Sauna, Seen und Fika: Warum Finnland das glücklichste Land der Welt ist
Ein Report der Vereinten Nationen kürt Finnland zum glücklichsten Land der Welt – in Helsinki hat man dazu allerdings seine ganz eigene Meinung.
In der Sprache der Glücklichen hört sich schon das Wort selbst genau danach an: Onnellinen. Das klingt gut gelaunt und unbeschwert. Onnellinen ist Finnisch, und die Finnen sind dieser Tage mal wieder zum glücklichsten Volk der Welt gekürt worden. Im World Happiness Report der Vereinten Nationen ist das Land der tausend Seen zum zweiten Mal in Serie der Sieger. Andere Nordeuropäer folgen direkt dahinter. Dänemark ist Zweiter vor Norwegen und Island. Schweden kommt auf Rang sieben. Deutschland steht nur auf Platz 17. Was macht die Finnen glücklich? Kann man das Glück von ihnen lernen?
Finnland schneidet bei internationalen Rankings zu Bildung und Gesundheitswesen immer wieder in den Topplatzierungen ab. Selbst die in der Vergangenheit augenscheinlich widersprüchlich hohe Rate von Depressionen und Suiziden hat sich seit 1990 mehr als halbiert, sagt die Universität Helsinki. Trotzdem lacht man in Helsinki über den Report nur. Fragt man vor allem junge Menschen, Studierende, Berufsanfänger auf der Straße oder abends beim überteuerten Bier in einem der Altstadt-Pubs ist erst mal die häufigste Antwort: Die können nicht uns meinen.
Natürlich ist der Report Gesprächsthema. Auf viele Titelblätter hat er es geschafft. „Aber für uns fühlt es sich nicht so an“, sagt Maisa, Mitte zwanzig. Sie hat einen guten Job und einen Hund, ist gerade mit ihrem Freund in Helsinki zusammengezogen. Eigentlich fehlt es ihr an nichts wirklich, sagt sie. „Aber ist schon die Abwesenheit von Sorge Glück?“, zweifelt ihr Freund Lauri. Schwierige Frage. Es fühlt sich jedenfalls anders an, sagen beide.
Ihre Freunde Hinni und Karla sehen es ähnlich. „Schau dich um“, sagt Hinni, „das Wetter ist eine Katastrophe.“ Der Himmel ist noch Ende März ganztags grau, immer wieder regnet es in Strömen. „Das ist mental nicht zum Aushalten. Wahrscheinlich trinken wir Finnen deshalb mehr als alle anderen. Um es irgendwie auszuhalten.“ Alkohol ist teuer in Finnland und die Menschen hier offenbar zynischer als gedacht. Junge Menschen klagen über die schwierige Wohnungssuche und schimpfen über ihre selbstherrlichen Nachbarn in Schweden. Trotzdem fahren sie gern nach Stockholm und Malmö zum Feiern, lieber jedenfalls, als hier in Helsinki zu bleiben.
„Die Wälder und Seen. Unsere ganze Natur. Das hilft, abzuschalten“
Die Eindrücke aus dem Nachtleben von Helsinki sind freilich nicht repräsentativ. Drastisch anders aber klingen sie schon. Sind die angeblich glücklichen Finnen doch nur ein Mythos? Die jungen Leute werden nachdenklich. Dann fallen ihnen doch noch positive Dinge ein. „Die Wälder und Seen. Unsere ganze Natur. Das hilft, abzuschalten“, sagt Lauri. „Die dunklen Winter kann man gut in der Sauna verbringen. Oder beim Langlaufen das Beste draus machen.“. Und Karla sagt: „Wir schimpfen viel, aber eigentlich sind wir Finnen mit wenig zufrieden.“
Kleine Dinge erfreuen im Alltag, wie die soziale Institution „Fika“, die kleine Kaffeepause mit Freunden oder Kollegen. Die Finnen trinken weltweit pro Person den meisten Kaffee, dazu gibt es meist ein kleines Gebäck, Blaubeerzimtschnecken zum Beispiel. „Das Miteinander ist uns unheimlich wichtig. Wir haben ein Grundvertrauen in die Menschen“, sagt Lauri. So kommt man bei Kaffee oder Feierabendbier auch ungezwungen mit Fremden ins Plaudern. Ist das nicht auch ein Form von Glück? Ist also vielleicht doch etwas dran am Glücksbericht?
