Nach dem Ski-Unfall: Warum Schumachers Schicksal die Welt bewegt
Er galt als der Bösewicht der Formel 1, der den Rennsport mit unerbittlicher Härte regierte. Doch jetzt, im Kampf mit dem Tod, schaut die Welt voller Wärme auf das Schicksal von Michael Schumacher.
Es gibt diese Filmszene in „Star Wars“, als der Bösewicht Darth Vader seinen Helm abnimmt. Unter der furchterregenden Rüstung kommt ein kleines Menschlein zum Vorschein, blass, vernarbt, Mitleid erregend.
Michael Schumacher war so etwas wie der Schwarze Lord der Formel 1. Fast zwei Jahrzehnte lang hat er den Rennsport mit unerbittlicher Härte regiert. Ist Gegnern ins Auto gefahren, um Weltmeister zu werden, und hat dabei nicht einmal vor seinem eigenen Bruder haltgemacht.
Nun liegt der einst gefürchtete Tyrann nach seinem schweren Skiunfall dort in Grenoble, mit geöffnetem Schädel wie Darth Vader ohne Helm, verletzlich, schwach – menschlich. Und plötzlich fallen auch bei seinen Gegnern die Schutzhüllen, breitet sich Wärme aus, wo vorher nur Eiseskälte herrschte. „Der Unfall hat Michael mit dem Rest von uns auf menschlicher Ebene ein für alle Mal verbunden“, hat sein früherer Kontrahent David Coulthard im „Telegraph“ geschrieben. Denn nun dämmert uns: Die Rennmaschine, so kühl, perfekt und unverwundbar, das war nicht der ganze Schumacher.
Michael Schumacher hat Beobachter immer wieder vor den Kopf gestoßen
Er hat es uns nicht einfach gemacht, zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Nicht nur Coulthard, der wie viele seiner Formel-1- Kollegen unter ihm gelitten hat. Der Schotte wähnte sich als Freund des Deutschen, bis der ihn nach einem Unfall 1998 in Spa verprügeln wollte. Danach sah auch Coulthard ihn als den „perfekten Schurken-Pantomimen: deutsch, rücksichtslos effizient und ultraaggressiv“.
Auch wohlmeinende Beobachter hat Schumacher immer wieder vor den Kopf gestoßen. Vor gut einem Jahr, kurz vor seinem endgültigen Rücktritt, gab es diese Szene in Singapur. Der verstorbene Streckenarzt Sid Watkins sollte vor dem Rennen geehrt werden. Watkins hatte Dutzenden von Formel-1-Piloten das Leben gerettet, er war der Schutzengel der Grand- Prix-Szene. Als die Gladiatoren der Rennbahn ihm die letzte Ehre erwiesen, fehlte nur einer: Schumacher. Er sei auf dem Klo gewesen, entschuldigte er sich später, das mache er vor den Rennen immer so.
Der Roboter der Formel 1
Diese Episode legt Schumachers Erfolgsformel offen: die konsequente Trennung von Pilot und Person. An der Strecke ließ er sich von nichts und niemandem ablenken, schon gar nicht von Gefühlen. Die Italiener haben ihn deshalb Roboter genannt oder Computer, er hat ihrem Nationalheiligtum Ferrari wieder Beine gemacht, dafür haben sie ihn respektiert. Unheimlich war er ihnen dennoch bei seinem Streben nach dem Sieg um jeden Preis. Der warme, liebende Familienvater, der Sohn, Ehemann und Freund blieb lange unsichtbar. Er habe sich irgendwann eine zweite Haut zugelegt, hat seine Managerin Sabine Kehm mal erzählt. „Die streift er erst ab, wenn er die Strecke wieder verlässt.“
Doch die Haut war in Wirklichkeit dünn. Die Vorwürfe nach seinen Pisteneskapaden hätten ihm egal sein können. Er aber reagierte stets mit kindlichem Trotz darauf. Und enttarnte sich so selbst. Die Meinung der anderen war ihm nicht egal, irgendwie wollte auch er geliebt werden. Zugegeben hat er das nie, öffentliche Gefühlsduselei empfand er stets als Schwäche. „Es hätte bestimmt weniger Kritik an ihm gegeben, wenn er öffentlich hin und wieder gezeigt hätte, dass er auch nur ein menschliches Wesen ist“, hat sein früherer Rivale Damon Hill einmal gesagt.
Im Kampf mit dem Tod gewinnt Schumacher die Herzen
Die zweite Haut hat Michael Schumacher sieben WM-Titel und 91 Rennen gewinnen lassen, aber die Herzen gewann er als Rennroboter nicht. Die gewinnt er erst jetzt, ein Jahr nach seinem Rücktritt. Am Freitag wird er 45 Jahre alt, und alle von der Kanzlerin bis zum Automechaniker blicken voller Mitgefühl auf sein Schicksal und rufen ihm zu: herzlichen Glückwunsch und gute Besserung. „Da ist ein Vater wie jeder andere, seine Frau und seine Kinder stehen am Krankenbett und beten für ihn“, sagt Coulthard. „Das ist etwas, mit dem wir alle uns verbunden fühlen. Ich kann nur hoffen und beten, dass er durchkommt, damit er sieht, was für nette Dinge über ihn gesagt wurden.“
Im Kampf mit dem Tod erwacht Michael Schumacher gerade vor den Augen der Welt zum zweiten Mal. Als Mensch.
Christian Hönicke