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In Berlin ist ein Streit zwischen dem CSD e.V. und einer neu gegründeten Aktionsgemeinschaft entbrannt.
© dpa/ Wolfgang Kumm

Wer richtet die Parade aus?: Großer Streit um den Berliner CSD

Noch ist gar nicht klar, ob 2021 in Berlin überhaupt ein CSD auf die Straße darf. Doch schon jetzt gibt es großen Streit darum, wer ihn dann ausrichtet.

Ob die Pandemielage in diesem Jahr einen Christopher Street Day (CSD) auf den Straßen Berlins zulässt, ist noch völlig offen. Dennoch gibt es bereits einen heftigen Streit in der queeren Community, wer einen CSD dann ausrichtet. Mehrere Gruppen rivalisieren darum, die Auseinandersetzung scheint sich nun zuzuspitzen.

Stein des Anstoßes ist die Ankündigung einer neu gegründeten „Aktionsgemeinschaft LGBTIQ* Berlin“, die wie berichtet einen CSD für den 11. September plant. Die Demonstration soll am Kurfürstendamm beginnen, als weitere Orte wurden die Straße des 17. Juni und Brandenburger Tor genannt.

Die Aktionsgemeinschaft kam damit dem alteingesessenen CSD-Verein zuvor, der normalerweise den Christopher Street Day organisiert.

Der CSD-Verein kritisiert das Vorgehen der Konkurrenz jetzt scharf. In einer Mitgliederinformation, die dem Tagesspiegel vorliegt, distanziert sich das  geschäftsführende Vorstandsteam von den Aktivitäten der Aktionsgemeinschaft und „verurteilt“ diese „auf das Schärfste“. Die Aktionsgemeinschaft wiederum wirft dem CSD-Vorstand vor, „vollkommen untätig“ zu sein.

Der CSD-Verein ist momentan führungslos

Pikanterweise sind die beide konkurrierenden Seiten geschäftlich sogar noch miteinander verbunden – auch das könnte jetzt in Unfrieden enden.

Tatsächlich war vom CSD e.V., der normalerweise den Umzug organisiert, in den vergangenen Monaten noch nichts über einen möglichen CSD 2021 zu hören gewesen.

Das liegt auch daran, dass der Verein momentan de facto führungslos ist. Der alte Vorstand ist nach Auseinandersetzungen mit der Community zurückgetreten und führt die Geschäfte nur noch, bis ein neuer gewählt wird. Eine Mitgliederversammlung Mitte Januar, die den neuen Vorstand wählen sollte, wurde abgebrochen. Ein Alt-Vorstandsmitglied hatte unlängst im Queerspiegel-Newsletter des Tagesspiegel gesagt, es sei noch völlig ungeklärt, was mit dem CSD dieses Jahr geschehe – man wolle dem neuen Vorstand nicht vorgreifen.

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Dann kam vor zwei Wochen die neu gegründete Aktionsgemeinschaft LGBTIQ* Berlin, die sich selbst als „überparteilich und unabhängig“ beschreibt. Sie kündigte an, das Ganze in die Hand zu nehmen und einen Christopher Street Day eben am 11. September zu planen.

Die neuen Veranstalter planen noch mehr Events in Berlin

Hinter der Gemeinschaft stehen sieben Gründer aus Berlin und anderen Städten Deutschlands, die nicht nur die Umsetzung des Umzugs, sondern auf lange Sicht auch weitere Veranstaltungen in Berlin realisieren wollen.

„Es gibt das Motzstraßenfest, den CSD und den CSD auf der Spree, aber das meiste beschränkt sich auf die Sommermonate“, sagt Thomas Kohs. Er ist neben Markus Poscher, der ebenfalls an der Organisation beteiligt ist, Mitglied der Aktionsgemeinschaft, die beiden sind Geschäftsführer bei der Kölner RutWiess Events GmbH.

Kohs und Poscher sind seit Jahren in der Eventbranche tätig. Sie organisieren in Berlin auch die LGBTIQ* Winterdays und die Christmas Avenue am Nollendorfplatz. Am liebsten würden Kohs und Poscher irgendwann den Europride in die Hauptstadt bringen. „Das ist natürlich eine Mammut-Aufgabe“, gibt Kohs zu, „aber nach dreißig Jahren wäre das ein tolles Zeichen für die ganze Stadt“.

