Flüchtlingsstrom: Ungarn und der Kampf um Menschlichkeit
Rechte Schlägetrupps „patrouillieren“ durch ungarische Städte – doch nun wehrt sich die Zivilgesellschaft und setzt sich für Flüchtlinge ein.
Seit Monaten steht Ungarn wegen seiner rabiaten Haltung zu Flüchtlingen international in der Kritik – doch davon hat sich die rechtspopulistische Regierung von Viktor Orban nicht aufhalten lassen. Am Montag verabschiedete das Parlament in Budapest ein Gesetz, das es erlaubt, Asylanträge von Flüchtlingen abzulehnen, die über andere sichere Länder nach Ungarn eingereist sind und das zudem den Zeitraum zur Überprüfung von Asylansprüchen einschränkt. Außerdem schafft das Gesetz die Grundlage für die Errichtung eines riesigen Zauns an der südlichen Grenze zu Serbien. Die Symbolik eines solchen Zauns ist nicht zu unterschätzen, da sich die Stimmung gegen Flüchtlinge in Ungarn gefährlich aufgeheizt hat. Etwa 72 000 von ihnen sollen in diesem Jahr nach offiziellen Angaben ins Land geströmt sein. Nun machen sowohl Rechtsradikale als auch Asyl-Aktivisten zunehmend mobil – und geraten dabei auch aneinander.
So versammelten sich am vergangenen Sonntag etwa 200 Menschen auf dem Heldenplatz der ungarischen Hauptstadt, um gegen den Grenzzaun an der ungarisch-serbischen Grenze zu demonstrieren. Doch die kleine Kundgebung lockte nicht nur junge Aktivisten und Rentner an, sondern auch einen Pulk von etwa 25 muskelbepackten, größtenteils kahlgeschorenen jungen Männern, die es sich offenkundig zum Ziel gesetzt hatten, die friedliche Demonstration zu stören. „Wir wollen keine Nigger bei uns!“, „die sollen gefälligst bleiben, wo sie hergekommen sind!“ und „wenn du so für Flüchtlinge bist, dann nimm doch einen Nigger bei dir auf!“ waren nur einige der Zwischenrufe, welche die Demonstration begleiteten. Dies ist nicht das erste Mal, dass mutmaßlich zum Fußball-Erstligisten Ferencváros Torna Club gehörende Fans politisch Stellung beziehen, ohne von der Polizei behelligt zu werden. Nicht nur auf Demonstrationen teilen sie diese lautstark und mit Nachdruck mit. Auf der Facebook-Seite der „Ultras Liberi“ wurde vergangene Woche ein Bild veröffentlich, auf dem eine Gruppe von etwa 15 jungen Männern zu sehen ist, die an der grünen Grenze zu Serbien „patrouilliert“ – also genau dort, wo der Zaun demnächst Menschen davon abhalten soll, die Europäische Union zu erreichen.
Hetze im Netz ist für Ungarns Nazis schon Routine
Auf der Seite selbst finden sich zahllose Kommentare, die offen rassistisch und fremdenfeindlich sind und somit keine Zweifel über die Gesinnung der Mitglieder lassen: „Wir sollten nicht demonstrieren, sondern die Sicherheitskräfte des Landes an die Grenze schicken, sie mit Waffen und Munition versehen und sie unser Land schützen lassen vor der Besetzung, weil genau das läuft gerade hier!“ Dabei treten die Ultras immer aggressiver auf. In der vergangenen Woche demonstrierten mehrere hundert Mitglieder der Nachfolgeorganisationen der verbotenen „Ungarischen Garde“ in Debrecen. Zsuzsa Szelényi, Parlamentsabgeordnete der linksliberalen Együtt 2014-Partei engagiert sich vor Ort und beschreibt die Situation als „diffus“. So gingen bei der Stadtverwaltung regelmäßig Meldungen ein, dass Bürger sich von Flüchtlingen bedroht fühlten, konkrete Anhaltspunkte dafür gibt es jedoch nicht, „da es keinerlei Aggressionen gegen die Bürger vor Ort gibt“. Vergangene Woche kam es zwar zu Ausschreitungen im Lager Debrecen, diese seien aber von Polizei und Lagerleitung souverän gehändelt worden, berichtet Szelényi. „Die Menschen in den Lagern verursachen keine Probleme, maximal ein- oder zwei Mal pro Jahr kommt es zu Polizeieinsätzen, das ist weit weniger, als der Durchschnitt für die meisten Siedlungen Ungarns.“
Während im ostungarischen Debrecen Rechtsextreme demonstrieren, hat sich im südungarischen Szeged eine zivile Hilfsinitiative entwickelt, die seither immer weitere Kreise auch außerhalb der Stadt zieht. „Wir sind mittlerweile in der glücklichen Lage, alle Bedürfnisse der ankommenden Flüchtlinge vor Ort zu versorgen, also Kleidung, Nahrung, Informationen, aber vor allem Menschlichkeit ist es, was diese Menschen oftmals brauchen“, erklärt eine der Gründerinnen der Szegediner Hilfsgruppe „MigSzol Szeged“, Edina Bulatovic-Hajnal. Die Mutter zweier kleiner Kinder koordiniert gemeinsam mit ihren Helfern mittlerweile mehr als 1 500 Freiwillige, die rund um die Uhr im Einsatz sind. „Wir haben mit Hilfe der Stadtverwaltung eine kleine Holzbude bekommen, in der können Spenden rund um die Uhr abgeben werden.“ Die Freiwilligen sind auch auf dem Bahnhof präsent und helfen dort Ankommenden. Anwälte geben juristische Ratschläge, Großmütter verteilen selbstgebackenen Kuchen, „jeder bringt sich so ein, wie er kann“. Dazu zählen beispielsweise auch die immer regelmäßigeren Hilfslieferungen von Budapest nach Szeged und in andere Städte, die von Flüchtlingen angesteuert werden. Helfer landesweit sehen dabei vor allem zwei Gründe für die Hilfsbereitschaft der Bürger. Zum Einen sei es furchtbar zu sehen, was mit den ankommenden Menschen geschieht. Zum Anderen sei Ungarn seit jeher für seine Gastfreundschaft berühmt, unabhängig davon, was die aktuelle Regierung sagt.