Eurovision Song Contest: Rundgelutschte Tonsoße
Das neue Auswahlverfahren beim ESC ist ein Beleg für Feigheit, Beschäftigungsmangel und Ideenlosigkeit bei der ARD. Ein Kommentar.
Man kriegt Angst. Nach – selbstverständlich „intensiven“ – Gesprächen, die die ARD „geführt und externen Rat eingeholt“ hat, soll nun „nichts so bleiben, wie es war“. Thomas Schreiber, ARD-Unterhaltungschef, ließ das gerade ausrichten, und dass er damit nicht die Vorbereitung einer kommunistischen Weltrevolution meint, beruhigt kein bisschen. Schreiber meint das deutsche Verfahren für den Eurovision Song Contest. Es geht darum, ein Lied zu finden.
Schreiber will dafür „mindestens 10 000 Menschen“ mit Musikgeschmack auftreiben, von denen nach einem – klar, „mehrstufigen“ – Verfahren 100 übrigbleiben, denen dann wiederum „20 bis 25 Personen“ beigesellt werden, „die in ihren Heimatländern ihren musikalischem Sachverstand unter Beweis gestellt haben“.
Abgesehen davon, dass die ARD damit einen schönen Beleg dafür liefert, unter Beschäftigungsmangel zu leiden – irgendwer muss die „intensiven Gespräche“ ja geführt und den „externen Rat“ eingeholt haben, irgendwer muss die „mehrstufigen Verfahren“ begleiten und die Experten überhaupt erst mal aufstöbern –, ist die Idee dahinter offenkundig. Nicht die ARD-Unterhalter werden für den nächsten letzten ESC-Platz verantwortlich gemacht werden. Nein, die 10 025 anderen werden schuld sein.
10 025, man kann das sogar noch etwas mickrig finden, aber es gibt wohl nicht mehr Musikexperten, die bereit sind, bei so etwas mitzumachen. Die anderen könnten damit beschäftigt sein, das Lied überhaupt erst einmal zu schreiben. Ein Lied, das laut Schreiber „wiedererkennbar“ und „kantig“ sein soll – nachdem es dieses gigantische Auswahlverfahren hinter sich hat, diese Riesenmühle des Massengeschmacks? Das deutsche Lied wird eine rundgelutschte Tonsoße sein.
Was kommt als Nächstes, ein Volksentscheid? Und damit ja alle hingehen, eine Verlegung der Bundestagswahl auf den Tag der Abstimmung? Überhaupt, die Bundespolitik. Schreiber war es, der nach einer ESC-Katastrophe vor ein paar Jahren insinuiert hat, da habe nicht bloß ein Lied auf der Bühne gestanden. Das ganze, nach Euro- und Griechenlandkrise unbeliebte Deutschland stand da auch. An der Unbeliebtheit wird sich nach dem Alleingang in der Flüchtlingspolitik nichts geändert haben.
Warum fährt Schreiber dann nicht gleich allein zum ESC und singt dort sein Lieblingslied? Würde keinen Unterschied machen.