Homo- und transsexuelle Lehrkräfte: Beleidigt und ausgegrenzt
Queere Lehrkräfte erleben vielfach Diskriminierungen, wie eine aktuelle Studie zeigt. An ihren Schulen werden sie wenig unterstützt.
Lesbisch oder schwul? In der Schule ist das selbst in Zeiten der Ehe für alle oft immer noch ein Tabu. So geht nicht einmal die Hälfte der homo-, bisexuellen und transgeschlechtlichen Lehrkräfte an ihrer Schule offen mit der eigenen sexuellen oder geschlechtlichen Identität um. Auch viele, die bei Familie und Freunden vollständig geoutet sind, sind damit an der Schule vorsichtiger. Das ergibt eine bundesweite Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter mehr als 830 LGBTI-Lehrkräften, die dem Tagesspiegel vorliegt und am Mittwoch öffentlich vorgestellt wird.
Lehrkräfte würden sich nicht outen, weil sie Respektverlust und Ausgrenzung fürchten oder weil sie unsicher sind, wie Kollegen und Schüler ein Coming-out aufnehmen, heißt es in der Studie. Tatsächlich ist auffällig, dass selbst ein allgemein gutes Schulklima nicht zwangsläufig mit einer queerfreundlichen Atmosphäre einhergeht.
Wenn ein Hetero beiläufig seine Partnerin erwähnt, ist das völlig selbstverständlich und überhaupt nicht "anstößig". Tut es ein Homo, ist das die Preisgabe wenn nicht Zurschaustellung der sexuellen Orientierung?!? Da muss sich in einigen Köpfen aber noch eine Menge ändern!
schreibt NutzerIn Brotkrume
Zwar äußern sich acht von zehn Lehrkräften insgesamt positiv über das Schulklima. Dennoch berichten drei Viertel der Befragten, sie hätten in den vergangenen zwölf Monaten oft oder manchmal Schimpfwörter wie „schwule Sau“ oder abfällige Bemerkungen gegen Homo- und Transsexuelle in der Schule gehört, vor allem von Schülern. Immerhin 12,5 Prozent haben mindestens einmal mitbekommen, wie queere Menschen in der Schule körperlicher Gewalt ausgesetzt waren.
Nur 43,5 Prozent gehen an der Schule "offen" mit ihrer Identität um
Ein Drittel der Befragten hat in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierungen erlebt, die gegen sie persönlich gerichtet waren: wie Beleidigungen, abwertende Witze oder unangebrachte Nachfragen zum Privatleben. Diese Diskriminierungen kamen auch von Kolleginnen und Kollegen.
Vor diesem Hintergrund sagen nur 43,5 Prozent der Befragten, dass sie an ihrer Schule „offen“ mit ihrer sexuellen beziehungsweise geschlechtlichen Identität umgehen. Ebenso viele verneinen die Frage, der Rest ließ sie offen. Am seltensten outen sich Lehrkräfte vor den Eltern der Schüler, am häufigsten wissen andere Lehrkräfte im Kollegium Bescheid. Im privaten Umfeld wissen dagegen bei 59,6 Prozent der Befragten alle Freunde und Angehörigen von der sexuellen oder geschlechtlichen Identität, bei weiteren 21,8 Prozent die meisten.
Schul-Leitbilder gegen Gewalt, aber LGBTI nicht erwähnt
In Schulen wird oft wenig getan, um LGBTI-Lehrkräfte und Schüler zu schützen und über das Thema aufzuklären. Nur selten gibt es schulinterne Ansprechpartner zum Diskriminierungsschutz. Zwar verschreiben sich viele Schulen in ihren Leitbildern dem Engagement gegen Mobbing und Gewalt. Dass Homo- und Transsexuelle eine gefährdete Gruppe sind, wird dabei allerdings kaum erwähnt. Auch im Unterricht kommt Homosexualität meistens nicht zur Sprache.
Die Hälfte der Lehrkräfte gibt an, dass sexuelle Vielfalt in den Lehrplänen und Schulbüchern nicht vorkommt. Drei Viertel berichten, jeder Lehrkraft sei es selbst überlassen, ob und wie das Thema in den Unterricht einbezogen wird. „Diese Eigenverantwortung birgt das Risiko der Nichtthematisierung“, kritisieren die Autoren der Studie.
Dabei hat die Thematisierung queerer Themen sehr wohl einen Einfluss auf die Schulatmosphäre, wie die Umfrage ebenfalls zeigt. Kommt sexuelle Vielfalt im Unterricht vor, berichten nur 25,9 Prozent der Lehrkräfte über Diskriminierungserfahrungen – zehn Prozent weniger als an den Schulen, an denen das Thema ignoriert wird.
Schulen als Lernorte für gesellschaftliche Vielfalt
Für Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, ist es daher wichtig, „sexuelle Vielfalt zu einem Querschnittsthema in allen Fächern zu machen“. Sie verteidigt Bildungspläne wie in Baden-Württemberg, gegen die konservativ-christliche Gruppen wie die „Demo für alle“ vehement mobilmachen. „Diese Bildungspläne sind ein gutes Mittel, um wirklich eine Veränderung anzustoßen“, sagte Lüders dem Tagesspiegel. Schulen seien zentrale Orte, um alles über gesellschaftliche Vielfalt zu lernen und ihr mit Respekt und Akzeptanz zu begegnen.
In die Umfrage flossen Aussagen von Lehrkräften aus allen Bundesländern ein. 336 der Befragten identifizierten sich als schwul, 310 als lesbisch, 110 als bisexuell, 28 als trans* und acht als intergeschlechtlich. Die Antidiskriminierungsstelle hatte über verschiedene Netzwerke und Verteiler auf die Umfrage aufmerksam gemacht und so Lehrkräfte dafür gewonnen. Die Stichprobe sei zwar nicht repräsentativ, liefere aber „exemplarische Hinweise“, wie es LGBTI-Lehrkräften in der Schule ergehe, heißt es in der Studie.
Wer sich selber outet, ist am Arbeitsplatz zufriedener
Für einen großen Teil derjenigen, die sich für ein Coming-out entschieden, hat die Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz übrigens zugenommen. Auch das ist ein Befund, der zeigt, wie entscheidend ein Klima der Offenheit in der Schule ist.
Spannend dürfte vor dem Hintergrund der aktuellen Umfrage sein, was die viel diskutierte Studie ergibt, die die Berliner Bildungsverwaltung zum Thema sexuelle Vielfalt und Diskriminierungen in Berliner Schulen in Auftrag gegeben hat. Dass es bei dem Thema noch viel Aufklärungsbedarf gibt, zeigen jedenfalls schon die Zahlen der Antidiskriminierungsstelle.
Ein aktuelles Interview mit einer lesbischen Berliner Lehrerin lesen Sie hier.
Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels.