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Die CSD-Gründer: Andreas Pareik und uns unser Autor Bernd Gaiser (rechts) auf dem allerersten Berliner CSD.
© Rolf Fischer/Berlin

Geschichte des Berliner CSD: Lesben, Schwule, kommt raus - die Welt sieht euch!

Der Berliner CSD startete einst mit 500 Lesben und Schwulen auf dem Kudamm. Unser Autor hat den CSD damals mitgegründet - und erzählt hier, wie die Parade zu der wurde, die sie ist.

Wir waren ziemlich nervös vor dem ersten Christopher Street Day in Berlin. Nicht, weil wir uns Sorgen machten, die Polizei könnte uns drangsalieren. Wir fürchteten uns auch nicht vor Rufen von Passanten – obwohl wir damit schlechte Erfahrungen hatten. Bei einer ersten Homosexuellen-Demo einige Jahre zuvor mussten wir auf dem Kudamm noch hören: „Leider hat man Euch Schwule nicht alle vergast.“

Wir waren nervös, weil wir nicht wussten, ob überhaupt jemand kommt. Würden wir womöglich alleine am Savignyplatz stehen, dem Treffpunkt, von dem aus der ersten CSD starten sollte?

„Mach dein Schwulsein öffentlich!“ – „Lesben erhebt euch und die Welt erlebt euch!“: Das waren die zwei Hauptparolen. Sie richteten sich bewusst an Lesben und Schwule selbst – um sie zum Mitmachen zu bewegen. Es ging uns um unsere Sichtbarkeit. Eine Auseinandersetzung mit der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft setzt schließlich voraus, dass sie uns wahrnimmt.

Wir hatten nur wenige Wochen, den CSD zu organisieren

Wir waren nervös, weil wir nur einige Wochen hatten, den CSD zu organisieren. Im Frühjahr 1979 war Andreas Pareik nach New York gefahren. Pareik war Sozialarbeiter, wir kannten uns aus dem frisch gegründeten SchwuZ. In New York erlebte er hautnah mit, wie der zehnte Jahrestag des Aufstandes im Stonewall Inn in der Christopher Street vorbereitet wurde – jene legendären Straßenkämpfe, als sich erstmals Lesben, Schwule und Transsexuelle gegen Polizeirazzien wehrten, woraus die moderne queere Emanzipationsbewegung entstand.

Wir beschlossen: „Das müssen wir in Berlin auch machen!“ Um wochenlange Diskussionen in der Community zu vermeiden, verfassten wir zu zweit einen Flugblattaufruf, mit dem wir anschließend in der queeren Subkultur unterwegs waren. Der Aufruf zeigte ein skurriles Männerpaar, einer der beiden in Frauenkleidern. Das hielten wir für angemessen karnevalesk. Beim Namen des Umzugs orientierten wir uns an New York: Dort wurde schon seit Jahren die „Christopher Street Day Parade“ gefeiert. Alle Gruppen in Berlin waren dazu eingeladen, insbesondere die Frauen aus dem Lesbischen Aktions Zentrum.

Tunten und das Bild des Schwulen in der Öffentlichkeit

Ich hatte mich für den CSD im Fummel hübsch gemacht: Mit Kleid, Stirnband um den Kopf, dazu ein wallender Schal um den Hals. Ich fühlte mich frivol und war sehr davon angetan. Unter den Schwulen war und ist das bis heute umstritten: Die Angepassteren fürchten manchmal noch immer, die Tunten würden das Bild vom schwulen Mann in der Öffentlichkeit verfälschen.

Umso größer war die Erleichterung, als dann etwa 500 Lesben und Schwule am Savignyplatz auftauchten. Wir waren aufgekratzt, tanzten fröhlich erst die Kantstraße, dann die Joachimsthaler Straße und den Kudamm bis zum Halensee hinab. Dort begann es schließlich zu regnen, weshalb das geplante Abschlusspicknick ins Wasser fiel.

