Gesetzentwurf des Innenministeriums: Das dritte Geschlecht soll "weiteres" heißen
Das Innenministerium legt einen neuen Gesetzentwurf zum Dritten Geschlecht vor. Die Kategorie sollen nur ganz wenige beantragen dürfen. FDP und Grüne sprechen von "Schikane" und "Schmalspurlösung".
Das Urteil der Verfassungsrichter zum Dritten Geschlecht im vergangenen Herbst war eine gesellschaftspolitische Revolution: "Mann" und "Frau" reichen als Angabe im Personenstand nicht aus, urteilten die Karlsruher Richter damals. Vielmehr müsse der Gesetzgeber eine weitere Option zulassen - und zwar bis Ende 2018. Das Bundesverfassungsgericht ließ dabei durchblicken, dass es durchaus auch für radikale Lösungen offen ist: Denkbar wäre zum Beispiel, den Geschlechtseintrag im Personenstand gleich ganz zu streichen, erklärten die Richter.
Einen solchen großen Wurf will das von Horst Seehofer (CSU) geführte Innenministerium allerdings nicht wagen. Ein neuer Referentenentwurf, der dem Tagesspiegel vorliegt, sieht neben "männlich" und "weiblich" künftig die neue Kategorie "weiteres" im Personenstand vor. Das Ministerium nimmt damit Abstand von der Bezeichnung "anderes". Wie berichtet, hatten das unter anderem die SPD-Ministerinnen Katarina Barley und Franziska Giffey als herabsetzend und ausgrenzend kritisiert. Die Karlsruher Richter hatten "inter" oder "divers" vorgeschlagen, auf jeden Fall aber eine "positive" Bezeichnung,
Ein medizinisches Gutachten soll nötig sein
Als "weiteres" sollen künftig Neugeborene in das Geburtenregister eingetragen werden können. Ebenso soll auch Jugendlichen ab 14 Jahren (mit Zustimmung der Eltern) und Erwachsenen die Möglichkeit offen stehen, auf Antrag beim Standesamt "die Angabe des Geschlechts in ihrem Geburtseintrag durch eine andere ersetzen", wie es in dem Gesetzentwurf heißt - und dabei auch neue Vornamen bestimmen.
Den Kreis derjenigen, für die "weiteres" als Geschlechtskategorie infrage kommt, grenzt das Innenministerium allerdings stark ein. Ebenso stellt es Hürden vor eine Bewilligung. Gelten soll das Gesetz nur für intersexuelle Menschen ("Menschen mit Varianten in der Geschlechtsentwicklung", wie es in den Entwurf heißt). Bei Intersexuellen lassen sich Geschlechtsmerkmale wie Hormone, Keimdrüsen oder Chromosomen nicht eindeutig in "männlich" oder "weiblich" einordnen. Dass das bei ihnen so ist, werden sie künftig mit einem medizinischen Gutachten nachweisen müssen. Ansonsten bekommen sie ihren Antrag nicht bewilligt.
Die FDP spricht von "Gängelung"
Die Einschränkungen stoßen bei FDP und Grünen auf heftige Kritik. Jens Brandenburg, Sprecher für die Rechte von LSBTI der FPD-Fraktion im Bundestag, hält das Beharren auf einem medizinischen Nachweis für "Schikane": "Anstatt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit Respekt vor geschlechtlicher Vielfalt umzusetzen, setzt Seehofer auf eine weitere Gängelung intergeschlechtlicher Menschen", sagt Brandenburg.
"Wieso sollte man bei der Änderung des Personenstandes ein ärztliches Attest vorlegen?", fragt sich auch Sven Lehmann, der queerpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion: "Das ist ja wohl eine selbstbestimmte Entscheidung." Für ihn ist der Gesetzentwurf eine "Schmalspurlösung". Lehmann und Brandenburg vermissen zudem ein Verbot von geschlechtszuweisenden Operationen an intersexuellen Säuglingen, wie sie auch in Deutschland immer wieder vorkommen.
Karlsruhe hatte in seinem Urteil auf die Klage einer intersexuellen Person reagiert. Die Richter hatten sich aber offen für Lösungen gezeigt, die weit über diese Gruppe hinausgehen - was man eben an dem Vorschlag merkt, den Geschlechtseintrag ganz zu streichen. Überhaupt hat für das Bundesverfassungsgericht schon bei mehreren Urteilen im Zweifelsfall die empfundene Identität eines Menschen die entscheidende Rolle gespielt.
Und so kritisiert die Opposition jetzt, dass die Koalition die Gelegenheit nicht nutzt, gleich die Lage für Transgender mit zu erleichtern: also für Menschen, die sich nicht der Geschlechtsidentität zugehörig fühlen, die ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Für diese gilt noch immer das jahrzehntealte "Transsexuellengesetz". Das zwingt trans* Menschen dazu, für einen neuen Vornamen genauso wie für die Personenstandsangleichung vor Gericht zu gehen. Dort müssen sie sogar zwei psychologische Gutachten vorlegen, die ihnen eine „Geschlechtsidentitätsstörung“ diagnostizieren. Die Kosten für die Begutachtungen, die oft im vierstelligen Bereich liegen, müssen die Betroffenen selber zahlen.
Gefordert wird, das Transsexuellengesetz zu streichen
Eine Prozedur, die oft als demütigend empfunden wird, aber dennoch beibehalten werden soll. In der Konsequenz wird es also für Intersexuelle und Transgender unterschiedliche Verfahren im Personenstandsrecht geben. Diese eint, dass eine eigene Entscheidung über die Geschlechtsidentität ohne Fremdgutachten nicht möglich ist. "Wir müssen aber endlich aus der Gedankenwelt raus, dass es sich hier um Krankheiten handelt", fordert Jens Brandenburg.
FDP wie Grüne setzen sich wie mehrere Interessensverbände für eine Abschaffung des Transsexuellengesetzes ein. "Das Urteil gibt so viel mehr her", sagt Lehmann: "Wir brauchen einfache, selbstbestimmte Verfahren zum Geschlechtseintrag und zur Änderung des Vornamens ohne psychologische Zwangsgutachten." Und Brandenburg kritisiert: "Schwarz-Rot verschläft die Chance auf ein modernes Familienrecht. Die Reform des Personenstandsrechts muss die Selbstbestimmung aller Menschen unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität zum Ziel haben."
Die Bundesvereinigung Trans verweist in dem Zusammenhang darauf, dass es in Schweden, Dänemark, Malta, Irland, Norwegen und Belgien bereits durch einen einfachen Verwaltungsakt beim Standesamt möglich ist, sowohl die Vornamens- als auch die Personenstandsänderung vornehmen zu lassen. "Zur Bestimmung der geschlechtlichen Identität bedarf es weder eines Gerichtsverfahrens, noch einer Diagnose, sondern lediglich der Selbstauskunft der antragstellenden Person", erklärt der Verband - das müsse auch in Deutschland so umgesetzt werden.
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