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Eine LGBTI-Demonstration in Istanbul im Jahr 2016.
© AFP PHOTO / OZAN KOSE

LGBTI in der Türkei: Erdoğans Jagd auf Homo- und Transsexuelle

Es ist kein Zufall, dass sich der Hass in Erdoğans Türkei auch stark gegen Homo-, Bi- und Transsexuelle richtet. Mehr denn je müssen wir die türkische Community unterstützen. Ein Gastbeitrag.

28. Juni 2015, gegen Mittag brennt die Sonne, doch die Straßen in Istanbul sind selbst für diese pulsierende Metropole ungewöhnlich voll. Regenbogen-Fahnen, bunte Plakate, Schminke - fröhlich trifft sich, was die größte Pride der türkischen Geschichte werden soll. Die Stimmung ist gut, am Vorabend hat es erstmals einen offiziellen LGBTIQ*-Empfang gegeben, bei den Parlamentswahlen wenige Wochen zuvor hat Erdoğans AKP die absolute Mehrheit verloren. Einer bunten Parade scheint nichts im Wege zu stehen. Mit einer Gruppe Grüner wollen wir diese Demonstration der Vielfalt unterstützen.

Eineinhalb Stunden vor geplantem Beginn erreicht uns die Nachricht vom Verbot der Pride. Wenig später fahren die ersten Polizeiwagen am Taksim-Platz vor. Gut geschützte Polizisten springen heraus, treiben die Menge auseinander. Über mehrere Stunden macht die Polizei regelrecht Jagd auf Pride-Teilnehmer*innen und Besucher*innen - auch wir geraten ins Visier der uniformierten Schläger und ihrer Wasserwerfer. Tränengas dringt in Mund, Nase und Augen.

Wenn eine Demokratie kippt, trifft es als erstes die Minderheiten

2015, das wird später klar, ist eine Zäsur. Seit dieser Pride haben es LGBTIQ* schwer - in Erdoğans Türkei ist für sie kein Platz. Am Beispiel der Pride zeigt sich: Wenn eine Demokratie kippt, trifft das immer zuerst und vor allem Frauen, Minderheiten, Oppositionelle. Es ist kein Zufall, dass sich der Hass so sehr gegen die Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans* richtet. Sie stehen mit ihrem Einsatz für alles, was der religiös-fundamentalistischen Weltsicht Erdoğans und seiner Gefolgsleute zuwider ist: Pluralität, Freiheit, Menschenrechte. Durch Unterdrückung und Entrechtung schweißt Erdoğan seine Anhänger zusammen, vor genau dieser Folie baut er die Türkei zu einem immer autoritäreren System um.

Die Istanbul Pride: Über viele Jahre ein Fest der Freude, eine Parade der Selbstbestimmung, der größte LGBTIQ*-Umzug in Südosteuropa. Jahr für Jahr kamen mehr Menschen, zeigten stolz, dass für sie die Türkei auf einem guten Weg war, einem Weg der Menschenrechte, einem pro-europäischen Weg. Selbst 2013 noch, dem Jahr der blutigen Zerschlagung der Gezi-Proteste, waren Zehntausende in Istanbul zur “Pride” auf der Straße. Wenige Jahre später ist unklar, ob an diesem Sonntag zum Abschluss der Pride Week überhaupt eine Demonstration zu Stande kommt. Und wenn ja, wie schnell die Polizei sie zusammen prügeln, mit Knüppeln, Wasserwerfern und Tränengas zum Erliegen bringen wird.

Wie können wir die türkische Community unterstützen?

2015 haben wir in einem Reisebericht geschrieben: “Doch auch massive Gewalt kann den demokratischen Aufbruch nicht behindern. Die Opposition lebt, und die Ereignisse der Pride werden dazu beitragen, den ungebrochenen Mut der Zivilgesellschaft zu stärken. Wir sehen die Konservativen in ihrem Abwehrkampf und wir wissen um die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Aber die Menschen auf den Straßen Istanbuls haben der Repression getrotzt und gefeiert. Und mit jedem Wasserwerfer, den sie auf uns richten, werden wir stärker, lauter und bunter.”