Vom Straßenrand kam weniger Ablehnung. Die gesellschaftliche Stimmung hatte sich gewandelt. Ein Beispiel: Kurz zuvor hatte sich ein schwuler Lehrer in Berlin erfolgreich gegen seine fristlose Kündigung wegen seines Schwulseins gewehrt. Er ging vor Gericht, die Kündigung musste aufgehoben werden. Homosexualität als Kündigungsgrund im Schuldienst fiel also weg. Der erste CSD zeigte eindrücklich: Wir Lesben und Schwule waren kein verlorener Haufen mehr.

Es dauerte so lange, den Paragrafen 175 abzuschaffen

Die zentrale Forderung des ersten CSD war, den unseligen Paragrafen 175 ersatzlos abzuschaffen. Der stellte Homosexualität noch immer unter Strafe – wenngleich in einer etwas abgemilderten Form im Vergleich zu den 50er und 60er Jahren. Wer hätte gedacht, dass das bis 1994 dauern sollte – und dass uns die Folgen bis heute beschäftigen. Noch vor einem Jahr waren wir mit der Forderung nach Rehabilitierung und Wiedergutmachung der mehr als 60.000 Opfer des Paragrafen 175 unterwegs, die in der Bundesrepublik verurteilt wurden. Das passierte erst wenig später. Zehntausende haben es nicht mehr erlebt. Viele sind ohne Rehabilitierung gestorben, weil sich der Staat zu lange Zeit genommen hat. Manche, die noch leben, berücksichtigt das Entschädigungsgesetz nicht, weil es eine große Lücke hat. Das betrifft alle, die in wochenlanger Untersuchungshaft saßen, ohne verurteilt worden zu sein.

Niemand konnte sich 1979 vorstellen, eine Tradition zu begründen, die in diesem Jahr im 40. CSD auf Berlins Straßen gipfelt. Doch erst vor dem Hintergrund der Aids-Krise der 80er Jahre entwickelte sich der CSD zu dem, was er heute ist.  Die Aids-Krise ließ die Community enger zusammenrücken: Die Bedrohung durch das HI-Virus und politischer Gegenwind führte zu einer Bewusstseinserweiterung. Wir mussten gegen bayerische Pläne protestieren, HIV-Infizierte in Quarantänelager zu sperren. Die Aids-Hilfen spielten eine große Rolle, die von Gesundheitsministerin Rita Süssmuth unterstützt wurden.

Schweigeminuten fürs Aids-Opfer

Damals haben Leute meterlange Kilts getragen, in denen die Namen der Verstorbenen eingestickt waren. Dann ertönte eine laute Sirene. Der CSD war noch so überschaubar, dass sich alle Teilnehmer in einer Schweigeminute auf die Straße legen konnten.

Richtig groß wurde der CSD Mitte, Ende der 90er: Hunderttausende kamen, das war das Gefühl des endgültigen Durchbruchs – begünstigt durch den Fall der Mauer. Damals wurde aber auch wieder eine Frage akut, die den CSD ebenfalls seit seinem Anfang begleitet und in diesem Jahr intensiver denn je diskutiert wird: Warum sind Lesben weniger sichtbar als Schwule?

Schon in den 80er spielte das Thema eine Rolle. Damals gab es viele lesbische Frauen, die noch verheiratet waren, Kinder hatten und Angst haben mussten, das Sorgerecht für sie zu verlieren, wenn ihr Lebischsein bekannt wird. 1998 nahmen Lesben als „Mösen in Bewegung“ mit einem Mösenmobil teil, eine riesige rote Vulva auf einem Truck. Eine spektakuläre und legendäre Aktion.

Haben Sie Lust, jemanden kennenzulernen, der Fragen ganz anders beantwortet als Sie? Dann machen Sie mit bei „Deutschland spricht”. Mehr Infos zu der Aktion auch hier:

Wird Frauen genug Raum gelassen?

