Interview mit Drag Queen Sultana: "Drag ist eine Revolution"
In Beirut gibt es eine kleine Drag-Szene, die sehr vorsichtig sein muss. Wir haben mit Sultana über Aktivismus, Klamotten und Queersein im Libanon gesprochen.
Die rechtliche Situation der queeren Community im Libanon ist unsicher. Laut Artikel 534 des Libanesischen Strafgesetzbuches kann jede sexuelle Handlung, die gegen „das Gesetz der Natur“ verstößt, mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Diese ungenaue Formulierung sorgt häufig dafür, dass Richter willkürlich entscheiden und die betroffenen Menschen vollkommen von deren Wohlwollen abhängen. Zudem ist es möglich, Menschen wegen „Angriffen auf die guten Sitten“ zu verurteilen. Wie Human Right Watch berichtet, werden queere Personen auch immer wieder Opfer von Übergriffen durch die Polizei. Dennoch gibt es in Beirut seit einigen Jahren eine Underground-Drag-Szene.
Sultana, du trittst als Drag Queen in Beirut auf. Könntest du uns etwas über deine Drag-Persönlichkeit erzählen?
Sultana ist eine Art gesteigerte Version von mir, mit deren Hilfe ich Dinge tun und empfinden kann, die ich außerhalb von Drag nicht ausdrücken könnte. So fühle ich mich in Drag einerseits wie eine ganz andere Person, aber zugleich sehe ich auch vieles von mir selbst in Sultana. Sie ist von vielem inspiriert: Ich bin zwar sehr westlich geprägt, aber ebenso inspirieren mich die arabischen Frauen in meinem Leben wie meine Mutter und meine Großmutter und zu sehen, was sie in dieser Gesellschaft durchmachen müssen.
Wann hast du angefangen, dich für Drag zu interessieren?
Ich war schon immer in gewisser Weise „feminin“ und spielte mit der Schminke meiner Mutter, ihren High Heels und Klamotten. Aber da kannte ich Drag noch nicht und wusste auch nicht, dass es Menschen gibt, die öffentlich in Drag auftreten. Bis ich dann vor etwa vier oder fünf Jahren im Internet auf die Show "RuPaul's Drag Race" stieß und dachte „Moment, so etwas gibt es tatsächlich?“. Ab da wollte ich unbedingt dasselbe tun, aber hatte hier im Libanon nie die Möglichkeit dazu. Bereits queer zu sein, ist problematisch. Und wenn du ein Mann mit Perücke bist, ist das noch schlimmer.
Wie kam es dann doch dazu, dass du aufgetreten bist?
Ganz allmählich tauchten vereinzelt Drag Queens auf, die in Bars auftraten und irgendwann wurden sogar Drag Balls veranstalten. Daraufhin fing ich selber an aufzutreten und langsam entstand eine richtige Community aus Queens. Es ist auch nicht so gefährlich, wie ich anfangs dachte. Es gibt schon ein Risiko, aber wenn es viele tun, ist es weniger beängstigend als wenn du allein bist.
Akzeptiert deine Familie dich als queere Person und Drag Queen?
Mit meiner Familie war es bisher eine Achterbahnfahrt. Als sie erfuhren, dass ich queer bin, warfen sie mich raus. Eine ganze Zeit lang hatten wir keinen Kontakt und ich musste mich selber finanzieren. Ich musste auch die Uni verlassen, denn meine Eltern waren nicht mehr dazu bereit, die hohen Unigebühren zu zahlen oder mich überhaupt zu unterstützen. Ich musste mir also einen Job suchen. Erst vor kurzem wurde das Verhältnis zum mütterlichen Teil meiner Familie etwas besser, aber ich habe immer noch keinen Kontakt zu der Familie meines Vaters - selbst fünf Jahre später. Meine Familie weiß auch nicht, dass ich eine Drag Queen bin. Ich denke, der erste Schritt ist, dass sie überhaupt akzeptieren, dass ich queer bin und der Rest kommt irgendwann.
Inwiefern unterscheiden sich libanesische Drag Queens von Queens in anderen Ländern?
Sie unterscheiden sich vor allem insofern, als dass es hier immer noch nicht sicher ist, Drag zu machen. Wir können uns meistens nicht zu Hause für den Auftritt fertigmachen und auch nicht in Drag zu der Location fahren. Wir müssen uns verstecken und zum Teil um unser Leben fürchten. Immer müssen wir aufpassen, dass wir nicht von der Polizei verhaftet werden. Deshalb fürchten sich auch viele Menschen der LGBTIQ-Community als Gäste zu Drag Shows zu kommen.
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Ein weiterer Unterschied unserer Drag Szene zu westlichen Szenen ist, dass wir ganz andere Inspirationen und Einflüsse haben, nämlich die lokale arabische Kultur. Ich denke, wir bereichern die globale Drag Kultur mit unseren eigenen Perspektiven, indem wir beispielsweise zu arabischer Musik auftreten, traditionelle Kleidungen tragen und auf diese Weise die Ikonen des Nahen Osten ehren. Wir sind zwar immer noch westlich geprägt, haben aber gleichzeitig unsere eigene Subkultur.
Gibt es etwas, das du anderen Menschen sagen würdest, die Drag machen und möglicherweise mit denselben Herausforderungen zu kämpfen haben wie du?
Ich würde ihnen gern sagen, dass sie unbedingt weitermachen sollen, denn Drag ist eine Revolution. Natürlich geht es bei Drag um Selbstentfaltung, aber es ist auch eine Form des Aktivismus und nicht nur für dich selbst. Ich meine, Drag Queens und schwarze trans Frauen waren an der Spitze der ersten Aufständen vor fünfzig Jahren. Deshalb sind wir als Drag Queens Teil einer größeren Bewegung, welche hoffentlich unsere Rechte im Nahen Osten verändern wird. Deshalb: Lasst euch nicht unterkriegen, denn was ihr tut, ist wichtig!
Wie sieht deine Zukunftsvision für dich und die Community aus?
Bezogen auf die Community habe ich schon das Gefühl, dass wir vorankommen. Verglichen mit den meisten Ländern des Nahen Ostens tun wir Dinge, die Wahnsinn sind. Dennoch sind wir weit davon entfernt, dass alle Menschen hier gleichberechtigt und sicher sind. Aber ich sehe definitiv eine Zukunft für die queere Community. Bezogen auf Sultana sehe ich einen Weg, der stark in Aktivismus involviert ist. Allein Drag zu machen ist Teil des Aktivismus, aber ich will mich noch stärker einbringen, indem ich weniger privilegierten queeren Menschen helfe. Es wäre außerdem toll, außerhalb des Libanons in queeren Städten wie Berlin aufzutreten. Allgemein möchte ich mehr Styles und Techniken entdecken und mein Drag-Ego weiterentwickeln. Wherever life takes me, it will take me.
Inga Hofmann
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