Streit in Jerusalem: Warum die Grabeskirche vorerst geschlossen bleibt
Frustrierte Touristen, ratlose Pilger: Die Kirchen schließen die berühmte Grabeskirche in Jerusalems Altstadt – ein Protest gegen Israels Steuerforderungen.
Die Grabeskirche ist zu. Das hatte Yvonne Betz bereits Sonntagabend erfahren. Gekommen ist sie trotzdem. Auf dem Vorplatz des Gotteshauses in der Jerusalemer Altstadt fotografiert sie mit ihrem Handy das Gebäude und das meterhohe verschlossene Holztor.
„Es ist enttäuschend. Das sollte eigentlich der Höhepunkt unserer Reise sein“, sagt die Saarländerin, die zum ersten Mal Israel besucht, mit einer christlichen Gruppe aus Deutschland. „Vielleicht kommen wir irgendwann noch mal.“
So wie Yvonne Betz geht es vielen Besuchern, die verwundert und frustriert vor der Grabeskirche stehen. Die griechisch-orthodoxe und die armenische Kirche zusammen mit den Franziskanern hatten das Tor am Sonntag aus Protest gegen den Staat und die Stadt Jerusalem bis auf Weiteres schließen lassen. In einer gemeinsamen Stellungnahme kritisierten sie die „systematische, beleidigende Kampagne“ gegen die Kirchen und Christen des Landes.
So versuchen die Besucher an diesem Vormittag, wenigstens einen Blick durch das Fenster in die Kirche zu erhaschen, das über steile Treppenstufen erreichbar ist. Pilgergruppen, die ansonsten an den verschiedenen Stationen in der Kirche beten – dort, wo Jesus gekreuzigt, einbalsamiert und begraben worden sein soll –, tun dies nun draußen.
Spanisch, Englisch, Chinesisch, Deutsch, das Sprachengewirr ist groß auf dem Vorplatz, Touristenführer schwenken kleine Fähnchen, damit die Gruppen nicht verloren gehen. Sie erzählen heute nicht nur Historisches, sondern auch ganz Aktuelles.
„Unser Tourguide meinte, es gehe darum, dass die Kirchen plötzlich Steuern zahlen sollen, und zwar ziemlich viel“, sagt die Amerikanerin Alice Primm, die deshalb etwas Verständnis für den drastischen Schritt hat. Trotzdem sei sie „heartbroken“, schließlich wäre für sie als Baptistin der Besuch der heiligen Stätte der wichtigste Teil ihrer Pilgerreise durch das Heilige Land gewesen. „Wir sind nun die Via Dolorosa entlanggelaufen und haben gebetet, dass Gott den Streit regelt“, sagt sie. Doch ganz so einfach, wie der Leiter der Gruppe die Auseinandersetzung darstellt, ist sie nicht.
Es geht zum einen um einen geplanten Gesetzentwurf, der dem israelischen Staat erlauben würde, von der Kirche an private Investoren verkauftes Land zu enteignen – auch rückwirkend. In ihrer Stellungnahme zogen die Kirchenoberhäupter den Vergleich zum Vorgehen der Nationalsozialisten: „Das erinnert uns an Gesetze ähnlicher Natur, die gegen Juden in der dunkelsten Periode Europas erlassen wurden.“
Die Knessetabgeordnete Rachel Azaria (Kulanu-Partei), die den Entwurf eingereicht hatte, wehrt die Kritik ab. Es gehe keinesfalls darum, den Kirchen Besitz wegzunehmen. Man wolle lediglich verhindern, dass Wohnungseigentümer von den neuen Immobilienbesitzern vertrieben werden. Denn immer wieder hatte vor allem die griechisch-orthodoxe Kirche, zweitgrößter Landbesitzer in Israel, in der Vergangenheit Land an unbekannte private Investoren verkauft, wobei nicht klar ist, was die mit den Gebäuden auf dem Gebiet zu tun gedenken.
Außerdem rügen die Kirchen, dass die Stadt entgegen dem bisherigen, jahrhundertealten Status quo Kirchenbesitz besteuern möchte. Ausgenommen sind weiterhin religiös genutzte Gebäude wie Kirchen und Kapellen. Für Schulen, Cafés, Hotels und Krankenhäuser sollen sie jedoch zukünftig zahlen.
Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat twitterte, Gewerbebauten seien unabhängig vom Eigentümer nicht von der Gemeindesteuer befreit. Deshalb beliefen sich die Schulden von kommerziellen Einrichtungen, die im Besitz der Kirchen sind, auf umgerechnet 150 Millionen Euro (650 Millionen Schekel). Am Montag sagte er Medienberichten zufolge, die Kirchen könnten ja vor Gericht ziehen.
Einige Christen in Jerusalem zeigen Verständnis für die Schließung der Grabeskirche. „Es geht darum, ein Zeichen zu setzen. Wir müssen die Welt wachrütteln, dass Jerusalem bei Weitem kein Paradies für Christen ist, sondern die Zukunftssicherheit der Kirchen bröckelt“, findet der deutsche Mönch Nikodemus Schnabel von der Dormitio-Abtei.
Doch es gibt auch Kritik. Markus Bugnyar, Rektor des Österreichischen Hospizes, kann den Schritt der Kirchenkollegen nicht verstehen. Sein Hospiz zahlt seit 1985 Gemeindesteuern, wenn auch nur 33 Prozent dessen, was mit Blick auf die Größe des Geländes fällig wäre. „Ich verstehe die Argumentation der Stadt und halte sie nicht für verwerflich. Es ist doch normal, dass eine Stadt ihre Bürger zum Zahlen der Steuern auffordert. Das bisher war eine Ausnahmesituation, einmalig auf der Welt.“
Die Wortwahl der Stellungnahme geht für ihn sogar schon in eine antisemitische Richtung. „Jetzt mit Christenverfolgung zu kommen und Vergleiche zu ziehen – da muss ich gerade als Leiter einer österreichischen, katholischen Einrichtung sagen: So kann und darf man nicht argumentieren.“