Die Mafia in Rom: Scandalus maximus
Hat die Mafia Rom im Griff? Spektakuläre Ermittlungen halten ganz Italien in Atem. Hohe Politiker und Beamte sind verstrickt. Nur einer profitiert von den Ermittlungen.
Die Mafia hat auch ihr Gutes. Zumindest für Roms Bürgermeister Ignazio Marino. Palastintrigen und Revolten in der eigenen, der sozialdemokratischen Partei PD von Ministerpräsident Matteo Renzi, hatten den 59-Jährigen während der vergangenen Wochen schon fast zum Rücktritt gezwungen. Man hielt ihm schwere moralische Verfehlungen vor. Mehrfach hatte er seinen roten Fiat Panda in diversen Halteverbotszonen der Innenstadt geparkt. Das tut zwar im Prinzip jeder Römer, aber wenn’s der Bürgermeister ist ...
Jedenfalls hat sich das Problem nun erledigt: Da aus den Telefon-Abhörungen der Antimafia-Fahnder zweifelsfrei hervorgeht, dass Marino sich zumindest in dieser Hinsicht nicht nur untadelig verhalten, sondern den Banden sogar Widerstand geleistet hat, gilt sein Leben nunmehr als gefährdet. Deshalb hat ihm der Polizeichef der Stadt eine Leibwache verordnet. Das heißt: der rote Privat-Panda bleibt in der Garage, und Marinos Polizei-Eskorte darf ungestraft überall parken, wo sie will. Sicherheitsgründe stehen über jedem Gesetz.
Andere trifft es härter. Ermittlungen gegen mehr als hundert Personen, 37 sofort verhaftet, unter ihnen hohe Funktionäre des öffentlichen Dienstes und der Politik, Rücktritte und Absetzungen im Rathaus: Mit einem spektakulären Schlag hat die italienische Polizei in der „Halbwelt von Rom“ aufgeräumt. Aber nicht eine gewöhnliche Polizei. Die Ermittlungen lagen in den Händen der Antimafia-Einheiten und – an deren Spitze – des Staatsanwalts Giuseppe Pignatone, der weiß, wo er zulangen muss: Bevor man ihn in die Hauptstadt holte, war er in Palermo gegen die Cosa Nostra und in Reggio Calabria gegen die Ndrangheta im Einsatz.
Es ist eine ganz spezielle Hauptstadtmafia
Was Pignatones Leute nun aufgedeckt haben, ist ihren Aussagen nach eine ganz spezielle, lokale Hauptstadtmafia, in Rom entstanden und nicht aus Sizilien oder Kalabrien importiert wie die „Zellen“ zum Beispiel in Norditalien, in Deutschland und der Schweiz. Roms Mafia hat ihre Wurzeln im eigentlich zerschlagen geglaubten bandenkriminellen und rechtsterroristischen Milieu der achtziger Jahre sowie im nie ausgetrockneten rechten politischen Sumpf unter dem früheren Bürgermeister Gianni Alemanno (2008–13). Dabei war oder ist die Hauptstadtmafia nach Angaben der Ermittler nicht einfach eine Bande von Kriminellen, „sondern ein Scharnier zwischen illegaler und scheinbar legaler Welt“.
Die Presse bekam Abhörprotokolle überlassen, in denen der rechtsextreme Hauptverdächtige Massimo Carminati selbst diese Rolle beschreibt: „Die Lebenden sind oben, die Toten unten, wir stehen dazwischen. In dieser Welt treffen sich alle. Alle. Die Oberen haben ein Interesse daran, dass ihnen einer von unten Sachen erledigt, die sonst keiner hinkriegt. Bei uns mischt sich alles, und einer fragt: verdammt, wie schafft’s ein Mensch wie der da, dass er morgen mit Berlusconi zu Abend isst?“
Roms Mafia bestand aus einem Netz von äußerlich unverdächtigen Unternehmen. Diese kümmerten sich um die Pflege öffentlicher Grünanlagen, um Teile der Müllabfuhr und nicht zuletzt – „das bringt mehr Geld als der Drogenhandel“, sagte ein Verdächtiger am Telefon – um die Unterbringung von Asylbewerbern und der Roma. Für diese schüttete der Staat in der Notlage der immer zahlreicheren Bootsflüchtlinge seine Millionen aus, ohne genau hinzusehen, wo sie endeten – und ob die den Betroffenen wirklich zugutekamen.
