zum Hauptinhalt
Eine zerstörte Wohnung in Visso.
© REUTERS

Erdbeben in Italien: Das Wunder von Visso

In Italien bebte die Erde fast genauso stark wie vor zwei Monaten – doch diesmal gab es offenbar nur wenige Verletzte.

Der Bürgermeister von Ussita sah das wahre Ausmaß am Donnerstagmorgen. Dann sprach Marco Rinaldi von einer „apokalyptischen Situation“. Und davon, dass sein Dorf „am Ende“ sei. Der historische Ortskern von Ussita ist genau wie der des Nachbarortes Visso weitgehend unbewohnbar geworden, weil Mittelitalien erneut von Erdbeben getroffen wurde. Um 19.11 Uhr am Mittwochabend hatte die Erde zum ersten Mal gebebt, mit einer Stärke von 5,5. Die Einwohner von Ussita und Visso sind in Panik auf die Straßen gerannt; der Strom fiel aus. Zwei Stunden später, in völliger Dunkelheit, erfolgte der zweite, noch stärkere Erdstoß mit der Magnitude 6,1. Und als ob die beiden Beben nicht genügt hätten, entlud sich gleichzeitig ein schweres Unwetter über dem ganzen Gebiet. Zum Starkregen kamen der Nebel und die Kälte, die sich über die Trümmer legten

Trotzdem sind offenbar nur wenige Menschen zu Schaden gekommen. „Wenn es sich bestätigt, dass es keine Toten und Schwerverletzten gab, dann ist dies angesichts der Stärke des Bebens ein Wunder“, sagte der italienische Innenminister Angelino Alfano am Donnerstag. Laut italienischen Medienberichten sind bei den Erdbeben neun Menschen leicht verletzt worden, außerdem hat ein Rentner vor Schreck einen Herzinfarkt erlitten, an dem er verstorben ist. Die Sachschäden der Beben aber sind gravierend: Der Zivilschutzchef der Region Marken, Cesare Spuri, sprach von zwei- bis dreitausend Bewohnern, die ihre Behausungen verloren haben. Die meisten Betroffenen haben die Nacht in ihren Autos oder in Behelfsunterkünften verbracht. Das bedeutet, dass etwa gleich viele Menschen obdachlos geworden sind wie bei dem schweren Beben vor zwei Monaten. Damals hatte die Erde mit einer Stärke von 6,2 gebebt, 300 Menschen kamen ums Leben. Und nun trifft es die Region schon wieder.

In Italien, insbesondere im Apennin, muss man ständig mit Erdbeben rechnen. Diese Gefahr steckt im kollektiven Gedächtnis der Nation, wie etwa an der Bauweise älterer Gebäude zu erkennen ist. Oft sind die Mauern unten stärker als oben, um sie gegen Einsturz zu sichern. Ursache für die Erdstöße sind tektonische Bewegungen des Untergrunds. Den äußeren Rahmen gibt die Kollision zwischen Afrika und Europa. Die beiden Kontinente bewegen sich mit rund einem Zentimeter pro Jahr aufeinander zu. Italien selbst ist allerdings kein einheitlicher Block, der starr dazwischenliegt, sondern in hunderte Splitter zerbrochen, die infolge der Bewegung gegeneinander drücken und scheuern. Im Zentrum des Landes kommt noch eine weitere Bewegung hinzu: Der Apennin dehnt sich, ungefähr in Richtung Sardinien beziehungsweise Slowenien.

Es kracht - früher oder später

Das beständige Zerren und Drücken im Untergrund führt dazu, dass die Splitter der Erdkruste gegeneinander verschoben werden, was meist ruckartig passiert – in Form von Erdbeben. So auch bei den Erschütterungen vom Mittwochabend, denen im Laufe der Nacht weitere, allerdings schwächere Beben folgten. Die Erschütterungen waren in weiten Teilen Italiens und sogar in Österreich und der Schweiz zu spüren. Auffallend ist, dass die jüngsten Erdstöße nahe der Ortschaft Amatrice auftraten, die im August von einem schweren Erdbeben getroffen wurde. „Ein Zusammenhang ist sehr wahrscheinlich“, sagt der Seismologe Frederik Tilmann vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam.

Zwischen beiden Epizentren lägen nur rund 30 Kilometer und auch der Typ der Erdbeben ähnele sich stark: Sowohl jetzt wie im August rühren die Erschütterungen von sogenannten „Abschiebungen“, also dem Abgleiten eines tektonischen Blocks, wie sie typisch sind für die Dehnung im Apennin. Tatsächlich war in der Gegend um Visso ein Erdbeben „überfällig“. Nördlich davon hatte es zuletzt 1997 ein stärkeres gegeben, südlich davon das bekannte vom 24. August.

Früher oder später würde es krachen, das war klar. Wann und mit welcher Stärke das geschieht, das können Seismologen – nach allem, was man weiß – nicht vorhersagen. In diesem Fall lagen nur neun Wochen dazwischen. „Es ist anzunehmen, dass durch das Erdbeben im August die Spannungen im Untergrund so verändert wurden, dass damit die aktuellen Beben begünstigt wurden“, sagt Tilmann. Er findet es bemerkenswert, dass dieses Mal weitaus weniger Opfer zu beklagen sind, obwohl die Magnitude ähnlich war. „Das könnte daran gelegen haben, dass es bereits ein schwächeres Vorbeben gab. Offenbar waren die Menschen dadurch alarmiert und haben die Gebäude rechtzeitig verlassen.“

Zur Startseite