Gedenken an homosexuelle NS-Opfer: „Es bedeutet wieder einmal eine Demütigung“
Warum tut sich der Bundestag schwer, homosexueller NS-Opfer zu gedenken? Die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum über Vorurteile in der Erinnerungskultur.
Frau Schüler-Springorum, seit zwei Jahrzehnten gedenkt der Bundestag Ende Januar der Holocaust-Opfer. Anlass ist der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar. Doch noch nie wurde dabei explizit an die von den Nazis verfolgten Homosexuellen erinnert. Eine Petition fordert nun erstmals eine eigene Gedenkstunde für die homosexuellen NS-Opfer im Bundestag, auch Sie haben unterzeichnet. Muss man denn jeder Opfergruppe einzeln gedenken?
Auf jeden Fall, und das ist ja auch schon Usus, sukzessive der einzelnen Opfergruppen im Bundestag zu gedenken. Es ist schon an die kommunistischen Häftlinge, an die Roma und Sinti, an die Zwangsarbeiter erinnert worden, zuletzt an die Euthanasie-Opfer. Das war sehr eindrucksvoll. Natürlich orientiert man sich dabei an den Verfolgungskategorien der Nationalsozialisten, was durchaus ein Problem ist. Andererseits – und der Gedanke überwiegt – ist das Gedenken für die Anerkennung dieser Opfergruppen sehr wichtig, die ja oft jahrzehntelang ausgeblieben ist. Und man lernt dabei auch etwas über die Verfolgungsmechanismen des NS-Staats.
Inwiefern?
Es geht um die Frage, wie und warum der NS-Staat bestimmte Gruppen verfolgt hat. Nehmen wir das Beispiel homosexuelle Männer. Hinter der Verfolgung steht das Bild einer bestimmten militärischen Männlichkeit. Das war auch Teil der Aufrüstung und Radikalisierung der deutschen Gesellschaft, mit klaren Geschlechterbildern. Die Kehrseite: In den Lagern wurden jene Männer besonders traktiert und gefoltert, die in irgendeiner Art und Weise dem Stereotyp eines verweichlichten Mannes entsprachen. Das konnte dann Homosexuelle treffen oder Juden, die diesem Stereotyp entsprachen. ,Der Jude’ wurde auch immer gerne als verweichlichter Mann bezeichnet, die Bilder überlappen sich an dieser Stelle.
Sie sagen, das Gedenken ist für die Gruppe selber wichtig. Welche Gründe spielen bei Homosexuellen eine Rolle?
Weil sie nach 1945 in der Bundesrepublik weiterverfolgt wurden. Es gab 50.000 Urteile aufgrund des Paragrafen 175 bis 1945, und noch einmal 40.000 bis 1969. Wir wissen von der Kontinuität in der Justiz, wir können davon ausgehen, dass es dieselben Richter waren. Unter denen, die die Verfolgung erlebt haben, gab es in den sechziger und siebziger Jahren das Gefühl: Für uns hat sich nichts geändert. Der Bundestag hat noch im Jahr 2002, als er die Urteile der NS-Zeit rückgängig gemacht hat, die Urteile aus der Bundesrepublik ausgenommen.
Es hat bis 2017 gedauert, bis die in der Bundesrepublik verfolgten Homosexuellen rehabilitiert wurden.
Anscheinend brauchen wir Jahrzehnte, uns dieser bitteren Realität anzunähern. Die Vorurteile gegen Homosexuelle sind weitverbreitet. Wir mögen zwar homosexuelle Außenminister und Bürgermeister haben, das ist mit Glanz und Glamour verbunden. Aber in weiten Teilen der Gesellschaft sieht das noch völlig anders aus, das bekannteste Beispiel ist der Fußball.
Bundestagspräsident Schäuble weigert sich bislang, sich auf eine Gedenkstunde für homosexuelle NS-Opfer einzulassen. Wie erklären Sie sich das?
Ehrlich gesagt habe ich dafür keine Erklärung. Aber man sollte schon bedenken, dass dies nicht nur für die mittlerweile verstorbenen Opfer, sondern auch für ihre noch lebenden Angehörigen durchaus eine Demütigung bedeutet, wieder einmal als nicht gedenkwürdig eingestuft zu werden.
Auch die deutsche Geschichtsschreibung tut sich mit dem Thema schwer. Meistens liegt es in der Hand einzelner schwuler und lesbischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sich queerer Geschichte anzunehmen. Warum ist das so?
Das hat aus meiner Sicht nicht zuletzt mit den Vorurteilen oder Berührungsängsten der Historikerinnen und Historiker selbst zu tun, die ja auch Teil unserer Gesellschaft sind. Das spiegelt sich dann in ihrer Themenwahl wider.
