Reaktion auf Gesetzentwurf: Heftige Kritik an "Minimallösung" zum dritten Geschlecht
„Es handelt sich um schwerste Diskriminierung“: Interessensverbände kritisieren den Gesetzentwurf zum dritten Geschlecht von Innenminister Horst Seehofer.
Was war die Freude in der queeren Community groß, als das Bundesverfassungsgericht im letzten Oktober urteilte, neben „männlich“ und „weiblich“ müsse noch eine dritte Option im Geburtenregister geschaffen werden! Von der Begeisterung ist nicht mehr viel zu spüren, nachdem das CSU-geführte Innenministerium Anfang Juni einen Gesetzesentwurf dazu vorstellte. Ernüchtert ist man nicht nur über die Inhalte, sondern auch über die Art der Zusammenarbeit.
„Es handelt sich um schwerste Diskriminierung“, fasste am Donnerstag Lucie Veith vom Bundesverband Intersexuelle Menschen auf der gemeinsamen Pressekonferenz des Vereins mit der Bundesvereinigung Trans* e.V. (BVT*) in Berlin die Kritik zusammen. Zwar sei es positiv, dass der ursprünglich vorgeschlagene Begriff „anderes“ nach der Intervention von Familienministerin Franziska Giffey und Justizministerin Katharina Barley (beide SPD) zu „weiteres“ geändert worden sei.
"Wenn sich jemand als Mann oder Frau eintragen lässt, braucht er auch kein ärztliches Attest"
Unhaltbar sei es aber, dass inter*sexuelle Menschen eine ärztliche Bescheinigung zu ihrer geschlechtlichen Identität vorlegen sollten, um in der Option „weiteres“ aufgeführt zu werden. „Dies ist aus unserer Sicht nicht verfassungskonform. Wenn sich jemand als Frau oder Mann eintragen lässt, muss er ja auch kein ärztliches Attest vorlegen“, begründete Veith das Unverständnis. Außerdem sei es enttäuschend, dass trans* Personen im vorliegenden Gesetzesentwurf gar nicht vorkämen. Gehofft hatten die Organisationen auf eine offene Begrifflichkeit, in der sich alle Menschen wiederfinden könnten, die sich nicht als „Mann“ oder „Frau“ verstehen.
Es werde wieder der alte Fehler gemacht, Körper und Identität zu verwechseln, sagte Jonas Hamm, Rechtsexperte der BVT*. Hamm wies zudem darauf hin, dass es bereits seit 2017 einen ausgearbeiteten Gesetzesvorschlag gäbe, der von der Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität erarbeitet wurde und alle geforderten Punkte berücksichtige. Negativ bewerteten Veith und Hamm außerdem, dass Sorgeberechtigte von Kindern unter 14 Jahren die Geschlechterzugehörigkeit ihres Kindes ändern lassen könnten, ohne dabei die klare Zustimmung des Kindes zu brauchen.
Verwundert zeigten sich die Vertreter*innen darüber, wie das Innenministerium den Beteiligungsprozess gestaltet. Der Bundesverband Intersexuelle Menschen bekam den Gesetzesentwurf zunächst gar nicht und dann nur auf Anfrage unkommentiert vom Innenministerium zugeschickt. Die BVT* wiederum hatte das Papier zwar vom Ministerium unaufgefordert zugestellt bekommen – das aber, obwohl trans* Personen im Gesetzentwurf selber gar nicht vorkommen.
Auch die „Kampagne für eine dritte Option“, deren erfolgreiche Klage die Gesetzesänderung erst erforderlich gemacht hat, hat den Gesetzesentwurf vom Ministerium nie erhalten – geschweige denn eine Einladung zum Beteiligungsprozess. Dies teilte der Pressesprecher der Gruppe, Moritz Prasse, auf Anfrage mit. Man würde aber trotzdem an einer Stellungnahme arbeiten und sie dem Ministerium bis zum 25. Juli zuschicken. Bis dahin können sich zivilgesellschaftliche Organisationen zum Entwurf äußern. „Der Entwurf geht komplett an den Bedarfen der betroffenen Menschen vorbei“, kritisiert Prasse. Vielmehr handele es sich um die befürchtete Minimallösung.
Das Justizministerium sieht alle Einwände ausgeräumt
Nicht nur ein transparenteres Beteiligungsverfahren der Verbände wäre wünschenswert, sagte Veith. „Auch eine bessere Abstimmung zwischen den Ressorts der Ministerien wäre wichtig.“ Auf die Anfrage, ob die Ressortabstimmung immer noch im vollen Gang sei, wollte man sich beim Justizministerium nicht offiziell äußern. Zu hören ist aber, dass mit den vorgenommenen Anpassungen bereits alle Kritikpunkte seitens des Justizministeriums ausgeräumt seien, eine weitere Ressortabstimmung also gar nicht für nötig befunden würde.
Das Gesetz ist nur ein Aspekt eines viel größeren Themas. „Wir haben es hier mit einem Aushandlungsprozess zu tun, der gesamtgesellschaftlich ablaufen muss“, sagte Veith. Umso wichtiger wäre deswegen eine gesetzliche Regelung, die sich auf Menschenrechte stützt, statt neue Diskriminierung zu schaffen. Um nicht nur passiv auf die Gesetzesänderung zu warten, planen Unterstützer*innen derweil die „Aktion Standesamt“. Im Oktober rufen sie möglichst viele Menschen dazu auf, gleichzeitig Anträge auf einen individuell richtigen Geschlechtseintrag bei den verschiedenen Standesämtern zu stellen.
Anna Thewalt
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