Nachlass von Pierre Brice wird versteigert: Winnetou, der Ehemann
Medizinbeutel, Friedenspfeife und Silberbüchse: Wer im Nachlass von Pierre Brice nach Winnetou sucht, trifft einen Ehemann und Reisenden. Seine Witwe Hella organisiert den letzten großen Auftritt an diesem Wochenende
Pierre Brice wirkt jetzt, da sein Taufkleid in einer Auktionshalle in Mühlenbeck hängt, plötzlich ganz schutzlos. Position 11, Pierres Taufgewand im Originalzustand, bestehend aus Unterkleid und Schleier, Bretagne, um 1929.
Gewebtes Leinen und Spitze von Calais, so fing es an. Pierre Brice, der westdeutsche Winnetou, der am 6. Juni mit 86 Jahren in Paris an einer Lungenentzündung starb, hat an diesem Wochenende seinen letzten Auftritt. Noch einmal wird er auf allen Kanälen Thema sein: Auf drei Bieterplattformen im Internet schalten sich dann internationale Interessenten zu, Telefonbieter werden direkt mit dem Auktionstisch verbunden sein, und live können mehrere hundert Leute im Saal mitbieten. Keine Mindestgebote, „für jeden Geldbeutel ist etwas dabei“.
Ihre Liebe war symbiotisch
Im Blitzlichtgewitter des vermutlich letzten Pressetermins in Sachen Pierre Brice steht seine zarte Witwe und umklammert dessen Silberbüchse, das Prunkstück der Auktion. Mit Nieten ist ein „W“ für Winnetou in den Schaft geschlagen, Nieten sitzen auch an ihren silbernen Keil-Sneakers. Die Beziehung, so heißt es, war über 40 Jahre lang symbiotisch.
Sie habe anfangs nicht geahnt, wie viel Winnetou in diesem Mann stecke, sagt das Flintenweib. Sie hat ja 1981 Pierre Brice geheiratet, dann wurde sie seine Managerin. Nun steht sie vor den übrig gebliebenen Winnetou-Pappaufstellern, den Kostümen, die Brice mit ihr zusammen gebastelt hat. „Er hat die Zeichen gemalt, und ich habe die Fransen geschnitten“, sagt sie. Pierre Brice trug die Kostüme im ZDF-Fernsehfilm, in Bad Segeberg, in Elspe, eines von ihnen hat ein Einschussloch. Da sind eine indianische Satteltasche, antike Medizinbeutel, eine Friedenspfeife und Messer, Steigbügel, Halsbänder, Longierleinen, ein Sattel und rostige Hufeisen. Messerattrappen hatte Pierre Brice aus Leder selbst angefertigt, um im Kampf seine Kollegen nicht zu verletzen. Nicht zu vergessen die beiden Koffer: Einer beinhaltet die Pferdeapotheke mit Medikamenten, Cremes und Bandagen, der andere die Schminke und Cremes für den Häuptling.
Ihr geht es nicht um den Mythos
Doch Hella Brice geht es nicht um den Mythos Winnetou, sondern um Pierre Brice, den Mann, der in Schuhgröße 43 durch sein Schauspielerleben lief. Es geht ihr um den Mann, der immer ein Messer bei sich trug, seitdem er sich mit 25 Jahren einmal nach einem Autounfall selbst aus dem Gurt geschnitten hatte. Den Mann, der als Junge die französische Résistance unterstützte, im Indochina-Krieg kämpfte und zeit seines Lebens Bücher über sein Idol Charles de Gaulle las.
Aber weil dieser Mann auch elf Winnetou-Filme gedreht hat, erfüllen schon die Klänge der Filmmusik den Raum, schon jetzt läuft die Vorbesichtigung für die Auktion am Wochenende in der Halle. In „Pierres Crèperie“ werden bretonische Galettes serviert. Hinten stehen aufgereiht mehr als zwei Dutzend seiner rahmengenähten Schuhe, über Jahrzehnte immer neu besohlt, als könne man auch diesen Mann wie ein Pferd beschlagen. Da sind eine cremefarbene Ledersitzgruppe und vier Stühle samt Tisch von seiner Jacht „Winnetou I“ aus den 70ern. Eine „Hermès Warmhaltekanne (Thermos), Paris, mit zweistufiger Springdeckel-Automatik“, die Brice bei Dreharbeiten dabei hatte.
„Ich mache es ja für ihn“, sagt Hella Brice, mit sich im Reinen.
