Der extreme Sommer Kaliforniens: Wie US-Landarbeiter unter Waldbränden und Corona leiden
Die kalifornischen Farmarbeiter gelten als systemrelevant. Trotzdem haben viele keine Arbeitserlaubnis und Versicherung. Wie erlebten sie die Waldbrände?
Mitten durch Kalifornien zieht sich das Central Valley. Mehr als 600 Kilometer lang, ein heißes und trockenes Tal. Im Sommer klettern die Temperaturen mancherorts über 50 Grad Celsius. Dürre, Luftverschmutzung und Rauch, der von Waldbränden in das Tal zieht, prägen die landwirtschaftliche Region.
800.000 Farmarbeiter, überwiegend Latinos, ernten hier zwei Drittel der Frucht- und Nussernte der Vereinigten Staaten und ein Drittel der gesamten Gemüseproduktion. Sie gelten seit Beginn der Pandemie im März als „essential workers“, systemrelevante Arbeiter. Schätzungsweise 60 Prozent von ihnen besitzen keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis.
Im Central Valley liegen vier der fünf am meisten von Covid-Erkrankungen betroffenen Landkreise in Kalifornien. Eine Studie der University of California in Los Angeles stellte im Juli fest, dass die Chance, an den Folgen einer Covid-Erkrankung zu sterben, für einen Latino in Kalifornien fünfmal so hoch sind wie für eine weiße Person.
Denn trotz der „Systemrelevanz“ haben viele von ihnen weder Krankenversicherung noch Zugang zu guter ärztlicher Versorgung.
[Die Recherche wurde ermöglicht durch das „Transatlantic Media Fellowship“ der Heinrich-Böll-Stiftung.]
Im Norden des Central Valley, etwa eine Stunde von der Bundeshauptstadt Sacramento entfernt, lebt Bruce Rominger. In fünfter Generation bewirtschaftet er gemeinsam mit seinem Bruder eine Farm nahe der Kleinstadt Winters. Sie beschäftigen rund 30 Farmarbeiter. Romingers Vorfahren sind aus dem Schwäbischen eingewandert, noch zu Goldrausch-Zeiten.
500 Kilometer weiter südlich, in Kern County, organisiert Elizabeth Martimes medizinische Hilfe für die Farmarbeiter. 20 Prozent der Bewohner leben unterhalb der Armutsschwelle, über die Hälfte der Bevölkerung sind Latinos.
Als Vertreterin der Organisation Lideres Campesinas geht Martimes mit ärztlicher Begleitung auf die Felder, um vor Ort Tests durchzuführen und Masken zu verteilen.
Von der Mitte des Tals aus vertritt der Abgeordnete Robert Rivas die Interessen der ländlichen Bevölkerung – Farmarbeiter wie Landbesitzer. 2018 wurde Rivas für den Landkreis um die Agrarstädte Hollister und Salinas in die kalifornische Staatsversammlung gewählt. Dort, nur eine gute Stunde vom Silicon Valley entfernt, lebten „über 100.000 landwirtschaftliche Arbeiter“, sagt Rivas, selber Enkel von Farmarbeitern.
Mehr als 16.000 Tote durch die Pandemie
Allein in Kalifornien steckten sich bisher 860.000 Menschen mit dem Virus an. Seit März starben mehr als 16.600 an den Folgen der Erkrankung.
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Die Waldbrandsaison 2020 war schon jetzt die verheerendste in der jüngeren Geschichte des Bundesstaats: Über 360 Brände zerstörten mehr als 1,6 Millionen Hektar Land, die Kosten werden auf über 1,6 Milliarden Dollar geschätzt.
Martimes, Rominger und Rivas haben also einen extremen Sommer hinter sich. In Zoom-Gesprächen erzählen sie, wie sie die Ereignisse erlebten.
Bruce Rominger hatte Glück: Die Waldbrände nördlich seiner Farm machten dank einer natürlichen Grenze einen knappen Kilometer vor seinen bewässerten Tomatenfeldern und Mandelplantagen halt.
Dennoch: „Der Rauch ist wirklich nicht gut für die Gesundheit“, sagt Rominger. Seine Mitarbeiter trugen auf den Feldern N95-Schutzmasken, die Ernte ging ja weiter. Doch einen Vorteil gab es, sagt Rominger: Die Temperaturen von mehr als 40 Grad, die wochenlang anhielten, wurde dadurch gemildert, dass Rauch die Sonne verdeckte.
