Die Geschichte von Jan Mautner und Fredy Hirsch: Jung, schwul – und von den Nazis ermordet
Die tragische Liebesgeschichte von Jan Mautner und Fredy Hirsch ist ein rares Zeugnis queerer Schicksale in der NS-Zeit. Sie zeigt auch: Schwulsein gilt bei NS-Opfern bis heute als ehrenrührig.
Er war jung, sportlich, charismatisch, gutaussehend, jüdisch – und schwul. Dass die sexuelle Orientierung des 1916 in Aachen geborenen Fredy Hirsch bekannt ist, macht ihn schon zu einem wichtigen Ausnahmefall. Denn bis heute liegt die queere Geschichte des Holocaust weitgehend im Dunklen. Fredy Hirsch wanderte mit 19 Jahren vor den Nazis in die benachbarte Tschechoslowakei aus; der junge Zionist sollte zu einer der leitenden Figuren im Ghetto Theresienstadt und später in Auschwitz werden. Als Jugendleiter war Hirsch allgemein beliebt. Es gelang ihm, die ihm anvertrauten Jugendlichen selbst in einer Zeit zu begeistern und mitzureißen, in der Juden nur Demütigung, Enteignung und zuletzt der Tod bevorstand.
Sein Schwulsein war schon damals bekannt. An der Oberfläche tolerierte man es, so weit man das aus den Quellen bislang sagen konnte. Seine Homosexualität wurde auch in einigen Filmen und Büchern zu dieser herausragenden Figur thematisiert, zuletzt in einem Jugendbuch des Historikers Dirk Kämper. Dennoch wussten wir bis vor Kurzem so gut wie nichts über Hirschs Privatleben. Erst jetzt zeigen neue Quellen des Brünner Makkabi-Vereins und Gespräche mit Zeitzeugen, dass Fredy Hirsch viele Jahre mit einem Mediziner zusammen war.
Die Toleranz damals war dünn und prekär
Die Geschichte des Paares ist nicht nur eine der seltenen queeren Lebensgeschichten, die sich für die NS-Zeit rekonstruieren lassen. Sie belegt auf mehreren Ebenen zugleich, wie dünn und prekär die vermeintliche Toleranz damals war und noch immer ist.
Fredy lernte seinen Freund 1936 in Brno kennen – es war der vier Jahre ältere Jan Mautner, genannt Jenda. Hirsch hatte dort kurz nach seiner Flucht als Gymnastiklehrer des zionistischen Jugendverbands Makkabi Fuß gefasst. Der Medizinstudent Mautner, aufgewachsen im mährischen Olomouc, war bei Makkabi sein Kollege. Die beiden publizierten gemeinsam in der Makkabi-Zeitung, Jenda übersetzte die Texte seines Freundes ins Tschechische, denn Hirsch lernte die schwierige Sprache nie besonders gut.
Hirsch und Mautner waren ein stadtbekanntes Paar
Die Überlebende der Lager Raasiku, Stutthof und Neuengamme, Ruth Kopečková, erzählt, dass die beiden ein stadtbekanntes Paar waren. Zusammen organisierten sie die Winterausflüge von Makkabi, wo Jendas Mutter die Heranwachsenden fantastisch bekochte. Das schwule Paar wohnte zusammen, hatte also vermutlich den Segen von Mautners Eltern. In der Tschechoslowakei stellte damals der Paragraf 129a männliche wie weibliche Homosexualität unter Strafe – auch wenn Aktivistinnen und Aktivisten für die Entkriminalisierung kämpften. Brno war überhaupt ein wichtiger Ort für queere Geschichte: 1932 traf sich hier die Weltliga für Sexualreform mit ihrem Gründer Magnus Hirschfeld, und 1936 ließ sich auch Hirschfelds Vertrauter Karl Giese in Brno nieder.
