Spionage: Geheimsache Homosexualität
Über queere Agent*innen ist wenig bekannt. Doch es gab und gibt sie. In unserem Gastbeitrag unternimmt der Historiker Christopher Nehring einen Streifzug durch eine klandestine Welt voller Tabus.
Spionage und Geheimdienste sind immer für einen handfesten Skandal gut. Das Halbdunkeln des Geheimen regt zu kühnen Spekulationen an, die zwielichtigen Arbeitsbereiche der Spione sorgen für das notwendige Ambiente. Noch besser, wenn auch Sex und Liebe im Spiel sind. Wenn es dann auch noch gleichgeschlechtliche Beziehungen sind, ist alles für ein Medienspektakel angerichtet. So geschehen zum Beispiel, als 2008 der BND-Mitarbeiter Anton K. verhaftet wurde, weil er Geheimnisse an seinen albanischen Dolmetscher in Pristina, Kosovo, verraten haben soll. Das Pikante: der verheiratete Anton K. unterhielt eine intime Beziehung zu dem Mann, was zum Austausch so vieler zärtlicher Geheimnisse führte, dass am Ende nicht mehr klar war, wer hier wen abschöpfte.
Wo sich zwei Tabus wie Spionage und Homosexualität treffen, war in männlich dominierten Sphären wie Militär, Geheimdienst oder Politik ein Skandal nie weit. Während Gesellschaft und Geschlechterpolitik aber über die letzten 50 Jahre große Veränderungen durchlebten, blieben Geheimdienste und Spionage eine black box. Gab es etwa keine schwulen Agenten, Trans-Spione oder lesbische Frauen in den Diensten?
Je weiter man in der Zeit zurückstreift, desto dünner sind Quellenüberlieferungen. So ist es immer in der Geschichte, für Geschlechterfragen gilt es umso mehr. Über homosexuelle Agent*innen, die es schon alleine der mathematischen Logik wegen gegeben haben muss, schweigen die Aufzeichnungen. Nicht minder wichtig der Umstand, dass sexuelle Identität oder Geschlecht nicht immer in direktem Bezug zur Agententätigkeit stand.
Chevalier d’Éon spionierte als Kammerzofe
Das vorrevolutionäre Frankreich des 18. Jahrhunderts kannte allerdings solch einen Spion. Charles-Geneviève-Louis-Auguste-André-Timothée d'Éon de Beaumont, kurz „Chevalier d'Éon“, ein verarmt*er Adlige*r vom Lande, der zum/zur Diplomat*in und Spion*in aufstieg. Als Mitglied des königlichen Geheimbundes Secret du Roi spionierte Chevalier d'Éon als Kammerzofe Lea de Deaumont am Hofe Katharinas der Großen in St. Petersburg und später während des Siebenjährigen Krieges in London. D'Éons wechselnde Geschlechterrollen spielten dabei eine wesentliche Rolle für die Spionage, da d'Éon als Frau versteckt Informationen sammelte, zu denen er als Mann keinen Zugang gehabt hätte. Transsexualität als geheimdienstliche Tarnung.
Die Frage nach d'Éons Geschlechtsidentität soll die Zeitgenossen derart beschäftigt haben, dass an der Londoner Börse sogar Wetten darauf angenommen wurden. D'Éon selbst behauptete, als Frau geboren und als Mann aufgezogen worden zu sein, da sein Vater nur so das Erbe mütterlicherseits antreten konnte. Das fluide Verständnis seiner Geschlechtsidentität führte letztlich auch zu d'Éons Verbannung und einem Tod in Armut.
