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Der Handleser Thanadol Parntuwutipak in Bangkok.
© dpa

Handlesen und Co.: Wahrsagen hat in Thailand Tradition

Was in vielen Ländern als Hokuspokus oder Abzocke gilt, ist in Thailand völlig normal: Die Menschen lassen sich in wichtigen Fragen des Lebens von Wahrsagern beraten. Selbst der Regierungschef konsultiert überirdische Kräfte.

Mit einem Stift zeichnet Thanadol Parntuwutipak Linien in der Handfläche seines Kunden nach. Eine dicke Lupe braucht der Handleser dafür. Er analysiert die Stellen und sagt: „Ihre Gesundheitslinie verläuft bis zu Ihrem 50 Lebensjahr glatt.“ Dann werde sie von einer anderen Linie gekreuzt. „Wenn Sie diese Gesundheitskrise überleben, werden Sie sehr alt“, prophezeit Thanadol regungslos. Nachfragen zu seinen Vorhersagen sind nicht erlaubt. Thanadol ist nur einer von vielen Astrologen, Kartenlegern und Esoterikern in der „Wahrsager-Straße“ in der Nähe der Bangkoker Thammasat-Universität. Um sich Rat zu holen, kämen sie alle hierher: vom liebesgeplagten Studenten bis hin zum alternden Professor.

Wahrsagerei als Hilfestellung im Leben

Wahrsagen wird in Thailand nicht als Hokuspokus, sondern ganz nüchtern betrachtet: als redliche Hilfestellung im Leben. Die Vorhersagen ziehen oft große Veränderungen nach sich. Menschen haben schon ihre Adressen oder Nachnamen geändert, um ihrem Sternzeichen besser zu entsprechen oder einer bösen Prophezeiung zu entgehen.

„Wir ziehen das nicht andauernd zurate“, sagt die Maschinenbaustudentin Panita Chenvanich. „Nur dann, wenn man in der Zwickmühle steckt oder Beratung braucht.“ Die 22-Jährige wusste zum Beispiel nicht, für welche Universität sie sich entscheiden sollte. Auf Anraten ihrer Mutter besuchte sie einen Wahrsager. Der sagte ihr, was sie wo erwarten würde. Panita entschied sich für Pennsylvania - hier werde sie ihre große Liebe finden, war ihr prophezeit worden. Nach drei Jahren Studium lässt der Traumprinz noch auf sich warten. Panita setzt jetzt alle Hoffnungen in das vierte Jahr.

Die Ratschläge, die Wahrsager den Thailändern geben, beschränken sich aber nicht auf Persönliches. Pumsaran Tongliemnak erinnert sich, wie er von seinem Studium in Stanford zurückkehrte, um im Bildungsministerium anzufangen. „Mein künftiger Chef, ein hochrangiger Regierungsbeamter, riet mir, ich solle einen Astrologen befragen, welcher Tag ein guter Start in meinen neuen Job wäre, damit meine Karriere glatt und gut verläuft.“ Er sei etwas erstaunt gewesen - völlig überrascht aber nicht, sagt Pumsaran.

Tradition am königlichen Hof

Laut den Historikern Chris Baker und Pasuk Phongpaichit rührt der Glaube an übernatürliche Kräfte in Thailand aus Traditionen am königlichen Hof und in der Elite des Landes. Im Journal der „Siam Society“ beschreiben sie die herausragende Rolle, die Astrologen bei der Entscheidungsfindung der Monarchen spielten, ob beim Tempelbau, der Gründung von Städten oder Kriegserklärungen.

Und selbst in der heutigen Zeit sind thailändische Führer bekannt dafür, vor wichtigen Entscheidungen Wahrsager zurate zu ziehen. Der frühere Regierungschef Thaksin Shinawatra habe einen persönlichen Astrologen seiner Familie eingespannt, schreibt der Historiker Charles Keyes. Als Thaksin 2006 vom Militär aus dem Amt geputscht wurde, sollen seine Nachfolger zuvor Astrologen nach dem bestmöglichen Zeitpunkt für den Staatsstreich befragt haben.

Thailands aktueller Machthaber Prayuth Chan-ocha führt die Tradition des Aberglaubens fort. Der General bekannte sich öffentlich dazu, zu Wahrsagern zu gehen. Es schade nicht, ihren Rat zu suchen. Als er zu Beginn seiner Amtszeit unter Fieber und Schmerzen litt, machte er Flüche seiner politischen Gegner dafür verantwortlich - und bekämpfte die angeblichen Verwünschungen mit Weihwasser.

Aberglaube als Ausdruck der Unfähigkeit

Doch so tief der Aberglauben verankert ist: Immer mehr Thailänder stehen ihm skeptisch gegenüber. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Regierungschef sagt, es sei nicht schlimm, einen Wahrsager aufzusuchen - was, wenn er wichtige Entscheidungen davon abhängig macht?“, sagt eine Mitarbeiterin der Regierung, die anonym bleiben möchte. Der Aberglaube sei Ausdruck der Unfähigkeit der Thailänder, hart zu arbeiten und Verantwortung zu tragen. Die Menschen schöben die Schuld an ihrem Versagen auf unglückliche Termine - „weil die Wahrheit viel schwerer zu ertragen ist“, sagt die Soziologin.

Für den Handleser Thanadol ist das, was er tut, weder bösartig noch mystisch: Er gebe seinen Kunden lediglich Informationen, anhand derer sie bessere Entscheidungen treffen könnten. „Ich kann nicht ändern, was in den Sternen oder den Handlinien steht. Ich besitze keine magischen Kräfte. Nur die Ausbildung, um zu erkennen, was die Zeichen bedeuten“, sagt er. Das sei keine Zauberei. Es sei Wissenschaft. (dpa)

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