Neuer Großflughafen in Istanbul: Wo Erdogan abhebt
Istanbuls neuer Großflughafen wird am Montag eröffnet – aber noch nicht ganz. Der Mega-Bau ist Erdogans Prestigeobjekt. Ein Besuch.
Es war so schön gedacht. Am türkischen Nationalfeiertag, dem 29. Oktober, an diesem Montag also, sollte der neue Großflughafen im Nordwesten Istanbuls eröffnet werden. Nach der Feier zum Jahrestag der modernen Türkei in der Hauptstadt Ankara wollten Präsident Erdogan und seine Regierung als erste Passagiere nach Istanbul fliegen und ihn einweihen.
Das werden sie heute wohl auch tun – nur wird der Flughafen danach erst im Probebetrieb laufen, mit wenigen Inlandsflügen der Quasi-Staatsfluglinie Turkish Airlines. Richtig losgehen soll es erst am 31. Dezember – und sei es, um das längst verkündete Eröffnungsjahr 2018 einzuhalten.
Doch was da im Nordwesten der aus allen Nähten platzenden zwölf- oder 14-Millionen-Metropole Istanbul binnen dreieinhalb Jahren aus dem hügeligen Boden gestampft wurde, ist alles andere als eine Fata Morgana. Und es ist erst „Phase 1“ des Projekts, das Mitte der 2020er Jahre seinen Endausbau erreicht haben soll.
Am Ende soll es sechs Startbahnen geben
Das Hauptterminal mit rekordverdächtigen 1,4 Millionen Quadratmetern Grundfläche jedenfalls steht bereits, von dem nicht weniger als fünf Abflugfinger abgehen, zwei der geplanten sechs Startbahnen sind auch schon asphaltiert. Die Kapazität ist auf 90 Millionen Passagiere im Jahr ausgelegt – drei Fünftel der Kapazität im Endausbau, die von 150 noch auf 200 Millionen hochgeschraubt werden kann. Dann sollen bis zu 114 Flugzeuge an drei Terminals direkt andocken können und noch einmal deutlich mehr Außenpositionen zur Verfügung stehen.
Bei der Vorbesichtigung, die wegen des noch nicht abgeschlossenen Innenausbaus unmittelbar vor den Vor-Eröffnungstermin an diesem Montag verlegt worden war, zeigten sich das Terminal und der zur Erprobung ausersehene Pier als lichte, luftige Konstruktionen.
Die drückende Enge des bisherigen Atatürk-Flughafens sollen großzügige Flanier- und Wartebereiche vergessen machen, beleuchtet nicht mehr aus abgehängten Technikdecken, sondern vom Tageslicht. Der Generalentwurf stammt von einer Architektengemeinschaft aus dem Briten Nicholas Grimshaw, der in Berlin das Ludwig-Erhard-Haus in der Fasanenstraße geschaffen hat, dem Büro Nordic aus Oslo und dem Londoner Büro Hapti.
Der elegant gewundene Tower ist als Wahrzeichen gedacht
Der als Wahrzeichen gedachte, elegant gewundene Tower kommt von der italienischen Designfirma Pininfarina. Die Einzelhandelsflächen von 55.000 Quadratmetern an den Seiten des Terminals sind, wie Designchef Taner Aslan betont, als eine Art Bazar gestaltet und werden von der deutschen Firma Heinemann als Generalbetreiber bewirtschaftet.
Als Public-Private Partnership für Kosten in Höhe von umgerechnet bislang 7,5 Milliarden Euro errichtet, wird der Flughafen auf 25 Jahre von der Erbauer- und Betreibergesellschaft iGA geführt und geht danach in Staatseigentum über. Bis dahin muss die iGA eine Konzessionsabgabe in Höhe von einer Milliarde Euro pro Jahr an die Staatskasse leisten, wie iGA-Vorstandschef Kadri Samsunlu, erläutert.
Die Infrastrukturmaßnahmen fallen in die Zuständigkeit von Staat und Stadt. Die Metro-Schnellbahn, die den Flughafen mit dem Geschäftszentrum Levant und dem berühmten Taksim-Platz direkt verbinden soll, wird erst Anfang 2020 fertiggestellt sein – bis dahin sollen 18 Buslinien den Zustrom von 100.000 Flug- und sonstigen Gästen pro Tag bewerkstelligen.
