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Blutsbrüder. Pierre Brice als Apatschen-Häuptling Winnetou und Lex Barker als Old Shatterhand im Karl-May-Films „Im Tal der Toten“ (1968).
© dpa

Zum Tod von Pierre Brice: Der Mann, der Winnetou war

Pierre Brice, ein gebürtiger Baron, versuchte sich als Modell und Tänzer und drehte einige heute längst vergessene B-Movies. Dann fand er 1962 die Rolle seines Lebens Als Winnetou stieg er zu einem der größten Idole der deutschen Nachkriegszeit auf. Ein Nachruf.

Nugget Tsil. Deutscher Schicksalsberg. Bizarre weiße Felsformationen, die wie Spargelstangen emporragen. Darüber wölbt sich ein sehr blauer Technicolorhimmel. Hier stirbt Winnetou. Eigentlich gilt die Kugel aus dem Gewehr des Oberschurken Rollins Old Shatterhand. Doch Winnetou wirft sich in die Schussbahn, um seinen Blutsbruder zu retten. Tödlich getroffen, richtet sich der letzte Häuptling der Apatschen noch einmal auf, Old Shatterhand stützt ihn und spricht: „Mein Bruder, sei ohne Sorge, das Volk der Apatschen ist in Sicherheit.“ Winnetou entgegnet: „So ist Winnetous Aufgabe doch erfüllt.“ Seine finalen Worte: „Winnetou hört – die Glocken – sie rufen ihn – und er kommt.“ In letzter Sekunde ist er Christ geworden.

Pierre Brice kannte Karl May nicht, als man ihm die Rolle anbot

An der Schlussszene der Films „Winnetou III“, der 1965 in die Kinos kam, stimmt eigentlich gar nichts. Als Nugget Tsil, bei Karl May ein Berg in Nordtexas, fungiert ein Gebirgszug in Kroatien. Der Indianer wird von Pierre Brice verkörpert, einem französischen Schauspieler und gebürtigen Baron. Und Old Shatterhand, als deutscher Auswanderer der Held der chauvinistisch grundierten Winnetou-Romane, das ist ein Amerikaner, der „Tarzan“-Darsteller Lex Barker. Das Pathos des Abschieds kippt in den Kitsch, und wenn der Indianer von sich penetrant in der dritten Person spricht („Winnetou sagt“), wirkt das unfreiwillig komisch, Trotzdem ist Winnetous Tod bis heute einer der ergreifendsten Momente der deutschen Filmgeschichte geblieben. Weil vorgeführt wird, was Freundschaft bedeutet. Wie weit sie gehen kann.

Pierre Brice kannte Karl May nicht, als ihm 1962 die „Winnetou“-Rolle im Film „Der Schatz im Silbersee“ angeboten wurde. „In Frankreich war May unbekannt“, hat er in einem Interview erzählt. „Wir hatten Bücher gelesen von Alexandre Dumas oder Jules Verne. Deswegen hatte ich auch erst nicht sonderlich Lust, das Angebot anzunehmen. Mir schien die Rolle von Old Shatterhand viel interessanter.“ Aber als Old Shatterhand hatte Produzent Horst Wendlandt bereits den Hollywoodstar Lex Barker vorgesehen. Barker bekam pro Film eine Gage von 200 000 Mark, Brice bloß 80 000.

Seine Agentin und seine Freundin überredeten Brice, die Offerte trotzdem zu akzeptieren. Winnetou wurde die Rolle seines Lebens. Der drahtige Franzose sah blendend aus, die langen schwarzen Haare verliehen ihm feminine Züge. Mit Lex Barker, dessen stählerner Körper in einer engen Wildlederkluft steckte, verschmolz er zum Traumpaar.

Bevor er Winnetou wurde, spielte Pierre Brice in Filmen wie "Geheimagent Suzuki"

Brice, 1929 in Brest geboren, hatte sich als Jugendlicher der Résistance angeschlossen und im Indochinakrieg gekämpft. Er modelte, trat als Tänzer auf und übernahm ab 1955 Rollen in französischen und italienischen Filmen, bei denen es sich eher um die B-Ware des Genrekinos handelte, mit Titeln wie „Geheimagent Suzuki“, „Call-Girls“ oder „Die Frau der Pharaonen“. Im französischen Kino, hat er einmal gesagt, sei für ihn kein Platz gewesen, weil er seinem Freund Alain Delon zu ähnlich sah.

Für das deutsche Kino war Brice wie gemacht. Mit seiner Mischung aus Eleganz und Exotik stieg er sofort zu einer Attraktion auf. Mit Zuschauerzahlen zwischen einer und neun Millionen stiegen die KarlMay-Filme zur bis dahin erfolgreichsten deutschen Kinoserie auf. Die Jugendzeitschrift „Bravo“ druckte seinen Starschnitt und verlieh ihm zwölf Mal den auf einer Leserabstimmung beruhenden „Otto“-Preis. Als Teenagerschwarm wurde Brice damals nur noch von den Beatles übertroffen.

Brice erkannte in Winnetou seinen Geistesverwandten

Dass Winnetou in „Winnetou III“ gestorben war, hieß noch lange nicht, dass er wirklich tot war. „Unsere ganze Familie war tagelang traurig, weil Pierre Brice bald kein Winnetou mehr sein wird“, schrieb ein zwölfjähriger Leser an die „Bravo“. „Lasst ihn nicht sterben! Lasst ihn im letzten Augenblick durch Old Shatterhand retten!“ Den Produzenten erreichten Drohbriefe, Zeitungen forderten kampagnenhaft: „Winnetou soll leben!“ („Bild am Sonntag“). Also ritt Pierre Brice tapfer weiter, auch in Filmen, die von Karl May eigentlich nicht vorgesehen waren, wie „Winnetou und das Halbblut Apanatschi“ oder „Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten“.

Allerdings klagte er, dass seine Texte immer kürzer würden, auch der weihevolle Ernst der Drehbücher missfiel ihm. 1968 stieg er aus dem Karl-May-Kino aus. Um danach den edlen Wilden noch in Fernsehproduktionen wie „Mein Freund Winnetou“ (1980) oder „Winnetous Rückkehr“ zu verkörpern sowie auf den Freilichtbühnen von Elspe (1976 bis 86) und – als man ihn dort für „zu alt“ befand – Bad Segeberg (bis 1991).

Pierre Brice wurde, ähnlich wie Horst Tappert (Derrick), Larry Hagman (J. R. Ewing) oder Leonard Nimoy (Spock) mit einer einzigen Rolle unsterblich. Empfand er nie Winnetou-Überdruss? „Aber nein, warum sollte ich?“, hat er gesagt. „Jeder Schauspieler wünscht sich, Erfolg zu haben – und mit Winnetou hatte ich enormen Erfolg.“ In dem Apatschen erkannte er einen Geistesverwandten: „Winnetou hat für Friede, Freiheit, Respekt und Menschenrechte gekämpft – wie ich auch.“

An „ewige Jagdgründe“, Karl Mays Jenseitsvision, hat Pierre Brice nicht geglaubt. Das Leben nach dem Tod sah er als Illusion. Am Samstagmorgen ist er in einem Krankenhaus bei Paris gestorben. Er wurde 86 Jahre alt. „Ich glaube an den individuellen Weg, zu Gott zu finden“, lautete sein Credo. „Gott ist für mich ein Bewusstsein, eine Kraft, die uns führt.“

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