Ein Raum für queere Eltern und Kinder: Friedrichshain bekommt Zentrum für Regenbogenfamilien
In Friedrichshain gibt es ein neues Zentrum für Regenbogenfamilien. Die Auswahl des Trägers löst Debatten aus: Ein Verein soll dafür "zu lesbisch" gewesen sein.
Gute Nachrichten für queere Familien in Berlin: Neben dem Regenbogenfamilienzentrum in Schöneberg gibt es jetzt eine weitere Anlaufstelle im Osten der Stadt. Im Queeren Kompetenzzentrum Gürtelstraße in Friedrichshain können LSBTI- Familien und Eltern sich ab sofort vernetzen und austauschen.
Träger des Zentrums ist die Trialog Jugendhilfe gGmbH, gefördert wird es von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Ziel sei es, einen Raum zu schaffen für queere Familien und Eltern, aber auch für queere Kinder, wo diese geschützt Zeit verbringen und sich austauschen könnten, sagt Johanna Dritter, eine der Koordinator*innen des Regenbogenfamilienzentrums am Telefon.
Angebote zu Themen wie Familienplanung und Kinderwunsch
„Uns ist es wichtig, hervorzuheben, dass wir ein Zentrum für alle sein möchten- für sämtliche geschlechtliche Identitäten und Familienkonstellationen.“ Wegen der Einschränkungen ist es zwar aktuell nicht möglich, sich einen eigenen Eindruck vom Zentrum zu verschaffen, aber dafür stellen die beiden Koordinator*innen Johanna Dritter und Phion Nitschke sich und das Regenbogenfamilienzentrum schon mal auf den sozialen Netzwerken vor und heißen alle willkommen.
Angesiedelt ist das Zentrum im Queeren Kompentenzzentrum Gürtelstraße, das aus einer Kooperation von Trialog, Bereich Queer Leben, und TransInterQueer e.V. hervorgegangen ist. Allerdings nur so lange, bis in der Nähe neue Räumlichkeiten gefunden wurden. Denn wenn später die Angebotsvielfalt ausgebaut werden könne, reiche der Platz nicht mehr, erklärt Dritter.
Ab sofort berät das Zentrum - telefonisch, in Einzelfällen auch persönlich
Geplant sind bislang zahlreiche Gruppen- und Einzelangebote zu Themen wie Familienplanung und Kinderwunsch. „Aufgrund der aktuellen Situation ist unser Angebot natürlich leider sehr beschränkt und wir müssen schauen, wie sich die Lage entwickelt“, sagt Dritter. Perspektivisch seien jedoch viele Gruppenangebote, die „empowernden Austausch“ ermöglichten, geplant.
[Mehr Neuigkeiten aus der queeren Welt gibt es im monatlichen Queerspiegel-Newsletter des Tagesspiegel - hier geht es zur Anmeldung.]
Dazu gehörten zum Beispiel Kinderwunschgruppen, Schwangerengruppen oder auch Gruppen zu Transelternschaft und für Alleinerziehende. Darüber hinaus soll es Gruppen geben, die für die Vernetzung und Freizeit genutzt werden können. „Wir streben Kooperationen an und würden gern irgendwann eine Rechtsberatung und eine queersensible Hebammensprechstunde anbieten können“, erzählt Dritter. Das sei aktuell allerdings noch Zukunftsmusik. Was ab sofort zur Verfügung steht, ist die Beratung im Zentrum, die telefonisch und in Einzelfällen sogar persönlich wahrgenommen werden kann.
Sandra Scheeres, als Senatorin auch für Jugend und Familie zuständig, begrüßt die Entscheidung, im Ostteil der Stadt ein Regenbogenfamilienzentrum zu eröffnen. „Berliner Familien sind vielfältig und bunt“, erklärte sie. Doch auch in der Weltstadt Berlin hätten LSBTI-Familien immer wieder mit Vorurteilen und schwierigen rechtlichen Fragen zu kämpfen. Mit dem neuen Angebot sollen diese Familien gestärkt, Erfahrungsaustausch ermöglicht und gesellschaftliche Akzeptanz gefördert werden.
Abgelehnt, weil "zu sehr auf Lesben fokussiert"
Neben positiven Bekundungen gibt es allerdings auch Kritik an dem Auswahlverfahren des Trägers. Wie die "Siegessäule" berichtet, bewarb sich der Vereins Lesben Leben Familie e.V. (LesLeFam), der seit 2018 in Lichtenberg die Anlaufstelle für „lesbische Frauen in unterschiedlichen Lebensphasen“ und Regenbogenfamilien betreibt, ebenfalls auf die Ausschreibung. LesLeFam wurde jedoch mit der Begründung, „der Verein sei zu sehr auf Lesben fokussiert“ abgelehnt.
Gegenüber dem Tagesspiegel sagte Iris Brennberger, Sprecherin der Jugendverwaltung, dass es zwar erwünscht sei, sich mit dem Regenbogenfamilienzentrum schwerpunkmäßig an Lesben zu wenden. In der vergleichenden Bewertung der Anträge sei die „Fokussierung von LesLeFam allerdings zu stark“ gewesen. Ähnliches gelte für das eher dezentral ausgerichtete Konzept.