Nun ist der Umgang mit dem Thema selbst innerhalb der LGBT-Community umstritten. Es gibt schwule Historiker, die lesbischen Frauen absprechen, Opfer in der NS-Zeit gewesen zu sein – weil der Paragraf 175 nur männliche Homosexualität kriminalisiert habe. Wie stehen Sie dazu?
Es stimmt, es gab kein Gesetz. Aber lesbische Frauen fielen auf: durch einen eigenwilligen Lebensweg vielleicht, auch bewegten sich manche in der Subkultur der Großstädte und entsprachen so überhaupt nicht dem Frauenbild der Nationalsozialisten als heterosexuellen Gefährtinnen und vor allem als Mütter. Daher konnten sie durchaus in die Mühlen der NS-Verfolgung geraten, vor allem in der Gruppe der sogenannten ,Asozialen‘. Heute ist es für die lesbische Community wichtig, ihrer zu gedenken. Wir müssen uns klar darüber sein, dass unsere aktuelle Gedenkkultur immer auf den Bedürfnissen der Nachgeborenen beruht. Von daher ist es völlig legitim, auch der Schicksale der verfolgten Lesben in den Lagern zu gedenken. Ich stehe deswegen ganz klar dazu, dass es im ehemaligen KZ Ravensbrück eine Gedenkkugel geben soll, die von Aktivistinnen aus der Szene verhandelt wurde.
Wenn es um die Geschichte marginalisierter Gruppen geht, müssen Historiker viel mit Selbstzeugnissen arbeiten. Andererseits sind diese Selbstzeugnisse häufig nicht überliefert, gerade weil diese Gruppen unsichtbar gemacht wurden. Wie gehen Sie als Historikerin mit diesem Dilemma um?
Das ist sehr schwer. Meine Kollegin Annette Leo hat im vergangenen Jahr ein Buch über einen verfolgten Sinto-Jungen geschrieben. Es gibt da eben keine schriftlichen Quellen, die die Sicht der Verfolgten darstellen. Dann müsste man auf Oral History zurückgreifen. Bei den in der NS-Zeit verfolgten Homosexuellen geht das aber praktisch nicht mehr, weil die Zeitzeugen nicht mehr leben. Man kann sich nur behelfen, indem man versucht, die Täter- beziehungsweise Behördendokumente gegen den Strich zu lesen, oder indem man Analogien bildet: aus den Erfahrungen anderer auf die Erfahrungen weniger schließen. Aber es ist klar: Wir schreiben vorwiegend die Geschichte derjenigen, die sich schriftlich äußern können und das auch tun – weil sie ein Ich-Bewusstsein und eine Identität haben, die sie bestärkt, ihr eigenes Schicksal zu kommunizieren.
Die 1920er Jahre werden oft als die erste Blüte der queeren Emanzipationsbewegung wahrgenommen: Mit dem Institut für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld, mit dem Kampf gegen den Paragrafen 175. In einem neuen Buch, das Sie herausgegeben, wird die These aufgestellt, damals sei genauso als Gegenbewegung die Grundlage für homophobe Diskurse gelegt worden, die bis heute anhalten. Können Sie das näher erklären?
Im Kaiserreich war das, was Maskulinität bedeutet, in der Öffentlichkeit noch unangefochten. Da gab es keine Gegenbilder zu dem des starken Mannes. Dies ändert sich in den Weimarer Jahren, und genau das produziert diese Gegenreaktion. Diesen Mechanismus kennen wir doch bis heute: Die Rechte fixiert sich momentan nicht ohne Grund stark auf die sogenannten Genderfragen.
Das Homosexuellen-Mahnmal im Berliner Tiergarten wird regelmäßig geschändet. Warum erzeugt das Erinnern an marginalisierte Gruppen so einen Hass?
Da tobt sich Verschiedenes aus: Homophobie natürlich, aber auch der Neid auf die Aufmerksamkeit, die diese Gruppen angeblich bekommen. Und: Man möchte nicht dauernd an die eigene Geschichte erinnert werden, sondern will eine positive Identifikation mit dem ,richtigen‘ Deutschsein haben dürfen. Das ist ein Aggressionsfaktor, den man bei der AfD wunderbar beobachten kann. Und dann gibt es die bestehenden Ressentiments. Man darf nicht vergessen: Schwule und Lesben waren in Berlin 2017 die am häufigsten attackierte Gruppe.
Lesen Sie hier einen Text von Lutz van Dijk, dem Initiator der Petition für das Bundestagsgedenken, zum Thema.
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