Und so erhebt sich aus dem Nachlass in 1547 Stücken die Silhouette eines Menschen. Der Abdruck, den einer in den Dingen hinterlassen hat, in Form seiner Kleider, Eierbecher, Bücher, Lieblings- und Sammlerstücke, die sich ja zeitlebens wie ein Futteral um einen Menschen schließen, und wenn er stirbt, bleibt diese ganz eigene Form wie ein leerer Instrumentenkoffer zurück.
Ist es möglich, die Silhouette eines Menschen aus seinem Nachlass zu zeichnen? Und wenn ja - steckt Pierre Brice da drin in den Positionen des Auktionskatalogs? Sind die zahlreichen Fische ein Teil von ihm, einige in Form silberner Salièren, in Form eines Fisch-Flaschenöffners und im silbernen Serviettenständer in Form eines Karpfens? Waren dem Mann etwa Fische wichtiger als Pferde?
Ein Hummer-Set, mit minimalen Spuren
„Nein“, sagt Hella Brice. Viele Fische stammten noch aus seinem Elternhaus in Brest. Er mochte, obwohl Bretone, keinen Fisch. Das lag an seinen Erfahrungen im Indochina-Krieg, als er einmal 24 Stunden neben verrottendem Fisch gefangen war.
Aber Austern gingen? Es gibt ja einen Austernhandschuh in der Auktion ...?
Ja, Austern gingen, sagt sie. Und Muscheln.
Position 1429, „Hummer-Set, bestehend aus zwei Lätzchen (mit minimalen) Hummerspuren und zwei Servietten, sowie 2 Tischsets, feines Leinen mit detaillierter Bestickung, insgesamt 6-teilig, 80er Jahre“.
Wer in dieser Halle Winnetou sucht, wird vor allem Pierre Brice finden. Einen Reisenden, mit großen Mengen Gepäck von Gucci und Fendi. Und wer einen Indianerhäuptling erwartet, wird einen Ehemann finden. Mit Strickjacke und Hausschuhen, mit Malkasten und unvollendeten Bildern.
Auktionskatalog Position 1025, „Pierres Frau“. Sie ist natürlich nicht selbst im Angebot. Es ist „Pierres erstes Foto von Hella, im August 1976 in Elspe fotografiert. Sein Lieblingsfoto, in schlichtem Glasrahmen, H=23,5, B=18 cm“.
Es verletzt Hella Brice, wenn die Leute sie für kalt halten, weil sie den Nachlass versteigert, da ihr Mann noch keine fünf Monate unter der Erde liegt.
Position 2484, Konvolut Fahrenheit, bestehend aus 1 Flasche EdT, 100 ml, ca. halbvoll sowie 1 Flasche Fahrenheit Aqua EdT, 125, ca. halbvoll, eines von Pierres zuletzt gerne benutzten Parfums.
Zwei halb volle Flaschen Eau de Toilette?
„Ich mache es ja für ihn“, sagt Hella Brice, mit sich im Reinen. Ein Teil des Erlöses werde gespendet. Die beiden hatten ohnehin eine Auktion geplant. Es war sogar seine Idee gewesen, denn sie lebten in diesem Landhaus bei Paris, in dem sich über Jahrzehnte die Sedimente ihres Lebens in den Regalen abgesetzt hatten. Bevor sie zusammen nach Garmisch ziehen wollten, mussten sie dringend ausmisten.
Auch der Jaguar steht zum Verkauf
In der Halle steht der agile Auktionator Michael Lehrberger. Weil er Hella Brice schon von diversen Wohltätigkeitsveranstaltungen kannte, und weil die Witwe ihm vertraute, reiste er im Sommer nach Frankreich in ihr Landhaus, das Jagdschloss zu nennen sie angeberisch findet, und verteilte gelbe Zettel überall. Gemeinsam durchstreiften sie die 560 Quadratmeter Wohnfläche, während Lehberger versuchte, eine Dramaturgie hinzukriegen. Einen dramatischen Bogen für seine Auktion, um ein Lebenswerk zu zeigen, angefangen mit dem Kinderspielzeug und dem Taufkleid über die Silberbüchse und die Winnetou-Zeit bis zum Jaguar, den der alte Mann fuhr, als er schon schon längst nicht mehr ritt.
Sie pappten also einen Zettel an den „Stoffigel Mecki, bekleidet in stehender Ausführung, bespielt, aber noch gut erhalten, eines der ersten Spielzeuge von Pierre Brice“, Position 5. Eine Markierung bekam eine Bastelei des Jungen, der zuvor U-Boote im Atlantik beobachtet hatte, „handgeschnitztes und bemaltes U-Boot aus Holz mit Metallappliken und Takelage, mit einem Gummiaufzug als Antrieb, L 47 cm“. Position 13.