Verbote und Tabus machten Schwule erpressbar
Ein ganzer anderer Fall war Oberst Alfred Redl, Mitarbeiter des militärischen Nachrichtendienstes der österreichisch-ungarischen Monarchie (Evidenzbüro). Angeblich wurde Redl von der Russischen Geheimpolizei Okhrana gezwungen, zu kooperieren und Militärgeheimnisse weiterzugeben. Als er enttarnt wurde, entschied sich Redl dazu, lieber sein eigenes Leben zu beenden als öffentlich gedemütigt zu werden. Sollte tatsächlich Redls sexuelle Orientierung der Grund für die Zusammenarbeit mit Okhrana gewesen sein, dann nur, weil er durch das Verbot von Homosexualität überhaupt erst erpressbar war. Damit wäre Redl ein geradezu archetypischer Fall für das Sicherheitsdilemma, das lange Zeit in homosexuellen Geheimdienstmitarbeitern gesehen und konstruiert wurde.
Neben christlichen Moralvorstellungen und Theorien über „gesunde Gesellschaften“ spielten politische Erwägungen über Loyalität und Ehrlichkeit eine wichtige Rolle bei dem Verhältnis von Geheimdiensten und Homosexuellen. Die Vorurteile lauteten, dass Homosexuelle nur untereinander verkehrten und unglaubwürdig seien, da sie ihren „wahren Charakter“ zu verbergen suchten, sowie illoyal und leicht erpressbar, was auf ihr verstecktes Geheimnis zurückgeführt wurde.
Homosexuelle wurden als Sicherheitsrisiko eingestuft, nicht geeignet für Politik, Militär, Polizei oder Geheimdienste. Dies machte die Suche nach homosexuellen Politikern oder anderen prominenten Figuren zu einer Aufgabe für Polizei und Geheimdienste. So wurde diese Minderheit gezielt zum Objekt geheimdienstlicher und polizeilicher Arbeit herabgestuft. Zwischen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und den späten 1960er Jahren galt männliche Homosexualität als illegal in allen westlichen Ländern, wurde als „Unzucht“, „Sodomie“ oder „Perversion“ gesehen. Zur Verfolgung wurden verdeckte Ermittler eingesetzt, um homosexuelle Kreise zu unterwandern. Die Preußische Kriminalpolizei des Deutschen Kaiserreiches führte sogenannte „Pinke Listen“ und hatte damit einen Katalog bekannter Schwuler.
Die "Cambridge Five" arbeiteten für die Sowjetunion
Dem staatlichen Handeln lag ein durch konstruierte Moralvorstellungen gespeister Trugschluss zugrunde. Erst die Kriminalisierung abweichender sexueller Orientierungen führte ja zu einem „Unter-sich-Bleiben“, zu Erpressbarkeit und Geheimniskrämerei. Politiker, Polizei und Geheimdienste übersahen diesen Widerspruch jedoch geflissentlich.
Die berühmten sowjetischen Spione in England, die „Cambridge Five“, boten ein ganz anderes Beispiel. Auch wenn zumindest zwei von ihnen, Guy Burgess und Anthony Blunt, homosexuell waren, so konnten keine Verbindungen gefunden werden zwischen ihrer sexuellen Orientierung und ihrer Entscheidung für den sowjetischen Geheimdienst zu arbeiten. Angeblich erwartete der sowjetische Auslandsgeheimdienst, dass ihre sexuelle Orientierung sogar helfen könnte, interessante Kontakte zu schließen. Letztlich war die politische Ausrichtung der Geheimdienste also unerheblich, gepflegt wurden dieseleben Vorurteile.
Der wohl berühmteste Homosexuelle im Geheimdienst war der brillante britische Mathematiker Alan Turing. Wenn auch kein Agent per se, so stand er doch in enger Verbindung mit der Britischen Signalaufklärung (GCHQ), als er und sein Team im Zweiten Weltkrieg die berühmte Enigma-Verschlüsselungsmaschine in Bletchley Park knackten. 1952 wurde Turing wegen „Unzucht“ angeklagt. Er bekannte sich schuldig und bevorzugte eine chemische Kastration statt Inhaftierung. Die Hormonbehandlung führt zu einer Depression, zwei Jahre später beging er Selbstmord. Erst im Jahr 2009 rehabilitierte Königin Elizabeth II. Turing offiziell. Er dürfte ein prominentes Opfer unter vielen sein, deren Namen bis heute unbekannt sind.