Nach Erdoğans erneutem Wahlsieg stellt sich drängender denn je die Frage, wie wir aus Deutschland und Europa die türkische Community unterstützen können. Was können wir jetzt noch tun, um die Menschen in der Türkei in ihrem Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit zu stärken? Haben wir bisher genug - oder das richtige - zur Unterstützung unserer türkischen Freund*innen getan? Jedes Jahr kamen wir und andere internationale Beobachter*innen. Mit jedem Jahr wurden es weniger. Nach den Verhaftungen von Deniz Yücel, Peter Steudtner und anderen fürchten viele um ihre Sicherheit. Und: Bringt es eigentlich wirklich etwas, Jahr für Jahr die Regenbogenfahne hochzuhalten, wenn am Ende die Wasserwerfer Erdoğans gewinnen? Klar ist: EU-Fortschrittsberichte, in denen die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei verurteilt werden, reichen alleine nicht.

Viele LGBTIQ*-Aktivisten in der Türkei haben resigniert

Auch in diesem Jahr findet die Pride kurz nach einer Wahl statt. Wie viele Oppositionelle hoffte auch die türkische LGBTIQ*-Szene in den vergangenen Wochen auf einen Machtwechsel. Jetzt drohen weitere Jahre der Repression. Nachdem letzten November ein LGBTIQ*-Filmfestival in Ankara von den Behörden kassiert wurde, herrscht dort bis heute ein allgemeines Verbot öffentlicher LGBTIQ*-Veranstaltungen. Viele organisieren weiter unbeirrt ihre Events.

Doch nicht wenige haben in den vergangenen Jahren resigniert und sich ins innere Exil, ins Private zurückgezogen. Und wenn am Sonntag auf dem Hermannplatz in Berlin-Neukölln eine Solidaritätskundgebung stattfindet, dann werden dort viele Türk*innen die Flagge hochhalten, die in den letzten Jahren noch mit uns in Istanbul auf der Straße waren. Hunderte junge Türk*innen haben die Türkei verlassen, um in Europa ihr Glück zu suchen. Und von dort aus Widerstand gegen den autoritären Umbau ihrer Gesellschaft zu leisten.

Eine Unterstützungs-Pride auf dem Hermannplatz

Angst ist Macht. Es ist nicht mehr zu verleugnen: Die Strategie, einen autoritären Machtumbau von Demokratien mit Hilfe von Repression auf dem Rücken von Minderheiten und Oppositionellen umzusetzen, funktioniert auch heute noch viel zu gut. Was in der Türkei passiert, ist der Ausdruck einer globalen Tendenz. Und sie betrifft auch unsere vielfältigen Gesellschaften in Deutschland und Europa. Von den Deutsch-Türk*innen, die bei der letzten Präsidentschaftswahl abgestimmt haben, haben 65 Prozent Erdoğan unterstützt. Ist ihnen allen klar, was ihre Stimme für die türkische Opposition, für Minderheiten wie unsere queeren Freund*innen bedeutet?

Darüber brauchen wir nicht die x-te Integrationsdebatte, so als sei die Verteidigung von Minderheitenrechten und Rechtsstaatlichkeit deutscher Konsens - 12 Prozent für die AfD sprechen eine andere Sprache. Es geht um den Streit um Werte, um Demokratiebildung. Diesen Streit müssen wir mit allen führen, die sich dafür nicht zuständig sehen. Um sie nicht aus der Verantwortung zu entlassen.

Die Pride am Hermannplatz am Sonntag kann ein erster Schritt sein. Vielleicht braucht es auch in Duisburg, Köln oder München solche Solidaritätskundgebungen und Orte des demokratischen Streits. Gemeinsam mit türkischen Verbänden und Gemeinden. Und in fester Solidarität mit der Exilcommunity und den Aktivist*innen in der Türkei.

Terry Reintke ist für Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament und dort Vorsitzende der LGBTI*-Intergroup. Seit 2013 ist sie regelmäßig zur Pride in Istanbul. Felix Banaszak ist Landesvorsitzender der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Bei der Pride 2016 wurde er gemeinsam mit dem heutigen Sprecher der Grünen Jugend NRW, Max Lucks, festgenommen.

Felix Banaszak, Terry Reintke

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