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Juliette Binoche im Interview: "Treue ist eine große Herausforderung"

Heiraten ist für die französische Schauspielerin Juliette Binoche ein wichtiges Thema – warum hat sie’s dann nie getan? Dafür hat sie interessante Thesen zur Patchworkfamilie und zu Gerard Depardieu.

Juliette Binoche, 47, gehört seit fast 30 Jahren in die Riege der französischen Diven und lebt bei Paris. Sie spielte in dem Film „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, gewann 1997 einen Oscar und leistete es sich, eine Rolle in Spielbergs „Jurassic Park“ abzulehnen. Gerade läuft ihr aktueller Film „Die Liebesfälscher“.

Frau Binoche, wann hat man angefangen, Sie „La Binoche“ zu nennen?

Erst ist „Drei Farben Blau“von Kieslowski rausgekommen. Dann „Der Englische Patient“, wofür ich 1997 den Oscar bekommen habe. Da ging es los. Es war ja nach 37 Jahren das erste Mal, dass ein französischer Schauspieler wieder einen Oscar gewann. „Chocolat“ haben dann 250 Millionen Leute auf der Welt gesehen.

Letztes Jahr hatten Sie einen bizarren Streit mit Gerard Depardieu, der in einem Interview gesagt hat, er wisse gar nicht, was dran sei an der Binoche. „Sie hat und ist nichts. Überhaupt nichts.“

Ich habe das nicht verstanden, ich kenne ihn ja gar nicht. Ich habe ihn vor über 15 Jahren mal bei einem Essen getroffen. Aber neulich bin ich ihm auf dem Markt in Paris über den Weg gelaufen. Er hatte seinen Motorradhelm auf, und ich bin auf ihn zu, habe ihn umarmt und gefragt: Gerard, was passiert mit dir? Was habe ich dir getan, dass du so gemein zu mir bist? Er hat abgewunken, nimm das nicht so wichtig, ich sage manchmal solche Sachen, das hat nichts mit dir zu tun. Und ich habe geantwortet, aber du behauptest starke Sachen. Und er sagte, es rege ihn auf, dass Schauspielerinnen sich Regisseure aussuchen, die sie dann pervertieren. Er findet, Carax und Haneke, mit denen ich gedreht habe, seien pervers. Erst hinterher fiel mir auf: Mit wem hat eigentlich er gedreht? Und wer ist jetzt pervers? Vielleicht ist er selbst pervers.

Depardieu?

Nein, im Ernst, ich glaube, mein aktueller Film „Die Liebesfälscher“ hat ihn aufgeregt, seine Reaktion kam, nachdem er den Film gesehen hatte. Der Mann ist dort in einer sehr schwachen Position. Depardieu konnte wohl nicht aushalten, dass die Frau im Film so redselig und dominant ist. Aber da habe ich ja keine Wahl, das ist die Entscheidung des Regisseurs. Es ist interessant zu sehen, dass die Leute glauben, was sie sehen, sei wahr.

Im Film verschwinden Sie im Restaurant kurz auf die Toilette, um für Ihre männliche Begleitung Lippenstift aufzulegen. Ist das die wahre Binoche, die für eine Verabredung extra Lippenstift aufträgt?

Nein, das tue ich nur für Journalisten. Aber ich glaube, die Frau im Film ist so verzweifelt, weil der Mann sie gar nicht wahrnimmt – er ist viel mehr damit beschäftigt, dass er Hunger hat. Er will Wein, er hat schlechte Laune. Deshalb geht sie und zieht sich die Lippen nach, um überhaupt irgendetwas zu tun. Und dann kommt sie zurück und legt am Tisch ihre Ohrringe an, aber er merkt noch immer nichts. Das ist sehr lustig.

Sie gelten als eine Schauspielerin, die sich ihre Rollen sehr genau aussucht.

Ja, und während des Drehs realisiere ich, warum ich zusagen musste. Man erschafft ja spielend die Situationen neu, die einen dazu gebracht haben, genau diesen Film auszuwählen. Es passiert mir ziemlich häufig, dass ein Thema meines Lebens so auf mysteriöse Weise in einer anderen Größenordnung gespiegelt wird.

Welches Thema war es diesmal?