Kritik an der Begründung der Senatsverwaltung
Constanze Körner, Leiterin von LesLeFam e.V. kann das nicht nachvollziehen. Sie findet die Begründung der Senatsverwaltung diskriminierend, vor allem angesichts der Tatsache, dass Berlin sich einen Preis für lesbische Sichtbarkeit auf die Fahne schreibe. Körner, die bereits seit vielen Jahren für Regenbogenfamilien in Berlin arbeitet und das Regenbogenfamilienzentrum in Schöneberg mitgründete, betont: „Wir haben daran gearbeitet, dass die Idee eines Regenbogenfamilienzentrums im Berliner Osten überhaupt in den Senat kam.“
Bei der Ausschreibung und den erforderlichen Bedingungen sei sie sicher gewesen, dass LesLeFam gut geeignet sei. Die Begründung der Absage findet Körner nicht nur diskriminierend, sondern auch absurd, weil die Zielgruppe der Regenbogenfamilien zu über 90 Prozent lesbisch sei. „Man kann gar nicht lesbisch genug sein, um dieses Projekt machen zu können“, sagt sie. Außerdem sei klar, dass Konstellationen mit schwulen, trans und intergeschlechtlichen Personen ebenfalls Teil des Projektkonzeptes sei.
Lichtenberg zu dezentral?
Die Begründung, dass LesLeFam in Lichtenberg zu dezentral sei, kann Körner ebenso wenig nachvollziehen. Dieses Projekt außerhalb des östlichen S-Bahnrings sei wichtig, um Menschen vor Ort zu erreichen und zu sensibilisieren. „Friedrichshain ist sicher attraktiv, aber entspricht aus unserer Sicht nicht der Ausschreibung speziell für den Osten.“
Hinter der Begründung der Senatsverwaltung sieht Körner ein grundsätzliches Problem: „Es ist ganz offensichtlich, dass lesbische Projekte in der Stadt total unterfinanziert sind.“ Das Ungleichgewicht bei der Ressourcenverteilung erschwere es, mitzuhalten und sich auf größere Projekte bewerben zu können. „An dieser Stelle wurde eine große Chance vertan."
Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass die lesbische Community bei der Vergabe eines Projektes den Kürzeren zieht: Bereits 2018 wurde das Verfahren um die Schöneberger Linse zugunsten der Schwulenberatung Berlin entschieden, die zuvor bereits mehrere Wohnprojekte zugesichert bekommen hatte Die Initiative Lesbischer Frauen. Rad und Tat (RuT), die sich ebenfalls auf das Grundstück am Bahnhof Südkreuz beworben hatte, erhielt keinen Zuschlag für den Gebäudekomplex, was für Protest innerhalb der queeren Community sorgte.
Die Grünen sind "irritiert"
Bereits beim Streit um die Schöneberger Linse zeigten sich die queerpolitischen Sprecher*innen der Grünen Anja Kofbinger und Sebastian Walter enttäuscht. Auch dieses Mal kritisieren die Berliner Abgeordneten die Begründung der Senatsverwaltung, die bei ihnen „erhebliche Irritationen“ ausgelöst habe: Unabhängig davon, dass LesLeFam e.V. eine „bundesweit herausgehobene Expertise in Sachen Regenbogenfamilie in all ihren Konstellationen“ erworben habe, zeuge die Aussage von einer „Verkennung der gesellschaftlichen Realitäten von Regenbogenfamilien“.
Sie bezeichnen die Aussage als „Schlag ins Gesicht von allen lesbischen Paaren“ und fordern, den Vorwurf, dass es sich um die strukturelle Diskriminierung eines lesbischen Projektes handle, aufzuklären.
Die Senatsverwaltung hält diese Vorwürfe für ungerechtfertigt. „Ziel des Projekts war und ist, dass eine möglichst breite queere Zielgruppe angesprochen werden soll“, sagt Sprecherin Brennberger. "Die Vermutung, es könne sich hier um eine Form der Diskriminierung von lesbischen Projekten handeln, geht völlig fehl.“
"Wir sehen queere Familie sehr vielfältig"
Zu dem Kommentar von Sebastian Walter und Anja Kofbinger möchte Johanna Dritter von Trialog, sich nicht äußern, aber sie betont: „Was ich allgemein sagen kann, ist, dass wir queere Familie sehr vielfältig sehen.“ In Berlin bräuchten Personen der queeren Community verschiedenster geschlechtlicher Identitäten einen Ort. Von trans und nicht binären Personen, die queere Familie leben wollten, gebe es ebenfalls einen großen Bedarf danach.
LesLeFam will in Lichtenberg trotz der Absage weiterhin im Feld Regenbogenfamilien arbeiten. „Wir müssen dann mal schauen, wie wir in die Zusammenarbeit mit dem neuen Zentrum kommen“, sagt Körner. Grundsätzlich sei es aber erstmal toll, dass die Stadt zwei Regenbogenfamilienzentren habe und sie fügt hinzu: „Ich persönlich kann stolz sein, dass ich dazu beigetragen habe.“