Auf seiner Farm hätten alle seit Beginn der Pandemie Masken getragen. Er wünsche sich, das sei auch anderswo passiert. Viele Leute verstünden nicht, wie relevant die Landwirtschaft für die USA sei: „Die grundlegendste Industrie, die wir haben“, sagt Rominger.
„Die Landwirtschaft ist unser Lebenselixier“, sagt auch der Abgeordnete Rivas. Die Folgen der Pandemie seien in seinem Wahlkreis wirtschaftlich besonders zu spüren: Bundesweit wurden Schulen und Restaurants geschlossen, die Nachfrage nach Gemüse und Obst ging stark zurück.
Das bedeutete auch weniger Arbeit für Farmarbeiter. Laut einer Studie von NGOs und Forschern der University of California war im Frühjahr die Hälfte der befragten Arbeiter von Einkommenseinbußen betroffen.
Schlechte Bedingungen noch verschärft
Elizabeth Martimes berichtet, dass sich viele Farmarbeiter nicht trauten, bei der Arbeit eine mögliche Covid-Erkrankung zu melden. „Sie haben Angst wegen ihres Aufenthaltsstatus“, sagt sie.
Dabei sind besonders in Kern County, wo Martimes lebt, die Ausgangsbedingungen sowieso schon schlecht: Durch Ölfelder und andere Industrie ist die Luftverschmutzung hier bundesweit am höchsten. Damit steigt auch die Anfälligkeit für chronische Lungenkrankheiten, die für besonders schwere Covid-Verläufe sorgen.
„Diese schlechten Bedingungen existierten schon vor der Pandemie“, sagt Politiker Rivas. „Nun wurden sie verschärft.“ Seit Monaten setzt er sich deshalb für einen umfassenden Schutz ein.
Mit Erfolg: Ende September trat in Kalifornien bundesweit das erste Gesetzespaket in Kraft, das während der Pandemie speziell Farmarbeiter schützt. Es schreibt unter anderem bezahlten Krankheitsurlaub vor und eine verbesserte Nachverfolgung der Krankheitsfälle durch die kalifornische Arbeitsschutzagentur Cal/OSHA. Den Entwurf für das Gesetz lieferte Robert Rivas, in enger Zusammenarbeit mit lokalen Hilfsorganisationen.
Unzureichendes Tracking in ländlichen Gebieten
Besonders in den ländlicheren, weitläufigeren Gebieten des Central Valley hätten nach Angaben von Organisationen wie Lideres Campesinas lokale Autoritäten nicht schnell genug reagiert. In vielen Landkreisen soll es zu wenige Tests und eine unzureichende Nachverfolgung gegeben haben.
Die Farmbesitzer hätten sich sehr sicher gefühlt. Erst als NGOs aktiv wurden und begannen, Covid-Ausbrüche auf Farmen selber zu melden, hätten sie gemerkt: „Damit kommen wir nicht davon.“
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Politisch ist das Central Valley konservativ. Im Gegensatz zu den liberalen Großstädten, wie San Francisco oder Los Angeles, wird hier „rot“ gewählt: republikanisch.
„Die Verteilung von staatlichen Geldern wird von denen dominiert, die nicht die Interessen der Latinos und der indigenen Bevölkerung im Blick haben“, sagt Irene De Barraicua von Lideres Campesinas.
Kein Mangel an Herausforderungen
Der Demokrat Robert Rivas repräsentiert dagegen eine neue Generation. Eine, die die Situation der Farmworker persönlich kennt und sozialere Ansichten vertritt.
Seit August sitzt er dem kalifornischen Ausschuss für Landwirtschaft vor. Sein Plan: Kaliforniens Landwirtschaft soll weiter ihre Führungsposition behalten und gleichzeitig den Klimawandel bekämpfen. Um sich einen Überblick zu verschaffen wird er jetzt vier Wochen lang durch das Valley reisen, von der Bundeshauptstadt Sacramento bis zur mexikanischen Grenze im Süden.
Er hofft, dass sein Gesetz eine Basis für weitere Maßnahmen bildet, um sich vor kommenden Katastrophen zu schützen. Als Abgeordneter habe er schnell gelernt: „In Kalifornien haben wir keinen Mangel an Herausforderungen – von der extremen Wohnungsnot bis zu unbezwingbaren Waldbränden.“