Das Heiraten. Die Hauptdarstellerin ist so wild entschlossen zu heiraten! Sie ist so verrückt nach dieser Idee, sie verzehrt sich danach. Und ich glaube, für mich ist das auch ein sehr wichtiges Thema. Ich bin ja ziemlich erfolgreich als Schauspielerin und als Künstlerin, aber als Frau habe ich mich in der Zeit des Drehs stark infrage gestellt.

Sie sind nicht verheiratet.

Oh, ich wollte immer heiraten. Ich bin sehr … ich weiß nicht, ob man das Wort „unschuldig“ hier benutzen kann. Ich glaube, dass die Liebe einen zur Jungfrau macht.

Jedes Mal wieder?

Das Gefühl im Herzen macht einen leichter und in diesem Sinne macht die Liebe einen jungfräulich.

Vielleicht, weil die Zuneigung in dem Moment so absolut ist wie die Unschuld?

Ich versuche hier keine Erklärung, man fühlt einfach, dass man immer wieder aufs Neue unschuldig wird. Aus diesem Grund glaube ich noch immer an die Liebe und an das Leben als Paar. Der andere sorgt dafür, dass man sich lebendiger fühlt. Er bietet die Möglichkeit, dass Schichten in einem berührt werden, die nie zuvor berührt wurden.

Was haben Sie im Laufe Ihres Lebens an sich selbst entdeckt, das nur herauskam, weil jemand anderes es herausgekitzelt hat?

Ich will da nicht ins Detail gehen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich, wenn ich demjenigen gegenüber stehe, mit dem ich lebe, Dinge fühle, die ich vorher nicht gefühlt habe. Denn man geht immer an seine Grenzen, man berührt Extreme. Gefühle sind extrem.

Warum Binoche noch nicht geheiratet hat, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Sie sprechen von einzigartigen, berührenden Momenten zwischen Männern und Frauen. Trotzdem münden die immer wieder in dieselben schlichten Gesten: Blumensträuße, Ringe, Diamanten. Bedeuten die Ihnen etwas?

Es hängt davon ab, wer den Blumenstrauß überreicht. Symbole und Rituale sind sehr bedeutsam. Man muss ihnen auch den Zutritt zu sich selbst erlauben. Manchmal ist es einfacher, Dinge zu geben, als sie anzunehmen. Sie müssen als Empfänger ihr Herz auf eine andere Art öffnen. Und wenn ich jemandem einen Ring gebe, dann ist das bedeutungsvoll.

Haben Sie jemals einen verschenkt?

Ja.

Darf ich fragen, an wen?

Nein, aber ich habe ihn selbst gezeichnet und anfertigen lassen. Denn natürlich dachte ich zu dem Zeitpunkt, er wäre der Mann meines Lebens. Jetzt, da ich die Wahrheit kenne, ein beängstigender Gedanke. Heute, da ich mich viel eher in einer Beziehung fühle, die bis zum Ende meines Lebens dauern könnte, habe ich nichts dergleichen gemacht: Ich habe nichts gezeichnet und auch keinen Ring verschenkt.

Vielleicht hat die Beziehung keinen Ring nötig?

Die Beziehung braucht keinen Ring. Aber es geht um Symbole, und die sind wichtig. Nehmen Sie zum Beispiel einen Schauspieler, der einen Preis bekommt: Das ist eine vollkommen dumme Handlung. Und doch ist es der Preis, den Sie berühren können, auf der Ebene der Dinge, der sagt: Ich habe diese Rolle gespielt und alles durchgestanden. Ich habe diese Arbeit wirklich gemacht. Und so wird er zu einem Symbol und damit zu einer Markierung in Ihrem Leben, wie es auch ein Ring sein kann.

Sie haben zwei Kinder von verschiedenen Männern, mit keinem sind Sie verheiratet. Ich dachte immer, Sie hätten etwas gegen das Heiraten.

Vielleicht habe ich zu viele Märchen gelesen, aber heiraten wollte ich immer. Ich habe mich nur ständig vor dem gesetzten, bürgerlichen Leben als Paar gefürchtet, nach diesen Mustern aus den 50ern. Ich glaube, das ist sehr langweilig und gefährlich.

Sie meinen, weil man tot sein kann, bevor man gestorben ist?

