Minus 15 Grad in der Antarktis: Wie deutsche Forscher den Sommer überwintern
Kühle Tage deutscher Forscher an der Schelfeiskante: Ein Anruf im Polarwinter der Antarktis. Viele Menschen wären jetzt gerne dort.
Minus 15 Grad Celsius und Windgeschwindigkeiten von 107 Kilometern pro Stunde herrschen gerade an der Atka-Bucht in der Antarktis. Bernhard Gropp und ein Team aus weiteren neun Überwinterern, die im Auftrag des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, seit Dezember 2017 auf der Neumayer-Station III leben, können sich nach Temperaturen jenseits der 30-Grad-Marke wie hierzulande nur sehnen. Und manchen hitzegeprüften Berliner, Mecklenburger oder Schleswig-Holsteiner könnte mit einem Anflug von Sehnsucht nach etwas Winterfrische erfüllen, was der Teamleiter und Stationsarzt von ganz im Süden der Erde berichtet: „Hier trifft man auch mal einen neugierigen Pinguin“, erzählt Gropp.
Eine Pinguinkolonie mit einer Größe von circa 5000 Tieren ist etwa acht Kilometer von der Forschungsstation entfernt ansässig und wird von den Wissenschaftlern mit Hilfe eines ferngesteuerten Observatoriums beobachtet. Forscher unter anderem der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg erhoffen sich neue Erkenntnisse über das Verhalten der flugunfähigen Vögel, wenn sie sich im sogenannten „Huddle“ befinden. So wird die dicht gedrängte Gruppe bezeichnet, die Pinguine bilden, um sich gegenseitig zu wärmen. Bisherige Theorien gehen davon aus, dass die Tiere sich nach einem bestimmten Muster bewegen und alle brütenden Pinguine im antarktischen Winter abwechselnd von der in der Mitte entstehenden Wärme und dem Windschutz profitieren.
Die auf 14 Monate angelegte Expedition begann im Winter und endet im Februar 2019. So eine Dauer-Überwinterung will gut vorbereitet sein. Zur Versorgung sind Lebensmittelvorräte wie Mehl, Milch, Brot, Gebäck, Schokolade, Konserven, Säfte und Eier sowie vielfältige Tiefkühlprodukte eingelagert. Zusätzlich wurde Vitamin D eingepackt – denn Sonnenlicht, durch das dieses wichtige Vitamin sonst hauptsächlich in der Haut gebildet wird, ist vor allem in der Polarnacht Mangelware.
Vier Stunden Sonne täglich
Sowohl in der Polarnacht mit ihrer anhaltenden Dunkelheit, als auch zu Zeiten des Polartages mit 24 Stunden Tageslicht „wird der Tag-Nacht Rhythmus empfindlich gestört und es kommt nicht selten zu Störungen der Schlafzyklen“, berichtet der Stationsarzt.
In diesen Tagen scheint die Sonne an ihrem Quartier etwa vier Stunden täglich. Mit minus 15 Grad Celsius ist es in dem Gebiet nahe des Südpols laut Gropp „relativ mild“ – allerdings sehr stürmisch: „Da sieht man unter Umständen, auf Grund der Schneedrift, auch mal nichts, wenn man aus dem Fenster der Station schaut.“ Bis zu minus 42 Grad Celsius wurden Anfang Juli im tiefsten Winter rund um die Station gemessen. Im vergangenen Dezember – also während des antarktischen Sommers – waren es hingegen maximal plus 0,5°C Grad. Seit dem Ende der Polarnacht am 23. Juli wird es in der Antarktis nun Stück für Stück heller – und zum Ende des Winters im September schließlich auch wärmer.
Bei gutem Wetter könne man sogar Eisberge in der acht Kilometer entfernten Atka-Bucht erkennen, erzählt Gropp. Darin liegt eine der Besonderheiten dieses Projektes. „Schließlich bekommen nur die wenigsten Menschen die Gelegenheit, die Einmaligkeit der Antarktis direkt zu erleben“, weiß Gropp seine Aufgabe zu schätzen.
Einmalig ist auch die Erzeugung des Trinkwassers. Um das zu gewinnen, muss mit Schneefahrzeugen Schnee in eine Grube, die sogenannte Schneeschmelze, geschoben und dort anschließend erhitzt und geschmolzen werden. Danach wird das Wasser in verschiedenen Stufen prophylaktisch gereinigt und mit nötigen Mineralien versetzt, denn „der Schnee hier ist annähernd so salzarm wie einfach destilliertes Wasser“, erklärt Gropp.
Bernhard Gropp betreut in diesem Jahr in seiner Funktion als Arzt physiologische Langzeitstudien in der Neumayer- Station, die im Rahmen einer langjährigen Kooperation zwischen dem Alfred-Wegener-Institut und dem Zentrum für Weltraummedizin und extreme Umwelten bei der Charité Universitätsmedizin durchgeführt werden. Dabei werden mit jedem Überwinterungszyklus die Anpassungsleistungen der Überwinterer an die extremen klimatischen Bedingungen, die extremen Lichtperioden, veränderte Tag- Nacht-Rhythmen, an Isolation, Beengung und an sensorische Reizarmut beleuchtet.
Gemüse anbauen
Zusätzlich zur seit Jahrzehnten durchgeführten Wetterbeobachtung, der Dokumentation von seismischen Aktivitäten und der Erforschung der Luftzusammensetzung wird von den Wissenschaftlern dieses Mal auch Gemüse angebaut. Der „Eden-ISS“-Garten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrttechnik wurde in die Antarktis verfrachtet. Dort werden in Containern ohne Tageslicht und Erde von dem Luft- und Raumfahrtingenieur Paul Zabel unter anderem Salat, Tomaten und frische Kräuter angebaut. Stationsarzt Gropp freut sich über diesen Modellversuch für zukünftige Mond- und Marsmissionen: „Wir profitieren davon und genießen es. Denn sonst ist frisches Obst und Gemüse hier nicht verfügbar.“ Pflanzliche Vitamine gibt es neben der Ernte des „Eden-ISS“-Gewächshauses meist in Form von gefrorenem Obst.
Auch wenn Gropp den Sommer mitunter vermisst – „denn keiner von uns ist nur wegen der schönen Kälte hier“ – genießt er seinen „spannenden Forschungsauftrag“ und den Ausblick auf den in der Dämmerung erstrahlenden Horizont.
Dabei bewegt sich auch die Forschungsstation selbst langsam durch die Antarktis. Zwar sei ein Szenario wie im Film „The Day after Tomorrow“ unwahrscheinlich, in dem eine Forschungsstation in einem Riss im antarktischen Eis versinkt – allerdings müsse die Neumayer-Station III vermutlich zum Ablauf ihrer Betriebsdauer um das Jahr 2035 aufgegeben werden, erzählt Gropp. Immerhin bewegt sich die Station mit dem Eis jedes Jahr um zirka 150 bis 160 Meter Richtung Norden und damit in Richtung Schelfeiskante. Bis dahin können aber noch einige weitere Forschungs-Teams im astronomischen HighTech-„Garten Eden“ Gemüse ernten, sich an den Pinguinen erfreuen und so den nordischen Sommer überwintern.
Julia Heine
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