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Nicht viel übrig. In Amatrice, wo die Erde bereits im August bebte, liegt die Innenstadt in Trümmern.
© dpa
Update

Italien: Stärkstes Erdbeben seit 1980

Am Sonntag bebte in Italien schon wieder die Erde. Die Erdstöße waren die stärksten seit Langem, sogar in Rom wurden Gebäude geschlossen. 28.000 Menschen wurden obdachlos - aber es gab offenbar keine Toten.

Das jüngste Erdbeben ereignete sich um 7.40 Uhr. Das Epizentrum lag bei der umbrischen Kleinstadt Norcia in einer Tiefe von etwa 10 Kilometern, wie das italienische Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) bekannt gab. Nach dem Erdbeben vom 24. August in Amatrice und Accumoli (Stärke 6,0) und den beiden Erdstößen vom letzten Mittwoch zwischen Perugia und der Adriaküste (Stärke 5,4 und 5,9) handelte es sich bei einer Stärke von 6,5 mit Abstand um das heftigste. Das letzte Erdbeben mit dieser Stärke in Italien hatte sich im Jahr 1980 in der Region Irpinia in Kampanien ereignet. Damals hatte es fast 3000 Tote und rund 9000 Verletzte gegeben; 280.000 Menschen waren obdachlos geworden.

Im Vergleich zur Katastrophe vor 36 Jahren in Süditalien ist das neue Beben in Umbrien glimpflich verlaufen: Laut dem nationalen Zivilschutzchef Fabrizio Curcio sind vermutlich keine Toten zu beklagen. Die Zahl der Verletzten wird auf höchstens einige Dutzend geschätzt. Das liegt daran, dass das Gebiet rund um die 5000-Einwohner-Stadt Norcia deutlich weniger dicht besiedelt ist als Irpinia. Gleichzeitig sind die Häuser in Norcia offenbar deutlich stabiler gebaut worden.

Dennoch stürzte in Norcia, der Geburtsstadt des Heiligen Benedikts, die nach dem berühmten Mönch benannte Kathedrale ein. Von der prächtigen Kirche aus dem 14. Jahrhundert ist nur die Fassade stehen geblieben. Außerdem ist eine weitere, kleinere Kirche zusammengefallen. Ansonsten halten sich die Schäden in der pittoresken Altstadt zumindest auf den ersten Blick in Grenzen. Wie viele Häuser unbewohnbar geworden sind, werden freilich erst statische Untersuchungen ergeben. Norcia ist nicht nur als Geburtsstadt Benedikts in ganz Italien bekannt, sondern auch wegen seiner delikaten Rohschinken und Würste.

Große Schäden hat das neue Beben in einigen Gemeinden angerichtet, bei denen die Erde schon in der vergangenen Woche gebebt hatte. „Alles ist eingestürzt“, sagte der Bürgermeister der kleinen Gemeinde Ussita, Marco Rinaldi, unmittelbar nach dem Beben der Nachrichtenagentur Ansa. „Ich sehe eine Rauchsäule, es ist ein Desaster, ein Desaster! Ich habe im Auto geschlafen und die Hölle gesehen.“ Auch in den Gemeinden Amatrice und Accumoli, in denen vor zwei Monaten fast 300 Menschen umgekommen waren, sind erneut Häuser eingestürzt. Dass die schon in den vergangenen Wochen getroffenen Ortschaften alle evakuiert worden waren, hat ebenfalls dazu beigetragen, dass es diesmal vermutlich keine Toten gegeben hat.

Auswirkungen auf Rom

Am stärksten betroffen vom neuen Beben ist die Region Marken, in der sich auch Ussita befindet. Insgesamt sind vom gestrigen Beben laut dem nationalen Kommissar für den Wiederaufbau, Vasco Errani, rund hundert Gemeinden betroffen worden. 28.000 Menschen können nach Behördenangaben nicht in ihre Häuser zurückkehren. In der vergangenen Woche waren 5.000 Personen obdachlos geworden. Errani bekräftigte, dass angesichts des bevorstehenden Winters keine Zeltstädte errichtet würden; die Obdachlosen sollen in Hotels am Meer gebracht werden. Regionalpräsident Luca Ceriscioli sagte dem italienischen Fernsehen, dass seit den Beben der vergangenen Wochen bereits 10.000 Personen staatliche Hilfe beanspruchten – „diese Zahl droht mit dem neuen Erdbeben nun auf 100.000 anzusteigen.“

Wie bei den vorangegangenen Beben versprach Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi Hilfe: „Wir werden alles wieder aufbauen, denn es handelt sich um wunderbare Orte.“

Das neue Beben war erneut in fast ganz Italien zu spüren. In Rom schwankten die Gebäude – wie schon am vergangenen Mittwoch und am 24. August. Die Metro- Züge wurden auch diesmal für technische Kontrollen gestoppt. Auch der Quirinalspalast, in dem Staatspräsident Sergio Mattarella residiert, sowie die Papst-Kathedrale Sankt Paul wurden vorübergehend geschlossen. Das Kolosseum wurde ebenfalls inspiziert, das 2000 Jahre alte Bauwerk hat aber offenbar keine Schäden davongetragen. Auch Gebäude des Vatikans und der Petersdom wurden kontrolliert.

Gerettet. In Norcia und Umgebung gab es offenbar keine Todesopfer.
Gerettet. In Norcia und Umgebung gab es offenbar keine Todesopfer.
© dpa

Die seit Wochen anhaltende Erdbeben-Serie in Mittelitalien ist für die Experten des INGV „nicht ungewöhnlich“. Unter der Gebirgskette des Apennins stößt die Afrikanische auf die Eurasische Kontinentalplatte. Wenn der Rand einer Erdplatte des Apennins dem ungeheuren Druck nachgibt, komme es zu einer Art Kettenreaktion in benachbarten geologischen Bereichen. Die nachfolgenden Beben können sich nach Stunden oder Tagen, aber auch erst nach Monaten oder Jahren ereignen. „Was wir jetzt in Norcia erlebt haben, gehört zur gleichen Sequenz, die am 24. August begonnen hat“, sagt der INGV-Seismologe Alberto Michelini

„Natürlich ist diese Sequenz beunruhigend“, hieß es vom nationalen Forschungsrat CNR. Aber diese Abfolge von Erdbeben sorge in mehreren, seitlich angrenzenden geologisch labilen Verwerfungen auch dafür, dass es zwar zu starken, aber nicht zu verheerenden Ereignissen komme. „Die Folgen wären weitaus schlimmer, wenn sich die Energie in einem einzigen Ereignis entladen würde. Dies hätte ein Erdbeben mit einer Stärke von 7,0 oder noch viel höher zur Folge.“

Wie lange die aktuelle Serie andauern wird, können die Experten nicht sagen. „Leider können wir weitere, starke Erdbeben in der gleichen Zone nicht ausschließen. Wir wissen nicht, wie viel Energie noch im Boden steckt“, sagt Seismologe Michelini. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein neues, starkes Erdbeben auch in den Millionenstädten Rom, Mailand oder Neapel ereignen könnte, ist aber relativ gering. Weil sich alle drei Metropolen relativ weit weg von der Nahtstelle der aufeinandertreffenden Kontinentalplatten befinden, sind sie auf den Gefahrenkarten als wenig gefährdet eingetragen.

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