Genau das. Ich bewundere es, wenn jemand es schafft, die Schwierigkeiten des Paarlebens zu überwinden. Ich glaube zum Beispiel, dass es eine große Herausforderung ist, sich für die Treue zu entscheiden. Das Leben ist ja eine innere Reise, die jede Person für sich selbst macht. Und wir müssen innerlich wild bleiben, um lebendig zu bleiben.

Nach Sigmund Freud und seiner Psychoanalyse glauben viele Deutsche, dass man über alles reden müsse, dass es richtig sei, alles auszusprechen. Viele Paare sind stolz darauf, dass sie voreinander keine Geheimnisse haben. Ist Reden die Lösung?

Man kann nicht über alles reden, Worte sind manchmal gefährlich. Man weiß ja nie, warum man gerade mit dieser einen Person zusammen ist, das sagt einem nur die Intuition. Mir ist es auch schon so gegangen, dass eine Beziehung von außen total verrückt aussieht, sich aber innerlich richtig anfühlt. Dem muss man einfach vertrauen. Deshalb ist die Intuition für mich stärker als es Worte sind. Aber zugleich sind sie sehr hilfreich, wenn man total verloren ist. Man braucht sie, wenn man alte Muster in einer Partnerschaft entdeckt, wenn man sich unwohl fühlt und traurig ist.

Im Westen wird schon seit einigen Jahren die Krise der Männlichkeit beschrieben. Männer, die nicht mehr zwingend notwendig sind, um das Familienleben zu finanzieren, können ihre Rolle nicht mehr finden.

Ich glaube, dass die Krise an den Trennungen liegt. Ich komme selbst aus einer Scheidungsfamilie, sogar meine Großmutter hat sich scheiden lassen. Üblicherweise wurden die Kinder zur Mutter gegeben. Also wurde die Verbindung zu den Vätern schon hier gekappt, die Abwesenheit der Väter für die nächste Generation besiegelt. Die Frau musste einer Wirklichkeit ins Auge sehen, die ein Albtraum war. Sie musste eine Arbeit finden und zugleich die Kinder versorgen. Und deshalb wurden die Frauen stärker und stärker. Ihre Töchter verinnerlichten: Ich muss darauf vorbereitet sein, mein Leben alleine anzugehen. Wenn also nun ein Mann dazukommt, weiß er gar nicht, wo er hingehört.

Er könnte doch alles anders machen.

Aber die Kinder geschiedener Eltern haben sich daran gewöhnt, dass der Vater nicht da war und keine Verantwortung trug. Wie sollen sie die später in Beziehungen einfordern? Und die Männer fragen sich: Wozu soll ich überhaupt Verantwortung tragen? Am Ende ist es ja die Frau, die die Dinge in der Hand hat, die für ihr Geld arbeitet, die die Mutter ist, bla, bla, bla. Der Vater ist dann total verloren und kann seinen Platz nicht finden.

Das ist seine eigene Schuld. Er hätte ja auch eine Wahl.

Ja, aber es ist auch unser Fehler als Frauen, weil wir nicht fähig sind zu sagen: Ich brauche deine Hilfe. Ich brauche dein Geld. Ich brauche dich, dass du dich um mich kümmerst. Wir haben diesen Punkt einfach ausgelassen. Also wissen die Männer gar nicht, wie es um uns steht, und haben sogar im Gegenteil das Gefühl, dass sie sich schützen müssen, weil wir Frauen so stark sind und alles wissen und alles tun. Das ist eine verzwickte Kombination, denn sie sind genauso verloren wie wir. Nur weil wir nicht in der Lage sind zu sagen: Wir brauchen Schutz.

Glauben Sie, dass es eine Stärke ist, diesen Satz aussprechen zu können?

Für mich ist es das Allerschwierigste. Und ich brauche diesen Schutz definitiv.

Das geht gegen alles, was die Frauen in den letzten Jahrzehnten erreichen wollten.

Ja, sie wollten das erreichen, aber sie mussten es auch. Es gab ja, für einige Frauen zumindest, keine andere Möglichkeit.

Warum Juliette Binoche ihre Tochter aufs Internat lässt, lesen Sie im nächsten Teil.

Das ändert sich gerade.

