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Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten.
© Doris Spiekermann-Klaas

Neues Schreiben an Wolfgang Schäuble: Petition: Bundestag soll 2021 homosexueller NS-Opfer erinnern

Der Bundestag hat nie der homosexuellen NS-Opfer gedacht. Das soll sich ändern, fordern erneut 116 Unterzeichner einer Petition. Wolfgang Schäuble hält sie hin.

Der Bundestag soll am Holocaust-Gedenktag im Jahr 2021 erstmals explizit auch der homosexuellen Opfer des NS-Regimes gedenken: Das fordert eine Petition an das Bundestagspräsidium. Die Petition – initiiert von dem Historiker Lutz van Dijk – erneut damit einen Aufruf aus dem vergangenen Jahr, in dem der Wunsch des Erinnerns an das Leid sexueller Minderheiten unter dem NS-Regime zum ersten Mal vorgebracht wurde.

Geschehen ist seitdem allerdings kaum etwas – daher bitten die inzwischen 116 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner umso dringlicher, dass das Bundestagspräsidium jetzt handeln und sich verbindlich für das Gedenken entscheiden möge. Schäuble hatte die Initiatoren bislang vertröstet: Er wolle frühestens 2020 über das Anliegen entscheiden.

Es geht um die Feierstunde am Holocaust-Gedenktag

Konkret geht es um die seit mehr als zwei Jahrzehnten stattfindende Gedenkstunde im Bundestag anlässlich des 27. Januars, dem internationalen Holocaust-Gedenktag, der an die Befreiung des Vernichtungslagers in Auschwitz durch die Rote Armee erinnert.

2011 kam nach jüdischen Opfern erstmals auch ein Vertreter der Roma und Sinti zu Wort, 2016 wurde an die Leiden von Zwangsarbeiterinnen- und arbeitern erinnert, 2017 an „Euthanasie“-Opfer. Das sei nicht nur für die Betroffenen „von großer Bedeutung“ gewesen, sondern auch für die breite Öffentlichkeit, heißt es in dem Aufruf.

Unterzeichnet haben viele Historiker

Daher sei es ebenso wichtig, auch an sexuelle Minderheiten zu erinnern, die zu Opfern des NS-Regimes wurden. Die Petition führt schwule Männer wie die KZ-Opfer mit dem rosa Winkel genauso auf wie lesbische Frauen und andere aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Orientierung und Identität Benachteiligte und Ausgegrenzte. Die aktualisierte Petition soll am Dienstag im Bundestag eingehen. Unterzeichnet haben unter anderem zahlreiche Historiker, darunter Wolfgang Benz und Stefanie Schüler-Springorum, der frühere und die aktuelle Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung, Michael Wildt (HU Berlin) sowie Esther Bejarano, Ehrenpräsidentin des Auschwitz-Komitees, der ehemalige Bundesanwalt Manfred Bruns und der Rabbiner Walter Homolka (Uni Potsdam).

Für 2019 und 2020 hatte Schäuble eine derartige Gedenkstunde mit dem Hinweis abgelehnt, die Redner würden bereits feststehen. Tatsächlich spricht in diesem Jahr der Holocaust-Historiker Saul Friedländer, dessen Eltern in Auschwitz ermordet wurden. 2020 will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auftreten, um an den 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz zu erinnern.

2021 an homosexuelle NS-Opfer erinnern

Dass das Priorität habe, würde auch bei den Petitionsunterzeichnern auf volles Verständnis treffen, heißt es. Umso mehr bitte man, das Jahr 2021 verbindlich für das Gedenken an homosexuelle NS-Opfer festzulegen. Vier von fünf Vizepräsidenten hätten auf persönliche Nachfrage geantwortet, dass sie das Anliegen unterstützen, heißt es in einem Schreiben Lutz van Dijks an Schäuble, das dem Tagesspiegel vorliegt.

Einzig Hans-Peter Friedrich (CSU) habe auf mehrfache Anfragen überhaupt nicht reagiert. „Die Gedenkstunde am 27. Januar 2021 wird die letzte innerhalb dieser Legislaturperiode sein. Wie nach der Bundestagswahl 2021 die politischen Verhältnisse in Deutschland sind, vermag niemand zu sagen. Deshalb bitten wir Sie und Herrn Dr. Friedrichs, jetzt eine Entscheidung für den 27. Januar 2021 zu unterstützen“, schreibt van Dijk an Schäuble.

Die Lage für LGBTIs verschlechtert sich weltweit

Der Historiker weist in seinem Brief auch darauf hin, dass sich seit Anfang 2018 – dem Zeitpunkt der ersten Petition – die Lage für queere Menschen weltweit verschlechtert habe. Als Beispiel nennt er die Wahl des LGBT-feindlichen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der erklärte, er hätte lieber einen toten Sohn als einen schwulen. Umso bedeutender sei die Symbolkraft, wenn der Bundestag in einer Gedenkstunde explizit homosexuelle NS-Opfer gedenke.

Eine Tagesspiegel-Anfrage zu einer Gedenkstunde im Jahr 2021 ließen Schäuble und Friedrich unbeantwortet.

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Tilmann Warnecke

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