Schmallippig werden Fragen zu Unfallopfern beim Bau beantwortet
Die Autobahnen hingegen, die sechsspurig in Richtung auf das 76 Quadratkilometer messende Flughafengelände und die ringsherum projektierte „Airport City“ führen, sind fertig. Auch die Parkhausflächen für 18.000 Pkw und weitere 22.000 Stellplätze auf Freiflächen warten schon auf Autos.
Schmallippig zeigte sich der CEO Samsunlu zu der Frage nach nach den Unfallopfern der hektisch vorangetriebenen Bauarbeiten. Samsunlu nannte „30“ als Zahl, nicht ohne „Trauer für jeden einzelnen“ zu bekunden. Die in verschiedenen Medien verbreitete Zahl von 400 Toten bezeichnete er als „vollständig unwahr“. Insgesamt seien 34.000 Arbeiter auf der Baustelle beschäftigt gewesen, davon bis zu 17.000 gleichzeitig, das zuständige Arbeitsministerium habe fortwährend Kontrollen durchgeführt.
Auch auf die Protestaktionen der jüngsten Zeit ging Samsunlu ein: Es habe Festnahmen gegeben, weil sich die Betreffenden nicht auf dieser Hochsicherheitsbaustelle hätten ausweisen können; sie und auch die Anführer der Proteste seien bereits oder würden „dieser Tage“ freigelassen. Nachprüfen ließen sich diese Aussagen für die Besucher nicht – aber die internationale Öffentlichkeit wird weiter genau hinschauen, wie es um die Arbeits- und Sicherheitsbedingungen bestellt war und ist.
Ob das Umweltkonzept realistisch ist, muss sich zeigen
Auch ob das vorgeführte Umweltkonzept des Flughafens realistisch ist, muss sich noch erweisen. Alles soll da gemanagt werden, von der Heiz- und Kühlenergie über das Wasser bis zum Abfall, der gleich an Ort und Stelle getrennt und möglichst recycelt werden soll. Immerhin führt der Flughafen die gängigen Umwelt-Zertifikate, entsprechende Auszeichnungen für den Bau der Abfertigungsgebäude hat er auch eingeheimst – darunter einen für den Tower vom „World Architecture Festival“ in Berlin.
Der Flughafencode IST wird vom bisherigen auf den neuen Flughafen übergehen. Bis Ende 2018 gilt als zwischenzeitliches Kürzel ISL. Das aber müssen sich die Versuchskaninchen, die mit der bis dahin vorgesehenen täglichen Handvoll Flügen zu lediglich fünf Inlandsflughäfen reisen werden, nicht einprägen. Denn Umsteigeverkehr, von dem der Flughafen einen Großteil seiner Passagiere beziehen wird, findet erst nach der „richtigen“ Eröffnung ab 2019 statt.
Gepäcktransportsystem mit 42 Kilometer Länge
Dann wird sich erweisen, ob das haarfein ausgetüftelte Gepäcktransportsystem von 42 Kilometern Bandlänge, das jeden Koffer in eine eigene Transportschale legt, tatsächlich jede Fracht an ihren Bestimmungsort schickt – und ob Irrläufer tatsächlich jederzeit geortet werden können. Nicht zuletzt von solchen Details wird die internationale Akzeptanz des Flughafens abhängen, der in direkter Konkurrenz zu den Drehkreuzen London, Frankfurt oder Abu Dhabi steht.
Noch hat er nicht einmal einen Namen. Den will Staatspräsident Erdogan an diesem Montag bekannt geben, und die Wetten laufen darauf, dass er ihn der Einfachheit halber nach sich selbst benennen wird. Ob sich Erdogan, dessen Konterfei von zahllosen Werbeplakaten für den neuen Airport herabschaut, tatsächlich herausnehmen wird, seinen Namen an die Stelle desjenigen von Staatsgründer Atatürk zu setzen, der den bisherigen Istanbuler Hauptflughafen ziert, wird sich zeigen. Das gilt auch als Gradmesser dafür, wie stark sich Erdogan derzeit fühlt.