zum Hauptinhalt
Nasser El-Ahmad, einer von fünf Organisator*innen des CSD am 27. Juni.
© Andrea Linss/promo

Alternativer CSD in Berlin: „Ein Pride unter Pandemiebedingungen ist möglich"

Ein neuer CSD soll am 27. Juni durch Berlin führen. Mit-Organisator Nasser El-Ahmad über Pride in Coronazeiten und die Black-Lives-Matter-Demo.

Nasser El-Ahmad gehört mit Stefan Kuschner, Wolfgang Beyer, Christian Pulz und Anette C. Detering zu dem Veranstaltungsteam für den alternativen Christopher Street Day in Berlin, der am 27. Juni stattfindet und durch die Innenstadt ziehen soll. 

Sie haben mit vier Aktivist*innen einen alternativen CSD in Berlin angemeldet, der auch auf die Straße gehen soll - anders als der offizielle CSD, der einen Monat später hauptsächlich virtuell stattfindet. Warum braucht es einen zusätzlichen CSD?
Nasser El-Ahmad: Zunächst mal: ein virtueller CSD ist natürlich nicht falsch. Der kann auch kreativ sein und positiv wirken. Dennoch haben wir uns gefragt, was wir stattdessen machen können. Denn: Homo- und Transfeindlichkeit passiert nicht nur online, sondern eben auf der Straße. Die Fallzahlen von Übergriffen im öffentlichen Raum steigen und steigen. Nur weil es eine Coronapandemie gibt, haben Homo- und Transfeindlichkeit keine Pause eingelegt. Daher müssen wir auch draußen sichtbar sein.

Das Motto lautet „Save Our Pride, Save Our Community“. Warum muss die Community gerettet werden?
Gerade wegen der Pandemie wurde die ganze Community stillgelegt. Nicht nur die Clubs und die Bars, sondern auch viele Kultur- und Hilfseinrichtungen. Es kommen zwar Lockerungen, aber viele Einrichtungen wissen dennoch nicht, wie sie sich jetzt finanzieren sollen. Wir als LGBT-Community brauchen diese Einrichtungen, man kann sich offener darin bewegen, man fühlt sich dort sicherer.

Ist das Motto auch als Kritik am offiziellen CSD zu verstehen: Dass dieser die Community eben nicht rettet?
Im Gegenteil. Der CSD-Verein hat sich dazu entschieden, dass eine Großveranstaltung mit Hunderttausenden Menschen nicht gewährleistet werden kann, schon wegen der Abstandsregeln nicht. Das ist nachvollziehbar.

[Wer mehr über queere Themen erfahren will: Der Tagesspiegel-Newsletter Queerspiegel erscheint monatlich, immer am dritten Donnerstag. Hier kostenlos anmelden]

Was wir planen, ist nicht vergleichbar: Der ganze Rummel drumrum soll wegfallen. Wir wollen keine Party, sondern eine politische Demonstration. Es werden keine Firmen dabei sein, wir verzichten größtenteils auf Trucks. Es soll auch ein Zeichen sein: Back to the roots mit dem CSD.

Sie wollen auch gegen „Sexuelle Apartheid“ demonstrieren. Wie ist das zu verstehen?
Der Begriff wurde Ende der Neunziger Jahre von der feministischen Bewegung verwendet, um die systematische und strukturelle Unterdrückung von Frauen zu thematisieren. Aufgrund der zunehmenden Gewalt gegen LGBTs in Polen, Russland und anderen Ländern, die dort von staatlichen Stellen gefördert wird, haben wir uns entschieden, den Begriff der Sexuellen Apartheid auch für die systematische Verfolgung von LGBTs zu nutzen. Man denke an die „LGBT-freien Zonen“, zu denen sich ein Drittel Polens erklärt hat.

Nasser El-Ahmad ist LGBT-Aktivist aus Berlin. 2015 erhielt er den Respektpreis des Bündnisses gegen Homophobie. Seine Geschichte - von seiner Familie sollte er zwangsverheiratet werden, nachdem er sich vor ihnen als schwul geoutet hatte, er entkam einer Entführung und zeigte seinen Vater an - wurde bundesweit bekannt.
Nasser El-Ahmad ist LGBT-Aktivist aus Berlin. 2015 erhielt er den Respektpreis des Bündnisses gegen Homophobie. Seine Geschichte - von seiner Familie sollte er zwangsverheiratet werden, nachdem er sich vor ihnen als schwul geoutet hatte, er entkam einer Entführung und zeigte seinen Vater an - wurde bundesweit bekannt.
© privat

Bisher war vom CSD nur bekannt, dass es am 27. Juni um 12 Uhr losgehen soll. Gibt es schon nähere Details, wie und wo der CSD durchgeführt werden soll?
Wir sind mit der Versammlungsbehörde, der Polizei und dem Gesundheitsamt im engen Kontakt um uns abzustimmen. Wir wollen nichts veröffentlichen, was hinterher doch zurückgenommen werden muss. Daher werden wir die genaue Route erst noch bekanntgeben, spätestens eine Woche im Voraus.

Wir haben uns für den Nollendorfplatz als Startpunkt entschieden, das Ende ist der Alexanderplatz. Um zu unterstreichen, dass es eine politische Demo ist, soll es an bestimmten Punkten vorbeigehen: An der russischen Botschaft, am Denkmal für die in der NS-Zeit ermordeten Homosexuellen und an der polnischen Botschaft, die gerade in der Nähe des Brandenburger Tors gebaut wird. 