Die Aktionsgemeinschaft versteht sich als Vermittler

Die Aktionsgemeinschaft selber verstehe sich als Vermittler zwischen allen Vereinen und Gemeinschaften, die es bereits gebe, erklärt Kohs, und ergänzt: „Wir wollen überhaupt kein Ersatz für bestehende Konstruktionen sein, sondern neue Sachen gemeinsam entwickeln.“

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Der Wunsch sei, „mit einem tatkräftigen neuen CSD Vorstand gemeinsam eine Veranstaltung auf die Beine zu stellen“, sagt Kohs. Er kenne auch einige Bewerber für den Vorstandsposten. Die seien zwar enthusiastisch, aber „sicherlich keine Eventplaner“. Sich und seine Kolleg*innen sieht er im Vorteil, wenn es um die Eventplanung und Organisation, sowie die Verkehrstechnik oder Sicherheitskonzepte geht. „Und das werden wir mit einbringen. Denn das kann man nicht erst im August machen.“

Mehrere CSDs in Berlin in einem Jahr gabs schon einmal.
Mehrere CSDs in Berlin in einem Jahr gabs schon einmal.
© imago/Seeliger

Der CSD-Verein stellt die Sache allerdings ganz anders dar. In der Mitgliederinformation distanziert sich das Vorstandsteam von den Aktivitäten der Aktionsgemeinschaft und „der Vorgehensweise von Thomas Kohs und Markus Poscher“. Die Planung für den 11. September sei „ohne Absprache mit dem Berliner CSD e.V. und den Communities“ erfolgt, die Rede ist von „kommerziellen Interessen“. Der Aktionsgemeinschaft wird zudem vorgeworfen, das Folsom-Fetischfestival und das Lesbischschwule Stadtfest rund um den Nollendorfplatz „kannibalisieren“ zu wollen.

"Vereinsschädlich und ein massiver Vertrauensbruch"

Die Mitgliederinformation spricht weitere Details an, die aus Sicht des CSD Vereins heikel sind: Die persönliche Mitgliedschaft von Kohs und Poscher im Verein – und dass ihre Rut Wiess Event GmbH ausgerechnet vertraglich mit der Durchführung der Gastro für den CSD betraut sei.

Vor diesem Hintergrund sei das „Gebaren“ von Kohs und Poscher „vereinsschädlich und ein massiver Vertrauensbruch“, der die weitere Zusammenarbeit in Frage stelle. Der Vorstand kündigt an,Anträge auf Ausschluss von Kohs, Poscher und der Firma Rut Wiess Event GmbH zu stellen. Außerdem solle geprüft werden, „ob der Vertrag mit der Firma Rut Wiess Event GmbH vorzeitig gekündigt wird“.

Der Aktionsgemeinschaft ist die Empörung und die Kritik bekannt. Nachvollziehbar findet sie das aber nicht, sagt Kohs. „Diesen Aktionismus können wir nicht nachvollziehen, da der Vorstand seit dem digitalen CSD nicht mehr aktiv in Erscheinung getreten ist, vollkommen untätig ist und auch nicht mit ihren Vertragspartnern kommuniziert haben wie sie sich einen CSD 2021 vorstellen.“ 

Mehrere CSDs gab es schon einmal in Berlin

Kohs glaubt, dass auf den neuen Vorstand „extrem viel Arbeit“ zukommen würde. Die Aktionsgemeinschaft möchte ihm deshalb ihre Unterstützung anbieten: „Wir haben auf jeden Fall deutlich gemacht, dass wir mit jedem Vorstand – egal wer es wird - eine Zusammenarbeit anbieten werden.“ Mehrere Veranstaltungen will die Aktionsgemeinschaft auf keinen Fall in Kauf nehmen. „In keiner Weise wollen wir eine Art Gegen-CSD sein, das macht überhaupt keinen Sinn.“

Allerdings will auch der CSD-Verein das Heft des Handelns wieder in die eigene Hand bekommen. Er wolle „zeitnah alle bisher bekannten Aktivist_innen, die weitere CSD-Demonstrationen in Berlin geplant haben“, zu einem Austausch einladen, endet die Mitgliederinformation.

Sollte der Streit in mehreren CSDs enden, wäre das jedenfalls nichts Neues für Berlin: Im Jahr 2014 gab es nach Zwists in der Community gleich drei Paraden, die durch die Stadt zogen.

Tilmann Warnecke, Inga Hofmann

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