Sie gingen im Haus umher und wägten ab, Lehberger mit seinen Zetteln und Hella Brice mit ihren Geschichten.
Doch sein Faible für schöne Dinge habe ihn nie verlassen, sagt Hella Brice
Wie er immer gekocht hat! Sie ist jetzt wieder ganz in Frankreich. „Tollstes Risotto oder Pasta-Saucen.“ Mindestens einmal am Tag gab es das ganze Programm. Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise.
Sichtbar ist das bis heute in Form eines Tortenhebers, Konvolut von Keramikgefäßen, Terrinen, fünf Kupfer-Kasserollen. Besteckkästen mit Inhalt. Ungeheuer viele Salz- und Pfefferstreuer.
Aber morgens, da haben sie als Erstes die Tiere versorgt, die Hunde und die drei Pferde gingen vor.
Position 1271. „Konvolut, bestehend aus zwei Führstricken, davon einer mit Karabiner und Schäkel. Nylonflechtgewebe, teilweise mit Kunststoffüberzug. Aus den Stallungen auf dem Landsitz in der Nähe von Paris, L. 310 und 380 cm.“
Ihr Mann habe im Garten riesige Tomaten gezüchtet und tagsüber am Schreibtisch Ideen für Theaterstücke gesammelt. Er hatte ja viel Zeit, zu viel Zeit für seinen Geschmack. Eine Weile war er unglücklich, dass nach den sagenhaften elf Winnetou-Filmen keine Filmangebote von Format mehr kamen. Und je seltener die Anfragen an den Schauspieler kamen, desto mehr waren die beiden aufeinander angewiesen, dort im Grünen. Das Ehepaar blieb übrig und entdeckte mehr und mehr, was sie heute für eine Seelenverwandtschaft hält. Sie entdeckte die Großzügigkeit eines Indianers in ihm, der auf Besitz nicht viel gab. „Kaum sagte ich etwa, dass mir irgendwo etwas gefiel, rannte er rein und kaufte es mir.“ Ihr Mann habe überhaupt alles geteilt, bis sich kein Besucher mehr traute, in ihrer Wohnung ein Kompliment zu verteilen - er bekam das entsprechende Ding sofort geschenkt.
Doch sein Faible für schöne Dinge habe ihn nie verlassen, sagt Hella Brice. Ein Glück, dass sie unter schönen Dingen das Gleiche verstanden: silberne Figuren, alte Glaskaraffen und Eier in allen Materialien.
Der Zettel klebende Auktionator Lehberger merkte, dass er Lücken reißen würde in diesen Haushalt. „Schlaf noch mal drüber“, sagte er dann zu ihr. „Du kannst auch die Zettel wieder abnehmen.“ - „Ich will mich ja trennen“, sagte sie, aber tatsächlich waren am nächsten Morgen einige Schnipsel wieder verschwunden.
Nie würde es ihr einfallen, seine Bambis zu verkaufen.
Nie würde es ihr zum Beispiel einfallen, seine Bambis zu verkaufen. „Die Ehrungen, die hat er sich verdient.“ Ein Verkauf käme ihr unanständig vor. Für die Bambis und die neun goldenen Bravo-Ottos wird sie auch dann noch eine Vitrine finden, wenn sie den Landsitz verkauft hat und zu ihren beiden Drillingsschwestern nach Garmisch zieht.
In Mühlenbeck dagegen schält sich ein Mensch aus dem Mythos. Die Fans fahren hier mit der S-Bahnlinie 8 nach Mühlenbeck raus, Brice-Fans und Karl-May-Fans, Leser seiner Autobiografie und diejenigen, die den nach seinem Tod erschienenen Bildband „Pierre Brice, Unvergesslicher Winnetou“ des Experten Michael Petzel kauften. Vielleicht sogar solche, in deren Kinderzimmer der Bravo-Starschnitt hing.
Hella Brice, 20 Jahre jünger als ihr Mann, ist ja selbst eine von ihnen. Sie streicht sich über die rechte Wange, „hier habe ich immer angefasst.“ Da, wo im Starschnitt das Grübchen saß. Das war Jahre bevor sie ihn 1976 auf einem Filmball in München persönlich traf.
Gesammelt hat sie immer nur seine privaten Bilder, sie war ja nie angetreten als Fan eines Indianers. Und deshalb mag die Witwe von Winnetou zwar bis heute Lex Barker heißen. Die Witwe von Pierre Brice heißt Hella.
Versteigerung noch am Sonntag ab 10 Uhr, Kastanienallee 19, 16567 Mühlenbeck