Der Glücksbericht der Vereinten Nationen basiert auf Daten von diversen Umfragen aus den vergangenen drei Jahren. 156 Länder finden in Eingang in die Rangliste. Faktoren sind zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt, die Lebenserwartung und die Abwesenheit von Korruption. Auch, ob Menschen etwa in jüngster Zeit Geld gespendet haben, wird abgefragt. Wirtschaftliche Faktoren also sind wichtig, weniger soziale.
Daraus die glücklichsten Menschen abzuleiten, sei also eigentlich fragwürdig, sagt Ilona Suojanen. Die gebürtige Finnin beschäftigt sich von Berufswegen mit dem Thema, sie ist Glücksforscherin an der School of Management der Erasmus-Universität in Rotterdam. „Der Glücksreport hat ein interessantes Konzept. Allerdings sagen seine Ergebnisse nichts über persönliches Glück aus. Sie sind mehr ein Indikator des Wohlbefindens einer Nation“, sagt sie. „Einige der Indikatoren haben Bezüge zum Glück der Menschen, aber eine klare Kausalität gibt es nicht.“
Eine Organisation hat nun die Aktion „Rent a Finn“ ins Leben gerufen
Womit sich die Frage stellt, ob „Glücksreport“ überhaupt der richtige Name für das Konstrukt ist. „Der Begriff ist natürlich sexy. Menschen können sich damit identifizieren.“ Mit realem Glück habe das aber wenig zu tun, sagt sie. Suojanen stellt den Zweck des Reports in Frage. „Warum fragen wir überhaupt nach den Top 20? Ich finde das selbstgerecht. Wir haben alle unterschiedliche Ideen davon, was Glück für uns bedeutet.“ Für sie persönlich sei Glück zum Beispiel der Geruch von frischem Basilikum, ein Tag in der Natur oder mit geliebten Menschen und gehaltvollen Gesprächen. Suojanen plädiert dafür, den Report umzubenennen – oder aber die Indikatoren zu erweitern. „Ob jemand eine wichtige Rolle im Leben anderer spielt, sich als Teil der Gesellschaft begreift, wie das Sicherheitsempfinden ist – das wären alles Aspekte, die man berücksichtigen sollte, wenn es um das Glück geht.“
Auch ob Menschen alleine sind oder ausgegrenzt werden, gehöre erfragt – schon allein, um dafür sensibler zu machen. „Oder ob Menschen ehrenamtlich arbeiten“, sagt sie, „Charity ist das eine, dass das Ehrenamt glücklich macht, ist wissenschaftlich erwiesen.“ Tatsächlich sei aber selbst das noch eine sehr westliche Sichtweise. Für andere Kulturkreise spielten ganz andere Faktoren eine Rolle. „Würden Sie in China oder Südafrika nach der Gewichtung einzelner Indikatoren fragen, die Reihenfolge der mutmaßlich glücklichsten wäre eine ganz andere.“ So könne sie auch daraus nichts ableiten, dass sich die Länder der EU in den Top-Rankings bewegten.
Trotz alledem findet sie den Report an sich eine gute Sache. „Es ist gut, dass wir das Glück der Menschen als erstrebenswert identifizieren und zum politischen Thema machen. Es ist gut, darüber zu sprechen“, sagt Suojanen.
Die Finnen versuchen das Ergebnis des Berichts und die Aufmerksamkeit für das Thema trotzdem zu nutzen. Eine Organisation für Tourismusförderung hat nun die Aktion „Rent a Finn“ ins Leben gerufen. Im Sommer 2019 sollen erstmals acht Glücksbotschafter Auswärtigen vermitteln, was finnisches Glück so besonders macht. Angelausflüge in die einsame Natur oder eben die Fika – all das soll man dabei lernen können. „Vielleicht können wir uns mit dem Programm selbst ein bisschen mehr auf das besinnen, was wir eigentlich haben“, sagt Hinni. Denn auch in Finnland kennt man das Sprichwort: Wer Glück teilt, bekommt es doppelt zurück.
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