US-Militärbasis in Grönland: Schmelzendes Eis offenbart radioaktives Erbe des Kalten Krieges
Im Kalten Krieg haben die Amerikaner etliche Militärbasen in der Arktis errichtet. Das schmelzende Eis bringt ihre oft gefährlichen Hinterlassenschaften wieder zum Vorschein.
„Projekt Eiswurm“ nannten die Amerikaner ihren Plan gegen die Russen – er ist eine besondere Hinterlassenschaft des Kalten Krieges: Die US-Armee bohrte in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein ausgedehntes Tunnelsystem ins grönländische Eis, um dort die Militärbasis Camp Century zu verstecken. 600 Atomraketen wollten sie acht Meter unter der Schneeoberfläche in Stellung bringen, um die Sowjetunion in Schach zu halten. So nah wie in der Arktis waren sich die Supermächte nie.
Doch dann stellten die US-Ingenieure fest, dass sich die Eismassen schneller bewegten als gedacht. Die Tunnel drohten einzustürzen. Außerdem machte die Raketentechnik Fortschritte: Die Waffen konnten immer weiter fliegen. Camp Century wurde überflüssig. Als die Amerikaner die Basis 1967 aufgaben, dachten sie noch, das ewige Eis würde die ganze Anlage für immer gnädig bedecken. Da lagen sie falsch.
Der kanadische Forscher William Colgan stellte in einer Studie fest, dass spätestens im Jahr 2090 das schmelzende Eis in Grönland nicht mehr durch frischen Schnee ausgeglichen wird. In der Arktis steigen durch den Klimawandel die Temperaturen schneller als im Rest der Welt. „Und wenn wir aus unseren Klimamodellen der vergangenen 20 Jahre etwas gelernt haben, dann dass wir generell die Geschwindigkeit des Klimawandels unterschätzen“, sagt Colgan, der an der York University in Toronto lehrt.
Die US-Armee schloss die Türen und ließ alles liegen
Als die US-Armee Camp Century verließ, „schloss sie einfach die Türen und ließ alles liegen – Lastwagen, Versorgungsleitungen, Abfall“, berichtet Colgan aus eigener Anschauung in Grönland. Die Basis, die heute nur noch durch eine kleine Wetterstation erkennbar ist, hatte eine Ausdehnung von 55 Hektar, eine Fläche von fast 80 Fußballfeldern. Die Tunnel und die Bahngleise zum Transport der Atomraketen waren kilometerlang. Bis zu 200 Soldaten lebten unter dem Eis. Sogar eine Kirche, ein Kino und einen eigenen Atomreaktor zur Stromerzeugung hatte Camp Century.
Das Mini-Akw zumindest haben die Amerikaner mitgenommen, aber große Mengen leicht radioaktiven Kühlwassers ließen sie zurück. Außerdem 200 000 Liter Diesel in teils gebrochenen Tanks und große Mengen der giftigen Chemikalie PCB. Diese polychlorierten Biphenyle sind krebserregend, reichern sich in Fischen an und wurden auch in der menschlichen Muttermilch nachgewiesen.
Colgan warnt, dass die giftigen Abfälle der Amerikaner ins lokale Ökosystem gelangen und über Flüsse und Meere auch bis in andere Länder gelangen könnten. Schon bevor die Eisschmelze Camp Century freilegen werde, könnte durch Risse im gefrorenen Panzer Schmelzwasser in die Tunnel und Giftlager eindringen.
Die grönländische Regierung ist durch Colgans Studie alarmiert. Noch ist ungeklärt, ob die USA oder Grönlands einstige Kolonialmacht Dänemark für die teure Entsorgung des schmutzigen Erbes zuständig sind. Nach dem Vertrag, den beide Länder 1951 zur Verteidigung Grönlands gegen die kommunistische Supermacht schlossen, müssten die Amerikaner ihre Hinterlassenschaften mitnehmen oder in Grönland „nach Konsultation der dänischen Behörden“ entsorgen. Das lässt zwar einen kleinen Interpretationsspielraum, aber für Fachleute wie den Nuklearexperten Nils Böhmer von der norwegischen Umweltorganisation Bellona ist klar: „Die USA sind dafür verantwortlich, sie müssen zahlen.“ Das dänische Außenministerium braucht noch einige Monate, um die Rechtslage zu prüfen.
Jeden Sommer Reinigungstrupps in der russischen Arktis
Das Problem ist: Camp Century ist nicht die einzige zurückgelassene Militärbasis in der Arktis. Allein in Grönland gibt es 20 Basen und auch in Russland etliche, wie Vladimir Tchouprov von Greenpeace Russland dem Tagesspiegel sagte: „Probleme mit chemischen Abfällen sehen wir auch dort.“
Und der Norweger Böhmer berichtet von Reinigungstrupps, die jeden Sommer versuchten, die Hinterlassenschaften der verlassenen russischen Militärbasen im Permafrost-Gebiet zu beseitigen. Sie würden sogar von Moskau finanziert. „Aber sie decken nur einen kleinen Prozentsatz der Problemfälle ab.“ Viele Basen hätten zwar keine richtigen Atomkraftwerke gehabt, aber Wärmeerzeuger, die ebenfalls mit radioaktiven Stoffen betrieben worden seien. Und in den aktiven militärischen Stützpunkten in der russischen Arktis würden zahlreiche Atomwaffen gelagert, sagt Böhmer. „Wie stark das Umweltbewusstsein der russischen Armee ausgeprägt ist, haben wir in den vergangenen Jahrzehnten ja gesehen. Da kommt noch einiges auf die Ökosysteme zu.“
Russland baut seine militärische Präsenz in der Arktis derzeit sogar noch aus. Nach Moskaus herrschender Militärdoktrin hat die Region höchste Priorität. Das liegt nicht nur an der strategischen Position, sondern auch an den reichen Rohstoffvorkommen dort.
Moskau beansprucht riesiges Gebiet um den Nordpol
So hat die russische Armee gerade auf der Insel Alexandraland auf dem arktischen Archipel Franz-Josef-Land eine Militärbasis fertig gestellt, in der nach Angaben der Regierung 150 Soldaten eineinhalb Jahre lang autonom leben können. Eine ähnliche Basis hatte Russland bereits südlicher auf der Insel Kotelny gebaut.
Die Regierung in Moskau hat seit 2014 ein eigenes arktisches Militärkommando und erhebt gegenüber den Vereinten Nationen Anspruch auf rohstoffreiche Gebiete von 1,2 Millionen Quadratkilometern rund um den Nordpol.
Auch Dänemark sieht sich über sein autonomes Gebiet Grönland als arktische Großmacht und beansprucht den nördlichsten Punkt der Welt für sich. Durch Satelliten-Überwachung und Einsätze der Marine im Norden hat das Verteidigungsministerium schon vorgesorgt. Eine „grönländische Heimwehr“ und die Soldaten in Nuuk sollen die Außengrenzen des dänischen Königreichs verteidigen – vor allem gegen den Nachfolger des Sowjetreichs. Der Kalte Krieg und Camp Century sind gar nicht so lange her.
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