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Die Opfer des Paragrafen 175 in der Bundesrepublik sollen endlich entschädigt werden.
© dpa/Arne Dedert

Gesetzentwurf vorgelegt: Entschädigung für verurteilte Homosexuelle

Die Opfer des Paragrafen 175 StGB sollen rehabilitiert werden und jeweils mehrere Tausend Euro Entschädigung erhalten. Das sieht ein Gesetzentwurf des Justizministeriums vor.

Schwule Männer, die nach dem früheren Paragrafen 175 verurteilt wurden, sollen eine individuelle Entschädigung von mehreren Tausend Euro bekommen. Bestehen soll sie aus pauschal 3000 Euro sowie 1500 Euro je angefangenem Jahr eines Freiheitsentzugs. Das sieht ein Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums vor, über den die Nachrichtenagenturen "AFP" und "dpa" berichten. Das Ministerium rechnet demzufolge mit bis zu 5000 Betroffenen und einer Summe von 30 Millionen Euro. Beansprucht werden können die Entschädigungen demnach binnen fünf Jahren.

Zudem sollen die strafrechtlichen Urteile aufgehoben werden, die in der Bundesrepublik und der DDR in den Nachkriegsjahrzehnten ergangen waren. Der Entwurf soll nun innerhalb der Bundesregierung abgestimmt werden. Mit dem Gesetz will die große Koalition die Verurteilten rehabilitieren.

Wann sich Bundeskabinett und Bundestag damit befassen werden, ist noch offen. Mit der Aufhebung der Richtersprüche solle den einst Verurteilten der "Strafmakel" genommen werden, heißt es laut "AFP" in dem Entwurf. Das strafrechtliche Verbot einvernehmlicher homosexueller Handlungen sei "nach heutigem Verständnis in besonderem Maße grundrechtswidrig".

Erst 1994 wurde der Paragraf 175 endgültig abgeschafft

In der Bundesrepublik hatte nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst die von den Nazis verschärfte Form des Paragrafen 175 fortbestanden, der homosexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte (während die DDR zur Form der Weimarer Republik zurückkehrte und den Paragrafen Ende der Fünfziger Jahre de facto außer Kraft setzte, bevor sie ihn 1968 abschaffte). Erst 1969 entschärfte die Bundesrepublik die Regelung. Homosexuelle Handlungen mit Jugendlichen blieben in der Bundesrepublik jedoch auch danach noch strafbar. Erst nach der Wiedervereinigung wurde 1994 der Paragraf 175 endgültig abgeschafft. In der NS-Zeit ergangene Urteile gegen Homosexuelle wurden 2002 aufgehoben, Urteile aus der Zeit danach jedoch nicht.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte bereits im Mai eine Rehabilitierung und Entschädigung der einst Verurteilten in Aussicht gestellt. Bis zur Entschärfung 1969 wurden nach Schätzungen rund 50 000 Männer zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, danach noch einmal etwa 3500. Ob von den Opfern jetzt tatsächlich nur noch 5000 leben und Entschädigungsforderungen stellen werden, wie das Ministerium offenbar annimmt, bleibt abzuwarten.

Ein Gutachten des Staatsrechtlers Martin Burgi im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hatte im Mai die kollektive Rehabilitierung der Betroffenen durch ein Aufhebungsgesetz empfohlen. Dies würde es den Opfern ersparen, in einer Einzelfallprüfung erneut mit der entwürdigenden Verletzung ihrer Intimsphäre konfrontiert zu werden. 

Für die Grünen ist der Entwurf "unzureichend"

Volker Beck von den Grünen nannte die nun vorgeschlagene Entschädigungsregelung in einer ersten Reaktion "unzureichend". Zwar begrüße er, dass es mit der Rehabilitierung und der Entschädigung endlich vorangehe, erklärte Beck. Bei der Entschädigung springe der Minister zu kurz, wenn er allein auf Haftentschädigung abstelle. "Schon die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens konnte die Vernichtung der bürgerlichen Existenz und den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge haben. Deshalb müssen auch Berufs- und Rentenschäden Berücksichtigung finden", forderte Beck. Zudem fehle eine kollektive Wiedergutmachung: "Der Paragraf hat mir und vielen meiner Generation auch ein Stück der Jugend geraubt." Die Grünen hatten sich wiederholt für eine schnellere Rehabilitierung der Opfer eingesetzt.

Aus der CDU teilte der Berliner Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak mit, er begrüße, dass der Referentenentwurf nun endlich vorliege. Die Ressortabstimmung müsse nun schnell erfolgen: "Angesichts des hohen Alters vieler Opfer dieses unsäglichen Paragrafen haben wir keine Zeit zu verlieren."

Lesen Sie auch zu dem Thema: Wolfgang Lauinger, Opfer des Paragrafen 175: Verfolgt von den Nazis, verfolgt in der Bundesrepublik.

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