Selbstmordwelle: Schuldenkrise in Italien: Fast täglich nimmt sich ein Mensch das Leben
Sie wussten keinen Ausweg mehr: In Italien haben sich in den vergangenen Wochen mehrere Menschen das Leben genommen - weil sie verzweifelt waren und keine Hoffnung mehr sahen. Der Grund ist die Schuldenkrise.
Kleinunternehmer, Künstler oder Arbeitslose: In Italien hat die Schuldenkrise eine Reihe von Selbstmorden ausgelöst, die das Land erschüttern. Einer der Fälle, welche die Menschen am meisten schockierten, war die Selbstverbrennung eines Maurers im norditalienischen Bologna. Der Mann wurde wegen Steuerschulden verfolgt. Neun Tage, nachdem er sich selbst angezündet hatte, starb er. „Das ist ein schreckliches Zeichen der Verzweiflung, ein einmaliger Fall von Hoffnungslosigkeit“, sagte der ehemalige Regierungschef Romano Prodi.
In den vergangenen Wochen berichteten die Medien fast täglich von Verzweiflungstaten - ein Unternehmer, der angesichts erdrückender Schulden für seine Firma keine Zukunft mehr sah, der entlassene Arbeitnehmer, die bei einer Rekordarbeitslosigkeit von mehr als neun Prozent keinen anderen Ausweg wussten. Angelino Alfano von der PDL-Partei von Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi sprach von „einer Welle von Selbstmorden wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten, die noch nie so lange angehalten hat“.
In Athen hatte der Selbstmord eines Rentners kürzlich für Ausschreitungen gesorgt:
Für Sergio Marchionne, Chef des Automobilkonzerns Fiat, spiegeln die Taten „eine unerträgliche Situation“ im wirtschaftlichen und sozialen Bereich wider. Antonio Di Pietro von der linksgerichteten Partei Italien der Werte griff Regierungschef Mario Monti an: Dieser habe „durch Lügengeschichten in den Zeitungen über das Ende der Krise diese Suizide auf dem Gewissen.“ Angesichts der Entwicklung hat die Unternehmerorganisation „Unternehmen halten durch“ nun in mehreren Regionen ein Netzwerk aufgebaut, das Unternehmern und Angestellten psychologische Unterstützung bietet. Da Wirtschaftsbetriebe in der ersten Rezession des Jahres 2009 bereits einiges durchgemacht hätten, „braucht es nicht mehr viel, um sie in große Schwierigkeiten zu bringen“, sagt Massimo Mazzucchelli aus der norditalienischen Provinz Varese, Unternehmer und Initiator des Projekts.
Von Schulden, Steuernachzahlungen und Zahlungsrückständen ihrer Kunden erdrückt, hätten viele Unternehmer Probleme, Kredite von ihren Banken zu erhalten, berichtet Mazzucchelli. „Deshalb gibt es konkreten Bedarf für psychologische Hilfe, denn die Situation verschlimmert sich“, sagt er. Doch die Annahme von Hilfe falle vielen nicht leicht, weil die Unternehmer daran gewöhnt seien, ihre Probleme allein zu lösen.
Kety Ceolin ist Psychoanalytikerin im norditalienischen Venetien und macht ähnliche Erfahrungen: Die Unternehmer „schämen sich“, machten sich „mittelfristig keine Hoffnungen“ und hätten „das Gefühl, dass es keinen Ansprechpartner gibt, den sie konkret um Hilfe bitten können“, sagt sie. Dass sie im Rahmen des Hilfsprogramms nun mit jemanden reden könnten, „erlaubt ihnen, sich zu öffnen“. Zudem vermindere es „das Risiko der Isolation, die zu dramatischen Taten führen kann“.(AFP)