Die Männer müssen sich fragen, ob sie den Frauen genug Raum lassen. Gut, dass heute im CSD e.V. auch Frauen vertreten sind, sie also nicht mehr davon ausgehen müssen, es beim CSD mit einem reinen Männerding zu tun zu haben. Das Schwule Museum verfügt inzwischen auch über Vorstandsfrauen und hat dieses Jahr zum Jahr der Frauen ausgerufen und eine Dyke-Bar eröffnet. Vor diesem Hintergrund fällt es mir leicht, beim 40. CSD das „Elberskirchen-Hirschfeld-Haus“ von Queer Nation zu unterstützen: ein queeres Kulturzentrum, das im Herzen Berlins entstehen soll. Es ist eine gemeinsame Initiative aller Gruppen der queeren Community. Alle machen wir uns zusammen dafür stark:  miteinander und nicht gegeneinander.

Es sind viele Jahre seit dem ersten CSD vergangen. 2017 durfte ich am Brandenburger Tor den „Soul of Stonewall Award“ entgegennehmen, stellvertretend für alle, die seit Jahrzehnten daran beteiligt sind, den CSD zu dem zu machen, was er heute ist. Und für Andreas Pareik, der bereits 1982 einem tödlichen Autounfall zum Opfer fiel, aber kurz zuvor noch die  Gründung des ersten lesbisch/schwulen Kommunikations- u. Beratungszentrums in der Kreuzberger Hollmannstraße mitinitiiert hatte. Oder für den fotografischen Chronisten der queeren Szene Berlins, Jürgen Baldiga, dessen 25. Todestag wir am 4. Dezember in diesem Jahr begehen, als Opfer seiner AIDS-Erkrankung.

Der Autor heute: Bernd Gaiser, Mitorganisator des 1. Berliner CSD.
Der Autor heute: Bernd Gaiser, Mitorganisator des 1. Berliner CSD.
© Mike Wolff

An einer Frage scheiden sich die Geister, seit es den CSD gibt: Ist er politisch genug? Der CSD ist zu lustig, zu hedonistisch, kann nicht ernstgenommen werden – diese Kritik zieht sich wie ein roter Faden durch seine Geschichte. Es gibt immer eine Strömung, die sagt: Es muss viel ernster, viel politischer sein. Die Kritik verkennt, dass Ausgelassenheit und politische Stimmung zusammenpassen und zusammengehören. Man denke nur an das vergangene Jahr. Die Ehe für alle war gerade im Bundestag beschlossen. in Sicht. Während der Parade regnete es in Strömen. Viele haben sich einfach ausgezogen und im Regen getanzt. Damit feierten sie ein Gefühl der Befreiung - und stellten nicht etwa ihre Nacktheit. zur Schau.

Auf die Idee der Ehe für alle wären wir nie gekommen

Auf die Idee eines Gesetzes zur Ehe für alle wären wir beim ersten CSD nie gekommen. Die meisten waren damals eher ehekritisch. Der Wunsch, die Ehe zu öffnen, kam erst in den 90er Jahren. Doch auch mit der Ehe für alle ist der Kampf um Akzeptanz, Gleichberechtigung und Gleichstellung nicht vorbei. Die Erweiterung von Artikel Drei des Grundgesetzes – „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ – um den Aspekt der sexuellen und geschlechtlichen Identität lässt weiter auf sich warten, und das bereits seit zehn Jahren. Auch Trans- und Homophobie sind nach wie vor ein aktuelles Thema, ebenso wie Antisemitismus und Rassismus. Die Streichung des Transsexuellen-Gesetzes in Deutschland lässt auch weiter auf sich warten - obwohl die WHO bekannt gegeben hat, Transsexualität bis 2022 aus der Liste der psychischen Krankheiten streichen zu wollen.

Wer also davon ausgeht, dass unsere Ziele als queere Community bereits verwirklicht sind, täuscht sich. Der CSD ist weiter wichtig und wichtiger denn je. Wenn Lesben und Schwule auf die Straße gehen, sich sichtbar machen, die Bevölkerung konfrontieren – dann ist das nach wie vor ein hochpolitischer Akt.

Bernd Gaiser ist Mitorganisator des 1. CSD 1979 und Mitbegründer und Mietersprecher des „Lebensort Vielfalt“ Berlin. Ein Porträt über ihn lesen Sie hier.

Bernd Gaiser

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