Im Frühjahr 1939 zog Hirsch nach Prag und arbeitete dort weiter für Makkabi. Mautner konnte sein Medizinstudium nicht mehr abschließen, nachdem die Nazis die tschechischen Universitäten geschlossen hatten, und folgte seinem Freund ein Jahr später nach Prag. Die beiden arbeiteten als Sportlehrer auf dem Sportplatz Hagibor – die einzige Freizeitmöglichkeit, die für die jüdische Jugend geblieben war, nachdem die Deutschen die Tschechoslowakei okkupiert hatten.
Die SS deportiert Hirsch 1941 nach Theresienstadt
Was mit den beiden nach 1940 als Paar passierte, lassen die Quellen im Dunkeln. Die SS deportierte Fredy Hirsch im November 1941 mit einer Gruppe führender Zionisten nach Theresienstadt. Hier leitete Hirsch gemeinsam mit Egon Redlich die Jugendfürsorge. Sie organisierten Jugendheime, in denen Kinder getrennt von den Erwachsenen untergebracht waren. Hirsch bot weiterhin Gymnastik an – und brachte den tschechischen, deutschen und österreichischen Jugendlichen Selbstachtung bei. Jugendlichen, die als Juden beim Heranwachsen nur Beleidigungen und Demütigungen erlitten.
Fast zwei Jahre blieb Fredy in Theresienstadt, bis er im September 1943 zusammen mit 5000 anderen in das Familienlager in Auschwitz deportiert wurde. Diese Menschen mussten keine Selektion durchlaufen, die Kinder blieben so zunächst am Leben. Hirsch etablierte hier einen Kinderblock. Es gelang ihm, die Kleinen zumindest teilweise vor der Brutalität des Lagers zu beschützen. Doch sechs Monate nach der Ankunft des ersten Transports wurden fast alle Häftlinge in den Gaskammern ermordet, darunter auch Fredy Hirsch.
Homophobe Vorurteile in der Häftlingsgesellschaft
Warum war die Partnerschaft von Hirsch und Mautner bisher nicht bekannt? Womöglich verschwand Hirschs große Liebe auch deswegen aus der allgemeinen Erinnerung, weil die Häftlingsgesellschaft vielfach homophobe Vorurteile produzierte, die sich bis heute in den Überlebendenberichten und somit auch in der Geschichtsschreibung zu den KZs widerspiegeln.
Eines der seit jeher tiefsitzendsten homofeindlichen Ressentiments ist der Vorwurf der vermeintlichen Pädophilie aller Homosexuellen. Anschuldigen, er habe sich zu Jungen hingezogen gefühlt, trafen auch Fredy Hirsch. Manche Überlebenden erinnerten sich gar, Hirsch habe sie begrapscht . In keinem der Werke und Filme ist dieser Vorwurf jemals weitergehend aufgegriffen worden. Hirschs Partnerschaft mit dem etwas älteren Jenda Mautner wirft jetzt zumindest ein anderes Licht auf diese Vorwürfe – Vorwürfe, die stigmatisierten und auch die Grenze der Toleranz gegenüber dem schwulen Ausländer Hirsch zeigen könnten.
Wir wissen nicht, ob Jenda Mautner jemals seinen Lebenspartner Fredy wiedersah, nachdem dieser nach Theresienstadt deportiert wurde. Zwar traf auch Mautner dasselbe Schicksal, jedoch leicht zeitversetzt. Mautner kam erst im Juli 1942 nach Theresienstadt, im Dezember 1943 dann nach Auschwitz. Er erlebte indes im Juli 1944 noch mit, dass das dortige Familienlager aufgelöst und alle „arbeitsfähigen“ Menschen zur Zwangsarbeit verschleppt wurden. Mautner wurde nach Schwarzheide, einem Außenlager von Sachsenhausen, deportiert, wo er für die Hydrierwerke der Brabag arbeiten musste. Man geht davon aus, dass etwa die Hälfte dieser Häftlinge bis zum April 1945 umkam. Dann hetzte die SS die Menschen auf den Todesmarsch – wieder in Richtung Theresienstadt. Mautner war unter denen, die das Ghetto lebendig erreichten.