Ja, ein bisschen. Jetzt sind die Kinder zur Hälfte hier, zur Hälfte dort. Aber das ist auch keine großartige Sache. Ich habe immer bei meiner Mutter gelebt und meinen Vater nur gelegentlich sonntags gesehen, das war wahrscheinlich sogar stabilisierender für mich, als es die Situation für meine Kinder heute ist. Besonders meine Tochter fährt die ganze Zeit hin und her, hin und her…

Was schlagen Sie vor?

Ich habe einmal die Psychoanalytikerin und Kinderärztin Francoise Dolto gelesen – Sie haben Freud, wir haben Dolto. Ihrer Meinung nach sollten wir eine Wohnung haben für die Kinder, und die Eltern sollen hin und herfahren. Dann wäre es das Haus der Kinder und die Eltern müssen sich anpassen, als Folge ihrer Entscheidungen, die sie als Paar getroffen haben. Aber wir tun es nicht, weil wir zu eigennützig sind.

So ein Lebensstil verträgt sich auch nicht mit dem Leben einer französischen Diva.

Ich weiß, doch ich gehe immerhin selbst einkaufen, und ein Berg Geschirr nach dem Essen macht mir keine Angst. Meine Kinder sollen sehen, dass die Dinge nicht aus dem Blauen kommen. Außerdem versuche ich, ihnen nicht zu viele Ratschläge zu geben, damit sie ihre eigenen Erfahrungen machen können.

Und?

Es gelingt mir schlecht. Ich ermahne sie immer zur Vorsicht, weil ich sie schützen will. Meine Tochter hat zum Beispiel entschieden, dass sie gerne ein Internat besuchen würde. Das wollte sie selbst, aber ich fand es schwierig, ihr das zu erlauben, weil ich mit ihr zusammen sein will. Es ist wohl ein Zeichen von Liebe, dass ich sie doch ziehen lasse. Sie ist fast zwölf.

Sie haben auch ein Internat besucht.

Ja, drei, vier Jahre lang. Ich bin mit dreieinhalb dorthin, das war natürlich sehr jung. Auch meine Eltern waren auf einem Internat.

Haben sich Ihre Eltern nicht vor der Trennung gefürchtet?

Ich weiß nichts über die Furcht damals. Aber heute überlegen die Leute sich, was das mit den Kindern macht. Ich denke, wenn das Kind selbst darum bittet, ist es ein Zeichen von Unabhängigkeit.

Es scheint unter Schauspielerinnen Mode zu sein, mit jüngeren Männern zusammen zu sein. Sie selbst hatten einen zehn Jahre jüngeren Freund, den Schauspieler Benoit Magimel, von dem Ihre Tochter ist. Sind jetzt die schönen Männer die Trophäen für die Frauen geworden?

Nein, ich glaube, wenn Sie mit jemandem zusammen sind, dann müssen auch Gefühle da sein, sonst kann eine Beziehung nicht lange dauern. Dafür hat man ja sein Herz.

Doch Männer machen jetzt auch alles das, was die Frauen so lange geübt haben: Sie cremen sich ein, sorgen sich um ihr Aussehen, gehen zum Psychologen und ins Fitnessstudio.

Mag sein, ich habe es so noch nicht analysiert. Die Werbung drängt die Gesellschaft auch in eine ständige Körperfürsorge. Aber es stimmt, dass mir früher Frauen häufiger erzählt haben, dass sie, seitdem sie 40 sind, nicht mehr nach einem Date gefragt werden. Das ist nicht mehr so häufig der Fall. Ich hatte auch Angebote von jungen Männern. Doch die Anziehung zwischen älter und jünger war immer schon da. Jüngere Männer mögen ältere Frauen, weil da dieses Tröstliche, Mütterliche ist. Menschen um die 40 sind sehr attraktiv. Sie sind sicherer, sie haben Reife. Lebenserfahrung ist sehr anziehend.

Frau Binoche, Sie verstecken die ganze Zeit Ihre linke Hand. Aber jetzt sieht man ihn doch: Was ist das für ein Diamantring an Ihrem Finger? 

Das werde ich nicht beantworten. Man muss im Leben Geheimnisse haben.

Das Interview führte Deike Diening.

Deike Diening

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