Genauer hingeschaut haben dafür die Mafiafahnder. Sie haben festgestellt, dass zusammen mit Carminati ein gewisser Salvatore Buzzi nach seinen 24 Haftjahren wegen Mordes ein ganzes Netz an Kooperativen aufgezogen hat und diesen öffentliche Aufträge zuschanzte, indem er Funktionsträger bestach und bedrohte. So zum Beispiel: „Halt den Mund, oder du wirst keinen Ort finden, an dem du dich vor mir verstecken kannst.“
Der linke Machtwechsel hat nichts verändert
Der frühere Kabinettschef des linken Bürgermeisters Walter Veltroni, Luca Odevaine, der zugleich im Krisenrat des Innenministeriums zur Verteilung der Flüchtlinge saß, bekam von Buzzi demnach ein regelmäßiges „Monatsgehalt“ von 5000 Euro; das Dreifache soll Franco Panzironi eingestrichen haben, der unter Bürgermeister Alemanno Chef der Müllabfuhr war und jetzt in Untersuchungshaft sitzt. Just unter Alemanno haben die Unternehmen der Hauptstadtmafia ihren Umsatz aufs Fünfzehnfache gesteigert, auf 40 Millionen Euro pro Jahr, und die städtischen Betriebe, natürlich von Freunden Alemannos geleitet, haben mehr als 2000 politischen Gefolgsleuten des Bürgermeisters einen Job verschafft, ohne Ausschreibung, ohne wirtschaftlichen Sinn, einfach so.
Der Machtwechsel im Frühjahr 2013 schreckte Buzzi und Carminati nicht. „Ich geh mal durch die städtischen Büros und wünsche allen einen Guten Tag, dann werden wir viel Spaß haben“, sagte Buzzi zu Carminati am Telefon. Und anscheinend ist ihm auch mit seinen „Pferden“, die er „in den Reihen der Linken laufen hatte“, einiges gelungen. Denn, belastet von den Ermittlungen, aber seine persönliche Unschuld beteuernd, ist der heutige Präsident des Stadtparlaments, Mirko Coratti, von sich aus zurückgetreten. „Den hab ich mir gekauft, der spielt jetzt für mich“, hatte Buzzi am Telefon geprahlt. Und der gleichfalls sozialdemokratische Stadtrat für Wohnungsbau ist auch gegangen, vorsichtshalber.
Rom ist aber nicht nur Tummelplatz für die „eingeborene“ Mafia à la Carminati und Buzzi. In Italiens Hauptstadt waschen auch die traditionellen italienischen Mafias ihre Millionen aus dem Drogen- und dem Waffengeschäft: „Sie tun das schon in der zweiten oder dritten Generation, aber lange hat keiner hingeschaut, weil alle dachten, so etwas passiert in Rom nicht“, sagte die Jura-Professorin und frühere Justizministerin Paola Severino dieser Tage, als sie eine Mafia-Studie der Privatuniversität LUISS vorstellte. Ihr zufolge kaufen Mafia-Organisationen beispielsweise Restaurants serienweise auf; ein Strohmann wurde gefunden, auf den allein 400 Lokale zugelassen waren. Staatsanwalt Pignatone sagte bei der Vorstellung des Berichts – wohl schon wissend, womit er ein paar Tage später die Stadt erschüttern würde: „Die Mafias sind hier Geschäftsbetriebe geworden. In ihnen arbeiten klassische Mafiosi zusammen mit Politikern, Unternehmern und Freiberuflern.“