Aktuell wird diskutiert, wie man auf großen Demos Infektionsschutzregeln wie Abstandhalten einhalten kann. Wie wollen Sie damit umgehen?
Wir haben ein Hygienekonzept entwickelt, das wir dem Gesundheitsamt und der Versammlungsbehörde in den nächsten Tagen zukommen lassen werden. Die Polizei will uns unterstützen, dass die Abstände gewährleistet werden.

Können Sie Genaueres zum Hygienekonzept sagen?
Der Zug soll die ganze Zeit in Bewegung sein, wir wollen auf Zwischenkundgebungen verzichten. So ist es einfacher Abstand zu halten. Wir werden auch auf eine Abschlusskundgebung verzichten. Wenn wir am Alexanderplatz ankommen, wird die Demonstration sofort beendet. Ebenso werden wir zu Beginn nicht auf die Letzten warten, sondern zügig loslaufen.

Der CSD soll vom Nollendorfplatz zum Alexanderplatz führen und unter anderem an der russischen Botschaft entlangziehen. Die genaue Route soll spätestens eine Woche im voraus bekanntgegeben werden.
Der CSD soll vom Nollendorfplatz zum Alexanderplatz führen und unter anderem an der russischen Botschaft entlangziehen. Die genaue Route soll spätestens eine Woche im voraus bekanntgegeben werden.
© Wolfgang Kumm/dpa

Die Ansammlung von vielen Menschen, wie wir sie vor kurzem bei der Black Lives Matter-Demo hatten oder bei dem Rave der Berliner Clubs, wollen wir komplett vermeiden. Wir wollen ein positives Bild an die Welt senden: Ein Pride unter Pandemiebedingungen ist möglich.

In der öffentlichen Kritik stand ja vor allem jene Demonstration der Berliner Clubs im Urbanhafen, die zu einem Rave ohne jede Abstandsregeln wurde. Für das Anliegen der Clubbetreiber, die auf die prekäre Lage ihrer Einrichtungen hinweisen wollten, waren die Bilder kontraproduktiv: In der Öffentlichkeit kam vor allem kollektive Verantwortungslosigkeit an. Nun gehört ja zum CSD  Feiern eigentlich ebenso dazu – wie wollen Sie das verhindern?
Wie gesagt: Wir betonen das Politische. Geplant sind zwei Trucks, von denen aus Aktivist*innen Reden halten werden. Wir haben dazu Gäste aus Polen und Russland eingeladen. Die Trucks werden wir aber auch dazu nutzen, die Leute immer wieder auf die Abstände hinzuweisen.

Am gleichen Tag wird auch die nächste große Black-Lives-Matter-Demo in Berlin stattfinden. Wäre es nicht sinnvoll, die beiden Demos würden terminlich entzerrt?
Wir hatten unsere Demo schon vorher geplant und bekannt gemacht. Da haben wir uns ein wenig gewundert, dass die Black-Lives-Matter-Demo am selben Tag angesetzt wurde und sogar teilweise dieselbe Route zu einer ähnlichen Zeit geplant ist: so wie die es veröffentlicht haben, soll es dort vom Alexanderplatz zur Siegessäule gehen.

Haben Sie versucht sich abzusprechen?
Ich habe immer wieder versucht, die Black-Live- Matter-Demo zu kontaktieren. Wir wollen eben nicht, dass Leute sich entscheiden müssen, zu welcher Demo sie gehen. Da haben wir aber nichts erreicht. Als Person of Color finde ich das schade. People of Color sind ja bei uns auch inbegriffen: ein wichtiges Thema für unsere Demo ist, dass es in der Community Rassismus gibt.

An den großen CSDs gibt es immer die Kritik, dass lesbische Frauen unterrepräsentiert sind. Auch bei Ihnen sind von den Veranstaltenden vier Männer und nur eine Frau. Wie wollen Sie sicherstellen, dass sich Lesben und ihre Belange angesprochen werden?
Wir haben einen Schwerpunkt zum Thema lesbische Sichtbarkeit. Den hat auch unsere lesbische Organisatorin Anette C. Detering mit Aktivistinnen erarbeitet. Wir haben als Männer gesagt: Das können wir nicht alleine machen – das müssen lesbische Frauen machen, sie müssen von ihren Erfahrungen berichten und ihre Forderungen formulieren.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Ebenso haben wir einen Schwerpunkt zu trans Themen, für den auch eine trans Person angesprochen wurde. Dass wir im Organisationsteam vier Männer und eine Frau sind, war reiner Zufall.

Mit wie vielen Teilnehmenden rechnen Sie?
Auf Facebook gibt es gerade 400 Zusagen und 500 Interessierte. Es gab positive Resonanz, es gab negative Resonanz – so ist das in Zeiten einer Pandemie. Wir als Veranstaltungsteam und die Polizei rechnen jetzt erstmal mit 1000 Leuten. Eigentlich kann man es aber gar nicht einschätzen. 

Nasser El-Ahmad gehört mit Stefan Kuschner, Wolfgang Beyer, Christian Pulz und Anette C. Detering zum Veranstaltungsteam für den alternativen Christopher Street Day in Berlin, der am 27. Juni stattfindet und durch die Innenstadt ziehen soll.

Zur Startseite