Mautner überlebte das KZ - aber nicht unversehrt
Er überlebte, aber nicht unversehrt. In den KZs steckte er sich mit schwerer Tuberkulose an, die ihn in der Nachkriegszeit sogar vor dem sonst obligatorischen Wehrdienst bewahrte. Seine Familie, Eltern und Schwester, waren ermordet. Er verließ die Jüdische Gemeinde und änderte seinen Nachnamen in Martin, was nicht jüdisch klang. Zu ihm zog die Familie seines Cousins, der in Palästina den Krieg überstand. Der Cousin lebt heute noch immer, er ist inzwischen 80 Jahre alt. An Jenda erinnert er sich heute im Gespräch so: „Er war flamboyant und sehr klug. Ich testete sein Gedächtnis mit erstaunlichen Ergebnissen. Er konnte sich lange Wortfolgen merken und sie auswendig aufsagen, auch umgekehrt. Er sagte, dass er nie mühsam lernen musste, er las das Material vor einer Prüfung einmal durch und das war genug.“ Als die Mautners nach Jendas sexueller Orientierung gefragt werden, zeigt sich: „Flamboyant“ nutzen sie als Chiffre für schwul.
Jenda, der sein drittes Rigorosum ablegte und als Arzt arbeitete, fand noch eine neue Liebe, den jüdischen Apotheker Walter Löwy, der später nach München emigrierte. Am 2. September 1951 starb Mautner jedoch in Prag. Es ist tragisch, dass der Mensch, der Partner einer der führenden jüdischen Figuren im Holocaust war, an einer Krankheit starb, die zu dem Zeitpunkt behandelbar war. In der sozialistischen Tschechoslowakei gab es Antibiotika, mit denen Schwindsucht geheilt werden konnte.
Die einzigen Menschen, die sich heute sonst noch an Jenda und seine Beziehung zu Fredy erinnern könnten, sind Theresienstädter Überlebende. Doch eine Anfrage an die Theresienstädter Initiative, die tschechische Vereinigung der Holocaustüberlebenden, in ihrem Newsletter nach Zeugen des Paares suchen zu wollen, wurde überraschenderweise zunächst zurückgewiesen. Eine Überlebende legte ihr Veto ein. Auch wenn alle wüssten, dass Hirsch schwul gewesen war, so sollte darüber nicht gesprochen werden. Das würde „sein Andenken beschmutzen“.
KZ-Überlebende wollen nicht über das Schwulsein der beiden sprechen
Nach viel Hin und Her darf dann doch ein kurzer Text erscheinen – allerdings stark zensiert: Leser erfuhren weder, dass Fredy und Jan ein Paar waren, noch weshalb eine Historikerin nach Mautner sucht. Ein verstörender Beleg, dass selbst im Jahr 2018 die Homosexualität eines Holocaustopfers als ehrenrührig gilt. Der Vorstand der Theresienstädter Initiative lehnte es auch danach ab, sich weiter mit dem Veto und den Vorbehalten gegen die Zeitzeugensuche zu beschäftigen – mit der Begründung, die Historikerin solle nicht so „verbohrt“ sein.
Es ist eine Tragödie, dass ausgerechnet die Überlebenden-Organisation auf diese Weise die letzten Spuren einer großen queeren Liebesgeschichte im Herzen des Holocaust verwischt. Im Zeitalter des wachsenden Populismus stehen LGBT-Rechte und queere Geschichte nicht nur für sich. Wie ein Wetterleuchten das heranrückende Gewitter, so zeigt der Umgang mit ihnen eine Tendenz zur Einschränkung offener Geschichtsschreibung an. Wir müssen kämpfen, um sie zu erhalten.
Die Autorin ist Juniorprofessorin für europäische Zeitgeschichte an der University of Warwick. Ein Schwerpunkt ihrer Forschung ist die queere Geschichte des Holocaust. Ihre Arbeit zu Fredy Hirsch und Jan Mautner baut auf einer ersten Suche der Historikerin der Jüdischen Gemeinde in Brno, Alena Mikovcová, auf, die im Archiv von Brno einen Hinweis auf Mautner fand.
Anna Hájková
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