Der britische Inlandsgeheimdienst sah Homosexualität als "Charakterschwäche"
Während der 1950er Jahre und auch noch nach der Abschwächung des berüchtigten Paragrafen 175 in der Bundesrepublik (1969) sowie dessen Äquivalenten in anderen Ländern suchten Geheimdienste weiter nach Homosexuellen. Für den britischen Inlandsgeheimdienst MI5 war Homosexualität eine „Charakterschwäche“, Schwule ein leicht erpressbares Sicherheitsrisiko. Solcherlei Überprüfungen und Empfehlungen, die mitunter politische Karrieren zerstörten, gehörten zu seinem Arbeitsauftrag. Absurderweise machte sich der MI5 dabei weniger Sorgen, wenn die Person ihre sexuelle Orientierung geheim hielt.
Bis heute ist wenig bekannt über Homosexuelle als Geheimdienstagenten im 20. Jahrhundert. Forschungen und Fakten über das soziale Profil von Geheimdienstlern sind rar oder mangeln an Hinweisen über Homosexualität. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe, von denen Befürchtungen über eine negative Außenwahrnehmung noch die geringsten sind. Obgleich das Sozialprofil der Staatssicherheit der DDR (Stasi) und neuerdings auch des Bundesnachrichtendienstes (BND) mittlerweile erforscht sind - kein Wort über LGBT.
Es bleibt schwer zu sagen, ob die Dienste keine ausreichenden Informationen über das Thema hervorbrachten oder schlichtweg mangelnde wissenschaftliche Kreativität im Wege stand. Ein ganz anderes Problem wären Datenschutzfragen: Können Informationen über die sexuelle Orientierung von Mitarbeitern einfach so rausgegeben werden? Wären z.B. Angaben zu homosexuellen Mitarbeitern nicht ein Sicherheitsrisiko für Agenten in Ländern, in denen queere Menschen immer noch kriminalisiert werden?
Die CIA hat ein Netzwerk für lesbische und schwule Mitarbeiter*innen
Immerhin: Es gibt Anzeichen für Veränderungen. Dabei sind die angelsächsischen Geheimdienste Vorreiter. Ein erstaunlicher Meilenstein war die Wahl des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 als „chancengleichster Arbeitgeber 2016“ (equal opportunity employer of the year) durch das Stonewall-Netzwerk in Großbritannien. Laut dessen Umfrage fördert der MI5 Vielfalt auf allen Ebenen, sowie eine Kultur der Teamarbeit, in der jeder seine uneingeschränkte Persönlichkeit einbringen kann. Der Chef des MI5, Andrew Parker, verkündete öffentlich, wie stolz der MI5 sei und das „Vielfalt unverzichtbar ist für den MI5, nicht nur weil wir alle Schichten der Gesellschaft repräsentieren wollen, für die wir arbeiten, sondern auch weil wir die begabtesten Menschen brauchen – wer auch immer sie sind und woher auch immer sie kommen.“
Ein weiteres Beispiel des sich veränderten Status von Homosexuellen ist der US-Auslandsgeheimdienst, CIA, welcher heute ein „Netzwerk für lesbische und schwule Mitarbeiter“ - ANGLE (Agency’s Network for Gay and Lesbian Employees) - unterhält. 2016 erhielt ANGLE den Regierungspreis für die Förderung von LGBT-Themen. Beide Beispiele beweisen, dass der Weg von Homosexuellen vom Sicherheitsrisiko zur Gruppe mit besonderen Fähigkeiten, vom Objekt zum Subjekt, sehr lang war.
Unser Autor Christopher Nehring ist Geheimdiensthistoriker und Leiter der Forschung im Deutschen Spionagemuseum Berlin (Potsdamer Platz, tägl. 10-20 Uhr). Der Artikel beruht auf seinem Essay „Gay & Female. Thoughts on Homosexuals and Women in Secret Services” , erschienen im Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies JIPSS Vol. 11 / No. 1/2017, S. 126-129.
Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels.
Christopher Nehring
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