Germanwings: Streit über Entschädigungen ist peinlich und peinigend
Vier Monate nach der Germanwings-Katastrophe gedenken Angehörige in den französischen Alpen heute der Opfer. Zur Trauer kommt ein Streit, der groteske Züge annimmt. Ein Kommentar.
Am heutigen Freitag wird der Schmerz einmal mehr sehr groß sein. Auf dem Friedhof des französischen Dörfchens Le Vernet werden die nicht einzeln identifizierbaren Leichenteile der im März beim Absturz des Germanwings-Flugs ums Leben gekommenen Menschen in einem Gemeinschaftsgrab beigesetzt. Zahlreiche Angehörige der Opfer wollen an der Trauerfeier teilnehmen, auch Vertreter der Lufthansa, die als Mutterfirma von Germanwings für die Reise nach Le Vernet sorgt.
Das Grab nahe dem Unglücksort und zugleich die Ungewissheit, was dort von den Verlorenen bleibt, bedeuten für die Hinterbliebenen eine neuerliche Belastung. Gleichzeitig aber ist zwischen den Trauernden und der Lufthansa ein Streit über die Höhe der materiellen Entschädigung ausgebrochen. So haben sich 34 Angehörige der getöteten deutschen Schulkinder und ihrer beiden Lehrerinnen, die aus der Stadt Haltern stammen, in einem offenen Brief an Lufthansa-Chef Carsten Spohr beschwert. Sie beklagen eine angeblich mangelnde Anteilnahme des Konzerns sowie die unzureichende Höhe der ihnen angebotenen Schmerzensgelder und Entschädigungen.
Streit ums Geld
Auch andere Hinterbliebene empören sich oder verhandeln jetzt über Geldsummen. Angeblich sind derzeit etwa zwanzig Anwälte allein für die 71 deutschen Opfer der Katastrophe tätig. Dazu gibt es Auseinandersetzungen auch in etlichen Fällen der 79 nicht deutschen Passagiere des Todesflugs.
Dieser Streit ist peinlich und peinigend. Für alle Betroffenen. Denn natürlich sind die Würde und der Wert jedes Menschenlebens einzigartig. Nur für Sklavenhalter oder Mafiakiller haben Leben und Tod eines Menschen ihren Preis. Im Übrigen gilt, dass der Schmerz und die Trauer über den Tod eines geliebten Menschen mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen sind. Das ist die ethische Dimension der Tragödie. Aber natürlich gibt es auf der Ebene des praktischen Lebens für die Hinterbliebenen auch konkrete Sorgen. Und Ansprüche. Diese haben fast immer mit Geld zu tun, denn Leben, gerade nach einem schweren Verlust, kostet Geld.
Recht und Rechtsprechung
Unstreitig ist, dass eine Fluglinie wie andere Verkehrsunternehmen haftet, selbst wenn sie kein unmittelbares eigenes Verschulden an einem Absturz trifft (was im Falle des offenbar psychisch gestörten Germanwings-Piloten noch nicht ganz klar ist). In ähnlicher Weise hatte beispielsweise die Reederei der „Costa Concordia“ für die Torheiten ihres Kapitäns einzustehen. Für die Höhe zivilrechtlicher Entschädigungen gibt es indes nach deutschem Recht noch keine verbindliche Vorschrift. Jedenfalls gelten in Deutschland nicht annähernd die zum Teil hysterisch hohen Summen der amerikanischen Rechtspraxis. In den USA sind schnell Millionen im Spiel, wenn jemand, der, leicht überspitzt gesagt, nur mal falsch angehustet wurde, sich anschließend allergische oder psychische Folgeschäden attestieren lässt.
Das wird hier kein Richter mitmachen. Andererseits ist die deutsche Rechtsprechung, die dem Opfer eines Verkehrsunfalls bei einem Schleudertrauma mit wochenlang eingeschränkter Arbeitsfähigkeit gerade mal 500 Euro Schmerzensgeld zubilligt, grotesk wirklichkeitsfern. Und die juristische Frage, ob ein Opfer etwa beim Germanwings-Absturz noch Sekunden vor seinem Tod einen Angstschmerz gefühlt hat, der im letzten Moment einen vererbbaren Schmerzensgeldanspruch begründen würde, ist nichts als makaber.
Und dabei ebenso zynisch wie der mögliche Einwand, Eltern eines getöteten Minderjährigen hätten sich so künftige Ausgaben erspart. Die Lufthansa, fern solcher realjuristischen Usancen, bietet dagegen diverse Pauschalen, im Ganzen meist um die 100.000 Euro pro Opfer. Für den hoch versicherten Konzern ist das nicht viel. Es ist auch nicht wenig. Aber sicher nicht genug. Und der Gesetzgeber sollte, um neue Peinlichkeit zu vermeiden, endlich realistische und empathische Rahmenbedingungen setzen.
Peter von Becker