Aufarbeitung ds ESC-Debakels: Mag uns Deutschen keiner?
Eurovision Song Contest: Wunden lecken, Kandidaten für 2018 suchen.
Nach dem dritten Fiasko in Folge werden Stimmen laut, Deutschland möge doch bitte beim Eurovision Song Contest (ESC) aussteigen. Doch für die Verantwortlichen kommt ein Rückzug von der gigantischen Musikshow, die weltweit etwa 200 Millionen Menschen erreicht, nicht infrage, wie ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber klarstellt. Nun dürften wieder einmal die Köpfe rauchen: Wie lässt sich eine neuerliche Pleite 2018 in Portugal verhindern?
Die meisten Medien außerhalb Deutschlands schenken dem vorletzten Platz von Sängerin Levina, 26, keine Beachtung, aber immerhin das „Luxemburger Wort“ meldete sich am Montag mit einer klaren Diagnose: Levina sei mit grauem, altbackenem Kleid vor farblosem Hintergrund „und ihrem 08/15-Lied optisch und musikalisch die graueste Maus von allen“ gewesen, schrieb die Zeitung aus Deutschlands kleinem Nachbarland, das seit 1993 nicht mehr beim ESC vertreten ist. Ähnlich sieht es offensichtlich Guildo Horn. Der Grand-Prix-Veteran, der den ESC 1998 mit seiner schrägen Nummer „Guildo hat euch lieb“ samt Klettereinlage und Glockengebimmel ins Bewusstsein zurückkatapultierte, lästerte über „biederes Mittelmaß“.
Hass auf Deutschland?
ESC-Kommentator Peter Urban vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) hingegen nahm Levina in Schutz und erinnerte noch während der ESC-Show aus Kiew daran, dass beim deutschen Vorentscheid am Ende 69 Prozent der Zuschauer für Levinas Lied „Perfect Life“ votiert hatten. Doch der Geschmack des deutschen Publikums war anscheinend ein anderer als der vom übrigen Europa. Nach Ann Sophie und Jamie-Lee, die 2015 und 2016 ganz hinten landeten, fiel auch Levina durch: Publikum und nationale Jurys gaben ihr magere sechs Punkte, während sich Sieger Portugal mit 758 Punkten an die Spitze sang.
„Der Rückblick zeigt, wir haben eine lange Traditionslinie magerer Jahre Deutschlands beim ESC“, meint die Medienwissenschaftlerin Joan Bleicher von der Universität Hamburg. Der Grund dafür sei wohl weniger in der Musik zu finden. „Maßgeblich ist aus meiner Sicht die fehlende Sympathie für Deutschland in Europa.“ Dass es am falschen Verfahren im Vorentscheid liegt, hält Bleicher für unwahrscheinlich: „Ich glaube, selbst wenn die Götter des Musikhimmels im Chor für Deutschland auftreten, würde das nicht den German Hate (Hass auf Deutschland) beseitigen können.“
ARD-Unterhalter will Reformen
ARD-Unterhaltungschef Schreiber plädiert für Reformen. Die nationalen Teilnehmer einfach festzulegen, statt über sie abstimmen zu lassen, ist aus seiner Sicht keine Option. Auch beim Auswahlverfahren erneut mit einer Castingshow wie „The Voice of Germany“ zusammenzuarbeiten, hält Schreiber nicht für erfolgversprechend: „Das ist keine Perspektive“, sagte er am Montag. „Außer dem ersten Album von Ivy Quainoo ist bei keinem ,The Voice of Germany‘-Gewinner ein echter Hit entstanden.“
Drei Debakel in Folge, trotzdem ist Deutschland automatisch fürs ESC-Finale gesetzt. Ist das gerechtfertigt? „Ja“, sagt Schreiber. „Unter anderem, weil Deutschland der größte Fernsehmarkt Europas ist und die mit Abstand meisten Zuschaueranrufe für das Finale aus Deutschland kommen.“ dpa/Tsp