnet
Eigentlich sei das gar nichts Besonderes, sagt Tory Dobrin in der ersten Pause. Es sei wir beim Tennis: Wenn man die Grundschläge kann, kann man jederzeit eine neue Technik lernen. Nur das Wechseln zwischen männlichen und weiblichen Rollen sei schwierig, ergänzt Chase Johnsey, der mit seinen 30 Jahren im klassischen Ballett schon in einem Alter ist, in dem die meisten aufhören. „Das liegt daran, dass es bei Männern immer nur ums Springen und Heben geht – die Verletzungsgefahr ist viel größer. Die weiblichen Rollen sind für uns nicht so anstrengend.“
Hier bei den Trocks müssen sie beides machen, auch deswegen hat die Show zwei Pausen. „Wir brauchen Zeit für das, was wir sex changes nennen“, sagt Dobrin. Nur 16 Tänzer sind sie, jeder von ihnen muss mindestens zwei Rollen übernehmen, um die fast zweistündige Show zu füllen. Und natürlich müssen sie in der Pause auch die Federn aufsammeln, die der sterbende Schwan hinterlassen hat. Manchmal muss man ganz genau hinsehen, um zu sehen, dass diese filigrane Tänzerin eigentlich ein Mann ist. Manche der muskulöseren Charaktere sind dann wieder völlig überzeichnet, clownartiger, erinnern eher an Dragqueens.
Chase Johnsey ist eher einer der zarten. Wenn er tanzt, ist nichts Klischee-Männliches mehr in ihm. Bis er mit seiner Passage fertig ist und abgeht, wie ein Cowboy, der gerade vom Pferd gestiegen ist. Sie spielen mit dem Klischee der divenhaften Ballerina, lassen Missgeschicke zu, jubeln sich gegenseitig zu, wenn eine schwierige Passage gelungen ist. Mal isst eine sitzende Ballerina vor Langeweile einen Apfel, verschluckt sich, wenn sie plötzlich tanzen muss. Mal tanzt eine die ganze Zeit aus der Reihe bis das Publikum grölt vor Lachen. Es ist eine Mischung aus klamaukiger Parodie und absoluter Virtuosität. Alle Tänzer haben Ausbildungen an großen Ballettschulen absolviert, das Niveau könnte besser nicht sein. Und so funktioniert die Show sowohl für Ballett-Fans als auch für solche, die sonst eher Berührungsängste haben.
Dobrin hat 1980 als Tänzer angefangen
Die Frauenrollen haben auch den Vorteil, dass man mit ihnen auf der Bühne alt werden könne, sagt Tory Dobrin nach der Show im Theaterrestaurant. An seiner Seite sitzt nun Paul Ghiselin, 55 Jahre und noch immer aktiv. Auch in den 40ern haben sie noch einige dabei.
Dobrin selbst hat 1980 als Tänzer angefangen, 1992 hat er die künstlerische Leitung übernommen, vier Jahre lang beides versucht – bis sie ihn gezwungen hätten, endlich aufzuhören, sagt er lachend. Zwanzig Jahre später ist der Direktor längst nicht müde, sich neue Dinge auszudenken, am liebsten Namen. Denn jeder Tänzer hat zwei Identitäten, eine männliche und eine weibliche. So ist Chase Johnsey zum Beispiel Yakatarina Verbosovich und Roland Deaulin, Matthew Poppe tritt als Doris Vidanya und Ilya Bobovnikov auf.
Tory Dobrin hat eine ganze Datenbank, in der er Namen sammelt. Kommt jemand Neues hinzu, tauft ihn Dobrin. „Wenn ich jemanden vortanzen sehe, fällt mir meist sofort ein Name für ihn ein“, sagt er. Und niemand würde es wagen, ihm zu widersprechen! Dobrin grinst, holt einen alten Laptop aus seinem Rucksack. „Neulich habe ich ein tolles deutsches Wort gelesen und daraus einen Namen gemacht, was war das noch gleich ...“, er geht die Liste durch. „Da: Bruno Backpfeifengesicht! Ist das nicht großartig?“ Er hat zwar keine Ahnung, was das eigentlich heißen soll, aber egal. „Jetzt brauchen wir nur noch einen Deutschen, der den Namen trägt – von der Company in die ganze Welt.
Jeden Tag Training und gesunde Ernährung
Da muss selbst Paul Ghiselin lachen, obwohl er weiß, wie gefährlich die Sache mit den Namen sein kann. Mit seiner weiblichen Rolle Ida Nevasayneva ist er so verwachsen, dass alle ihn nur noch so ansprechen. „Selbst meine Mutter nennt mich manchmal Ida“, sagt er. Ghiselin ist seit 1995 dabei, im Theaterrestaurant hat er sogar einen eigenen Tisch, auf dem sein Bild als Ida gedruckt ist. Er hat schon jede Rolle getanzt, die es bei den Trocks jemals gab. Dobrin lässt rotieren. „Jeder interpretiert die verschiedenen Charaktere anders“, sagt Dobrin. Das sei gut für die Zuschauer und für die Tänzer, denen niemals langweilig werde.
Auch Chase Johnsey ist schon seit 13 Jahren ein Trock. Ungewöhnlich sei das, sagt er. „In anderen Gruppen halten es die Leute höchstens zwei, drei Jahre aus.“ Jeden Tag Training, gesunde Ernährung, immer auf den Körper achten. „Viele sind schnell müde vom vielen Reisen“, sagt er. Johnsey ist mit einem anderen Kompaniemitglied verheiratet, nicht nur deshalb sagt er: „Es ist der perfekte Job. „Wir sind eine Mischung aus Artisten und Athleten, das ist doch die beste Kombination.“
Matthew Poppe, mit seinen 24 Jahren noch einer der Jüngeren, geht da noch ein bisschen weiter. „Wir sind alle Clowns“, sagt er. Aber das gelte eigentlich für jeden Menschen. „Man muss nur seinen inneren Clown finden.“
Les Ballets Trockadero de Monte Carlo, Komische Oper, Behrenstraße 55–57, Mitte, 19. bis 22. Juli jeweils 20 Uhr, 23. Juli 15 + 20 Uhr, 24. Juli 14 Uhr, Karten ab 29 Euro. Weitere Infos unter: trockadero.org. Die Reise nach Lyon fand auf Einladung von bb promotions statt.
Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per E-Mail an:queer@tagesspiegel.de.
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